Franz Walchegger
Franz Walchegger
Im sanierten Westtrakt des Lienzer Stadtmuseums Schloss Bruck hat in diesem Sommer einer der Großen der Osttiroler Kunstszene seinen Auftritt: Franz Walchegger, ein farb- und bildgewaltiger Vertreter der klassischen Moderne, der im Schatten von Egger-Lienz nie wirklich Eingang in das kulturelle Selbstverständnis des Bezirkes fand. Das könnte sich jetzt ändern. Kunsthistoriker Rudolf Ingruber traf für DOLOMITENSTADT die Kuratorin der Ausstellung, Eleonora Bliem-Scolari und Lois Salcher, einen künstlerischen Wahlverwandten Walcheggers. Von Bliem-Scolari gibt es zur Ausstellung auch eine Walchegger-Monografie.

Einleitend hätte mich von meinen Gesprächspartnern jeweils ein Lieblingsbild interessiert …

BLIEM-SCOLARI: Mein Lieblingsbild ist eine Madonna mit Kind, um 1956 gemalt und in diesem Jahr auch in der Lienzer Spitalskirche ausgestellt. Ich nenne sie scherzhaft die „Ekberg-Madonna“, weil sie mich an die Schauspielerin Anita Ekberg erinnert: Voller ausgesuchter Kontraste und so überhaupt nicht sakral. Die lokale Kritik an solchen Bildern konnte damals sehr vernichtend ausfallen.

SALCHER: Man hat in dieser abgesperrten Gegend ja auch die expressive Kraft eines Egger-Lienz nicht verstanden … und dein Lieblingsbild? … ist eine abstrakte Komposition, naiv in ihrer Symbolik und überaus feinnervig in den Linien. Würde sie heute gemalt, sie hätte nichts von ihrer aktuellen Bedeutung eingebüßt.

Das Walchegger-Lieblingsbild von Maler Lois Salcher: „Eine abstrakte Komposition, naiv in ihrer Symbolik und überaus feinnervig in den Linien.“ Fotos der Walchegger-Werke: Eleonora Bliem-Scolari
Das Walchegger-Lieblingsbild von Ausstellungskuratorin Eleonora Bliem-Scolari: Madonna mit Kind, gemalt 1965. „Voller ausgesuchter Kontraste und so überhaupt nicht sakral“.

Eleonora, bis zum Erscheinen deines Buches gab es nur eine Monografie. In der räumt der Innsbrucker Kunsthistoriker Heinz Mackowitz Franz Walchegger „innerhalb der Entwicklung der Tiroler Malerei des 20. Jahrhunderts einen bedeutenden Platz ein.“ Gut 20 Jahre später entlockt diese Bedeutung dem Verfasser des entsprechenden Kapitels der zweibändigen „Kunst in Tirol“ nicht einmal mehr einen Nebensatz. Werden die aktuelle Ausstellung auf Schloss Bruck und deine Publikation daran etwas ändern?

BLIEM-SCOLARI: Heinz Mackowitz hat Walcheggers Entwicklung verfolgt und ihn bei einer Ausstellung im Tiroler Kunstpavillon Anfang der sechziger Jahre kennengelernt. Gottfried Hohenauer, der Leiter der Kulturabteilung des Landes, interessierte sich für Franz Walchegger. Doch es gab ein Problem: der Künstler war nicht in Innsbruck, wie Hilde Nöbl oder Gerhild Diesner, die ähnlich gemalt haben. Walchegger hat in Innsbruck keinen einzigen Auftrag erhalten. In den neunziger Jahren gab es zur Tiroler Kunst des 20. Jahrhunderts ein Seminar an der Innsbrucker Uni, dessen Ergebnis auch publiziert wurde. Walcheggers Bedeutung  wurde nicht erkannt, weil sie niemanden interessierte. Es gibt Menschen, die geradezu ein Talent haben, verkannt zu werden.

Lois Salcher hat in einem Essay in diesem Zusammenhang eine überraschende und provokante Frage gestellt: Hat Walchegger selbst seinen Ruhm verhindert?

SALCHER: Er hat einfach zu viele Arbeiten gemacht, Auftragsarbeiten, die seiner starken Begabung nicht gerecht wurden. Aufgrund seiner soliden Ausbildung hat Walchegger selbstverständlich auch neueste Technologien beherrscht, die ihn leider manchmal zu hoher Geschwindigkeit verführt haben. Ich hätte mich hier versperrt, wäre eher klassisch geblieben.

Franz Walchegger im Selbstporträt, gemalt 1947

BLIEM-SCOLARI: Walchegger war ein akribischer Arbeiter und du kannst einem akribischen Arbeiter nicht das Handwerkszeug nehmen. Sicher gab es Aufträge, die bedient werden mussten, um Geld zu verdienen. Was sich aber im Privaten abgespielt hat, war eine parallele Welt, kleine Portraitarbeiten, von denen man nicht meinen würde, dass sich das in genau dieser Folge ereignet hat. Walchegger, das wissen wir alle, hat nicht nur als Maler, sondern auch als Mensch polarisiert. Aber er hat auch in der Malerei immer auf zwei Ebenen gearbeitet.

SALCHER: Er hätte sich vielleicht auch mehr nach außen bewegen sollen, in eine Metropole, wo er mit seiner Arbeit mehr bewirkt hätte. Natürlich kann man die damaligen Verhältnisse mit dem heutigen kommerziellen Ausstellungsbetrieb kaum vergleichen. Hinzu kommt noch, dass man in der Nachkriegszeit nichts gegolten hat, wenn man nicht ununterbrochen geschuftet und gearbeitet hat. Da gab es das nicht, wie bei Goethes Reisen, sich philosophisch fortzubewegen, oder wie Karl Hofmann am Gardasee abzusteigen. Walchegger hat sich das niemals gegönnt. Für mich unvorstellbar!

