Wir sind das
Spezialitätenwerk
Wir sind das Spezialitätenwerk
Nur selten gibt es Medienauftritte der Firma Liebherr. Die Website verrät das Notwendige, das Kunden und Mitbewerber wissen sollen, und sie ist, wie vieles bei Liebherr, eher auf Service als auf Öffentlichkeit ausgerichtet. Man könnte von Understatement sprechen.

Als der Tiroler Innovationspreis 2014 und eine Nominierung für den Österreichischen Staatspreis 2015 an Liebherr gingen, sprachen andere lauter darüber, als das Unternehmen selbst. Wenn man Holger König, den kaufmännischen Geschäftsführer der  Liebherr-Hausgeräte Lienz GmbH auf diese und andere Auszeichnungen anspricht, ist der Enthusiasmus für die technische Innovation offensichtlich, doch prägt sich ein Satz ein: „Über kurzfristige Erfolge freuen wir uns natürlich. Was aber wirklich für uns zählt, ist, was langfristig dabei herauskommt.“

Man ist bei Liebherr stolz auf Innovationen, aber auch auf das, was das traditionsreiche Familienunternehmen ausmacht. Kein Zufall, dass immer wieder von Grundwerten die Rede ist. Wirtschaftszahlen werden hingegen weniger an die große Glocke gehängt, auch wenn diese sich sehen lassen können. Die Firmengruppe Liebherr machte im Jahr 2014 mehr als 8,8 Milliarden Euro Umsatz, zehn Prozent davon entfielen auf die Sparte Hausgeräte, zu der neben Lienz drei weitere Produktionsstandorte gehören.

So konservativ der Auftritt nach außen wirken mag, technisches Neuland wird immer wieder und zuweilen radikal betreten. Verständlich wird diese Kombination, sobald man sich die Geschichte der Firmengruppe ansieht. Der junge, seit einem Jahr in Lienz tätige Holger König ist sich dessen bewusst. So beginnt ein Besuch bei ihm nicht mit den Interviewfragen selbst, sondern er nimmt sich Zeit für die Geschichte hinter der Firmenpolitik. Und tatsächlich, ein Blick darauf vermag einige der stets schwelenden Ängste zu nehmen, dass das Lienzer Werk nach Indien oder Malaysia abgezogen werden könnte.

Viele Werke der Firmengruppe Liebherr sind traditionell in Süddeutschland ansässig. Dort hat im Jahr 1949 alles begonnen. Aus einer Familie im Baugewerbe kommend, schien Hans Liebherr ein Turmkran für den Wiederaufbau nach dem Krieg sinnvoll. Zwar sahen das nicht alle so, doch in seiner Hartnäckigkeit setzte er seine Idee durch. Seitdem ist viel geschehen.

Die dritte Generation ist gerade dabei, nach und nach das Ruder zu übernehmen. Geblieben ist, dass die einzelnen Sparten, elf an der Zahl, selbständig und selbstverantwortlich agieren, letztlich aber alles „oben“ zusammenkommt, wie Holger König es ausdrückt. Die Eigenkapitalquote der Firmengruppe liegt bei über 55 Prozent. Sich nicht abhängig zu machen, zieht sich als ein Antrieb durch die Firmenpolitik, auch weil dies eine gewisse Verlässlichkeit gegenüber den Kunden verspricht.

Verlässlichkeit ist einer der Gründe, die laut König stark für das Werk in Osttirol sprechen. Er meint damit nicht die Technik, sondern das Personal. Fast 1.400 Mitarbeiter sind es derzeit. Der Altersdurchschnitt liegt bei 40 Jahren.

Holger König sieht den Nutzen für die Region: „Was wir unseren Leuten bezahlen, bleibt ja im Prinzip hier. Ich habe das dem Landeshauptmann gezeigt. Denn hin und wieder muss man dann vielleicht schon sagen, was man leistet.“ Das gilt auch für die Investitionen, die in den letzten Jahren zwischen zehn und 18 Millionen gelegen haben.

Sondergeräte in Lienz

Vier Werke der Sparte Kühl- und Gefriergeräte hat Liebherr, das älteste in Ochsenhausen (900.000 produzierte Geräte), eines in Marica (Bulgarien, 800.000 Geräte), weiters ein Werk in Kluang

(Malaysia, 100.000 Geräte) und schließlich jenes in der Peggetz mit einer aktuellen Jahresstückzahl von rund 460.000.

In Lienz hat sich die Stückzahl stark verändert, erklärt Holger König: „Im Jahr 2007 haben wir über 700.000 Geräte hier gefertigt, im Jahr 2014 waren es ‚nur noch’ 455.000 Geräte. Das hört sich wahnsinnig dramatisch an, doch wir haben nie wirklich den Umsatz eingebüßt und liegen heuer auch wieder drüber.“ Der Durchschnittserlös pro Gerät habe sich fast verdoppelt. Aktuell liegt dieser bei 500 Euro.

Lienz wird durch die Transformationsprozesse der letzten Jahre als das „Spezialitätenwerk“ betrachtet. Liebherr-Geschäftsführer König formuliert es so: „Wir machen das, was die anderen in unserer Sparte oder auch in der Branche nicht machen.“ Das impliziert, dass Fließbandarbeit quasi unmöglich ist.

