Ich würde es nie schaffen, nichts zu tun
Ich würde es nie schaffen, nichts zu tun

Manchmal haben Geschichten einen konkreten Anfangspunkt. Im Falle von Maria Oberhauser gibt es eine einprägsame Szene, die man als einen solchen Beginn setzen könnte: Eines Tages hörte sie in den Nachrichten, dass Mutter Theresa am Flughafen Wien-Schwechat angekommen sei, zufällig zugleich mit einer tamilischen Flüchtlingsfamilie, die abgeschoben werden sollte. Die in Indien tätige Nonne setzte sich für die Familie ein und hatte sofort einen Teil der österreichischen Bevölkerung auf ihrer Seite, darunter Maria, die mit ihrem Mann und dem etwa dreijährigen Sohn Helmut protestieren ging und rief :„Asylrecht ist Menschenrecht!“

In der Folge richtete die Pfarre Schwechat, in deren Gemeindezentrum Maria mit Familie bis heute wohnt und arbeitet, einen Sozialdienst am Flughafen ein. Heute ist der Sozialdienst längst vom ehrenamtlichen Engagement in die Obhut von NGOs gegangen. Maria aber hat das Thema Flucht nie wieder losgelassen, 30 Jahre lang, und sie denkt nicht im Traum daran, ihr Engagement aufzugeben. Ihr Leben ist für sie ganz selbstverständlich ein Leben und Arbeiten mit Asylwerbern und anerkannten Flüchtlingen.

Die Baracken im Grafenanger

Die heute 66-Jährige sagt, man könne Vieles erst im Rückblick sehen. Die Wurzeln ihres Engagements sieht sie in den Baracken von Lienz. Dort ist sie aufgewachsen. Der Vater, ein glühender Sozialist, die Mutter eine gottgläubige Frau, die ihre Kinder in die Kirche mitnahm – heimlich, denn der Vater durfte es nicht erfahren. Ihre Kindheit nennt Maria „sehr markant“ und wenn sie über jene Jahre in der Baracke im Grafenanger redet, spricht sie gerne von einem „Projekt, wo viele Kinder waren, viele Familien, alle gleich arm“. Dies sei prägend gewesen, aber auch eine Chance, glaubt sie.

Zu teilen hat sie früh gelernt. In der elterlichen Küche wurden die Lebensmittel, die die Gemeinde spendete, gesammelt und von dort an alle Barackenbewohner verteilt. Auch Widersprüche gehörten dazu, so war sie Jungscharführerin und trug trotzdem am 1. Mai stolz die Rote Fahne durch die Stadt. Mit 21 Jahren ging sie weg: „In Lienz hatte eine Frau in der Kirche keine Chance, besonders da ich ein wenig kritisch oder politisch war“, sagt sie.

Sie ging nach Linz ins „Betriebsseminar“, ein Schulungsheim der Katholischen Jugend speziell für Arbeitnehmer. „Für mich war dieser Kontrast von Kirche und Politik interessant. Da ist mir diese Tiroler Frömmigkeit im Sinne von ‚ich und mein Herrgott’ ziemlich abhanden gekommen und ich verstand besser, was mein Vater mich gelehrt hatte.“

Später trat sie dem „Werk der Frohbotschaft“ bei. Lukas 4:18 wurde zur Lebensgrundhaltung, bis heute: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe.“ Nach sieben Jahren merkte sie, dass das Ordensleben nicht das Richtige für sie war, verliebte sich in den Hubener Franz Oberhauser und heiratete ihn.

Nach der Hochzeit gingen sie nach Schwechat, wo sie Pastoralassistentin wurde und er an der Universität Wien Sprachkurse für Ausländer gab. Es war eine Zeit des Aufbruchs. „Das Motto lautete: alles gemeinsam. Wer hat, der gibt, wer braucht, kann nehmen“, erinnert sich Tabsi – so nennt man sie in Schwechat, nach ihrem ledigen Nachnamen Tabernig.

Mitten hinein in das romantische Bild platzte das Elend der anderen: „Plötzlich wurden wir uns bewusst, dass der Flughafen gleich nebenan ist – und somit auch Menschen auf der Flucht.“ Der Pfarrer nahm einige vietnamesische Flüchtlingsfamilien auf, es war ein Notfall: „Jeder hat gegeben, was er konnte, an Geld und an Arbeit. Installateure haben gratis gearbeitet, Maler umsonst gemalt.“

Wenn man über das sogenannte Flüchtlingsproblem mit ihr spricht, wirkt sie traurig, nennt die Situation „durcheinander“. Sie steht derzeit im täglichen Einsatz. Ein wenig scheint das in der Familie zu liegen. Ihre Schwester ist Nonne in Südafrika und arbeitet für die Ärmsten. Ihre Nichte Alexandra Urso-Tabernig organisiert derzeit einen LKW, um die Sachspenden von Osttirolern nach Traiskirchen zu bringen, Kleidung, Hygieneartikel, Schulsachen und anderes. Tabsi wird die Waren in Schwechat entgegen nehmen, um sicher zu gehen, dass alles zu den richtigen Personen kommt und auch verwendet wird.