Die Biografie des nur drei Jahre älteren Max Weiler, die gleichsam als Maßstab an die Tiroler Zeitgenossen angelegt wird, weist etliche Parallelen zu jener Franz Walcheggers auf …

SALCHER: Ja, der Besuch der Malschule Toni Kirchmayr in Innsbruck, das Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, seine frühe Bekanntheit durch – teilweise heftig skandalisierte – Werke im öffentlichen Raum und schließlich, nach zahlreichen, äußerst produktiven Experimenten, die Hinwendung zur Abstraktion, fast gleichzeitig mit Walchegger. Nur hatte Max Weiler eine andere Perspektive im Auge, die ihm 1964 eine Professur an der Wiener Akademie eintrug. Weilers Leben erhält einen kräftigen Anlauf zu einem Zeitpunkt, als Walcheggers Leben kurz vor dem Ende steht.

Clivia, Mischtechnik auf Faserplatte, 1961

BLIEM-SCOLARI: Franz Walchegger wollte immer schon Maler werden, nur war das zunächst aus finanziellen Gründen nicht möglich. So hat er auf Wunsch seines Vaters das Maler- und Anstreicherhandwerk erlernt und auch eine Zeitlang in diesem Metier gearbeitet. Trotzdem ist er nach Innsbruck und dann nach Wien an die Akademie gegangen. Dort studierte er zunächst bei Wilhelm Dachauer, war dann aber bei Ferdinand Andri inskribiert, bei dem er auch sein Diplom gemacht hat …

… und wo er einer später sehr berühmten Studienkollegin begegnet sein muss, die anlässlich der heurigen Biennale von Venedig für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

BLIEM-SCOLARI: Maria Lassnig, sechs Jahre jünger als Walchegger, hat auch zuerst die Meisterklasse Dachauer besucht und hat 1943 zu Ferdinand Andri gewechselt, da Dachauer ihre Werke als entartet eingestuft hat.

War Walchegger entartet?

BLIEM-SCOLARI: Nein. Er war entartet in den „privaten“, gefällig in den „offiziellen“ Arbeiten. Natürlich hat er die Zeichen der Zeit auch erkannt und für sich genützt, das soll man auch gar nicht verschweigen. Er ist auch klarerweise immer mit Egger-Lienz verglichen worden, aber nur weil Walchegger nationalistisch eingestellt war, malte er noch nicht wie Egger-Lienz. Wenn man etwa die Fresken an den beiden Häusern in der Wolkensteinerstraße betrachtet, dann spürt man vor allem in den weiblichen Gesichtern eine Tiefe und Empathie, die weit über das Vorbild Eggers hinausgeht.

Ein Beitrag in den Osttiroler Heimatblättern datiert die Fresken 1946.

BLIEM-SCOLARI: Ja, das war der Zeitpunkt, an dem am Haus Nr. 5 die Hakenkreuz-fahne übermalt wurde. Die Gemälde wurden von Emil Winkler in Auftrag gegeben und 1939 fertiggestellt. Trotzdem kann man die Qualität der Fresken weder für die damalige Zeit, noch für die Gegenwart leugnen. Man geht halt nur manchmal auch einer Tradition im Sehverhalten entlang …

Masken, 1965, Bindertechnik auf Weichfaserplatte.

Gehen wir dieser Tradition auch im Oeuvre Franz Walcheggers entlang: Egger-Lienz war für ihn nicht nur in der Zeichnung, sondern auch in den Themen ein Vorbild. Die Sujets „Familie“ oder „Die Lebensalter“ – Beispiel Sterzinger Weg – sind geradezu Indikatoren für den stilistischen Wandel, der ihn von Egger-Lienz weg und bis in die Abstraktion führt. Was hat diese Entwick-lung hier in Osttirol angeschoben?

BLIEM-SCOLARI: Sein freier Geist. Walchegger war kein Kulturreisender. Außer während der Kriegszeit, in der er als Maler massiv unterwegs war, hat er eine einzige Reise, nach Florenz und Rom, unternommen, die aber für sein Werk nicht mehr fruchtbar werden konnte, da er wenige Wochen später, im November 1965, verstarb. Das Formale, das Flächenhafte aber war in seiner Arbeit immer schon angelegt. Wobei die lokale Kritik dann gemeint hat, dass er es nicht besser kann. Darüber hinaus besaß er eine umfangreiche Bibliothek mit Bildbänden, war sehr belesen, obwohl er sich dagegen verwehrte, als Intellektueller zu gelten. Auch zu Ferdinand Andri, dessen Einfluss bis in die 50er Jahre noch fortwirkt, ist der Kontakt nach dem Studium nicht abgerissen. Und schließlich ist auch Schriftverkehr überliefert, in dem Walchegger sich gegen die Dilettanten, die es tatsächlich nicht konnten, zur Wehr setzt.

Eleonore, eine letzte bzw. die erste Antwort bist du mir noch schuldig.

Ob die Ausstellung und mein Buch an Walcheggers Bekanntheit etwas ändern werden? Die Ausstellung wird, in etwas veränderter Form, im Dezember in der Innsbrucker Hofburg gezeigt und im nächsten Jahr vielleicht im Diözesanmuseum in Brixen.

Dann danke ich herzlichst für das Gespräch und wünsche dem Jubilar den lange verdienten Erfolg!

Credits
  • Interview: Rudolf Ingruber

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