1.000 Menschen aus 50 Nationen

In den letzten 30 Jahren haben im Sozialzentrum der Pfarre Schwechat an die 1.000 Menschen aus 50 Nationen Hilfe gefunden, nicht nur Flüchtlinge, auch Strafentlassene, Mütter mit Kindern, die kein Heim hatten. Dann zogen immer mehr Flüchtlinge ein. Im Juli 1992 etwa, als man noch dachte, die Bosnienkrise würde schnell vorübergehen. Die Gemeinden wurden gebeten, ihre Turnsäle als Notlager zu öffnen. Für zwei Jahre öffnete die Pfarre ihren Saal, dann war man platz- und energiemäßig am Ende:  „Da kam die Idee, eine Baracke zu bauen.“ Und wieder haben alle zusammengeholfen. Tabsi erinnert sich genau: „Ich hatte mich gewundert, warum ich mich in der Baracke so pudelwohl fühle, doch dann fiel mir ein, dass das ja meine Kindheit war. Das Holz, die kleinen Fenster, der lange Gang. Man war nicht allein.“

Zum Alltag im Sozialzentrum gehört auch, sich die Zeit zum Reden und zum Spielen zu nehmen.

Religion ist nicht wichtig. Wichtig ist die Not.

„Meine Devise war immer: Religion ist nicht wichtig. Wichtig ist die Not – und da helfen wir zusammen. Wer zu uns gekommen ist, hat sofort einen Kaffee bekommen.“ Zu Weihnachten feierten sie gemeinsam, auch über alle Religionen hinweg, und lasen die Stelle von Jesu Geburt – aus dem Koran. Leicht sei es trotzdem nicht immer gewesen, erzählt Tabsi. Es habe Unstimmigkeiten gegeben, manchmal auch Gewalt. Ihre Stütze über all die Jahre und bis heute ist ihr Mann: „Ohne ihn hätte ich das nie geschafft. Ich bin vorne an der Front, aber er ist der, der mich stützt und immer schaut, dass es mir gut geht.“

Eigentlich hätte sie jetzt in der Gemeinde die Oma-Funktion. So war es geplant. Doch wieder ist das Leben dazwischen gekommen, wieder das Elend von Flüchtenden. Wenn Maria spricht, wird das „Flüchtlingsproblem“ zu einer individuellen Geschichte, häufig einer tragischen, etwa die Geschichte einer Afghanin, die im Juni mit ihrem zehnjährigen Neffen aus Afghanistan angekommen ist:

„Sie hatte einen Mann kennengelernt, den die Familie nicht für sie ausgesucht hatte, deshalb ist sie vertrieben worden. Ich war mit ihr beim Frauenarzt, weil ihr der Bauch aufgeschlitzt worden war. Zwei Kinder hatte man ihr so genommen. Ihrer Schwester war es ähnlich ergangen. Sie flüchteten gemeinsam und wurden unterwegs getrennt. Jetzt versuchen wir, sie irgendwo zwischen dem Irak und Österreich zu finden, um ihr zu sagen, dass es ihrem Sohn gut geht bei uns.“

Maria Oberhauser weiß Rat, wenn nicht sofort, dann kümmert sie sich darum, und bis das Problem gelöst ist, bekommt man Herzenswärme, Nähe und das sichere Gefühl, wohlbehütet zu sein.

Ein Geschenk für Osttirol

Kürzlich hatte Tabsi ein ganz anderes Anliegen. Sie brachte diesmal ein Kunstwerk heim, den Holzkreuzweg des Osttiroler Künstlers Josef Troyer. Er hing einst im Bildungshaus St. Bernhard, erzählt sie: „Den habe ich mir immer angeschaut. Er hat mich so angesprochen, diese warmen Farben. Ich wusste nicht, dass er aus Osttirol war. Als sie das Bildungshaus schlossen, brachte ich ihn ins Pfarrzentrum nach Schwechat.“ Als sie hörte, dass man ihn in Prägraten gerne hätte, gab sie ihn her – für Osttirol habe sie das gerne getan, sagt sie und sie lacht zufrieden. Ihre Fröhlichkeit wirkt für einen Moment gelassen, doch das trügt, gelassen ist sie nicht, sie kann sich ärgern – über die Asylpolitik etwa – und freuen. Ihr Lachen ist laut und glasklar, wie ihre Haltung gegenüber Menschen in Not.

Credits
  • Autorin: Daniela Ingruber
  • Fotografie: EXPA/Sebastian Pucher

2 Postings

bergfex
vor 8 Jahren

Ich würde es nie schaffen, nichts zu tun.......... Es ist gut so, aber glaubt man wirklich unentbehrlich zu sein.

 
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    Senf
    vor 8 Jahren

    bergfex, ich bin erstaunt über deine - manchmal - wirklich nutzlosen postings. nimm dir deinen letzten satz zu herzen!

     
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