Herausforderung Komplexität

„Auf jedem Tisch liegt ein anderes Gerät“, sagt Holger König dazu, einerseits stolz, andererseits durchaus respektvoll gegenüber einer gewissen Fragilität. Was er als größte Herausforderung für die Zukunft betrachtet: das Handling der Komplexität.

Gefertigt wird dabei für den Gewerbebereich sowie den Haushaltsbereich, für letzteren sind es Geräte in Sondergrößen, etwa für den Schweizer Markt, wo Einbaugeräte eine andere Norm besitzen, oder für den NCSA-Markt (North Central South America), wo Größen und Ausführungen wieder anders ausfallen und häufig im Hochpreissegment liegen.

Insgesamt fertigt Lienz 450 Grundtypen an und davon 1.500 Varianten. „Die anderen Werke, wie Marica, haben zwar auch um die 200 Grundtypen, aber nur 200 Varianten. Viele Geräte, geringe Losgrößen und ein breites Sortiment, das ist unsere Herausforderung – aber auch unsere Chance.“

Lienzer Produkte

Eine dieser „Lienzer Spezialitäten“ bezeichnet Holger König als das Flaggschiff von Lienz: den bekannten Weinkühler in verschiedensten Größen. So stylisch, dass man ihn nicht mehr wegsperrt – und teuer, wirklich teuer. Optisch auffallend ist auch ein Zigarrenschrank, der zu den Lienzer Sonderanfertigungen gehört und mit Größenvariationen von 30 bis zu 1.400 Litern Nutzinhalt wie der Weinkühler vor allem für den Gewerbebereich gedacht ist.

Neuland

Neuland hat die Sparte der Kühl- und Gefriergeräte von Liebherr schon mehrfach betreten. So war die Firma die erste, die alle Geräte auf FCKW-freie Technik umgestellt hat. Auch in Lienz wird, was vielleicht weniger bekannt ist, geforscht. Die inzwischen legendäre Supermarkttruhe, für die Liebherr den Tiroler Innovationspreis erhalten hat, ist natürlich ein Lienzer Produkt und eine Kooperation mit Aldi Süd.

Vereinfacht könnte man sagen, die Truhe ist besonders energieeffizient, hat eine außergewöhnliche Außenschicht, die weltweit erstmals für ein Kühlgerät aus Kunststoff besteht und damit Variablen in der Formgebung zulässt, und das Gerät ist selbstverständlich smart-fähig.

Die wesentlichen Innovationen dahinter hören sich ein wenig komplizierter an: Die Fertigung des Außengehäuses erfolgt mittels Polyurethan-Sprühverfahren. Dafür wurde ein dynamisch belüfteter Blockverflüssiger entwickelt, der zu großer Energieeinsparung führt. Das Sprühverfahren begeistert Holger König sichtlich: „Ich dachte früher immer, die Haut hält den Kühlschrank, aber das tragende Element ist der PU-Schaum zwischen dem Blech und dem Innenbehälter.“

Nur, dass diese neue Truhe auch kein Blech mehr hat: „Das Fantastische ist, wir haben beim Kunststoff viel Freiheit in der Formgebung. Damit sind Designelemente möglich, die man mit Blech einfach nicht hinbekommt.“ Dieses Sprühverfahren ist bei weitem nicht die einzige technische Innovation für die Supermarkttruhe, die in Lienz übrigens zur Teststellung in einem Supermarkt steht. Interessant ist vor allem auch der Umgang mit Kälte und Wärme. Jedes Kühlgerät produziert notwendigerweise beides, weil nicht nur gekühlt, sondern auch abgetaut werden soll. Nun wurde ein System entwickelt, das den Verzicht auf diese Elektroheizung ermöglicht, indem die Abwärme des Gerätes dafür verwendet wird. Das führt zu einer nie gekannten Energieeffizienz.

Neuland hat Liebherr hier auch bei weiteren Details betreten: Fernsteuerung der Truhe sowie Fernauslesung der Truhenparameter, Multi-Funktions-Touch-Display, RFID-Steuerung und konsequente Ausleuchtung mit LED-Leuchtkörpern. Ein ebenfalls derzeit im Zentrum der Forschung stehender Aspekt ist die Vernetzung von Geräten. Für Gewerbebetriebe und Labore ist hier vor allem die Kommunikation mit Computern gemeint, für private Kunden die Fähigkeit, mit Smartphones zu kommunizieren, etwa wenn eine Türe offen geblieben ist oder man Tiefgekühltes einkauft und unterwegs die Superfrostfunktion aktivieren möchte.

Hier wird sich noch sehr viel tun, meint König, und lässt dabei offen, wieviel er von der Entwicklung hin zu „denkenden“ Geräten hält. Jedenfalls schätzt er den Umstand, dass man bei Liebherr „die Möglichkeiten und die Freiräume vom Eigentümer hat, auch einmal solch einen Ballon zu starten“.

Warum Lienz?

Hin und wieder gibt es Gerüchte von einer Verlagerung weg von Lienz. Holger König würde seinen Job schlecht machen, wenn er die geringeren Produktionskosten in Ländern wie Indien nicht sähe: „Das Kostenthema ist da, dem können wir uns nicht verschließen.“

Er hat selbst für Liebherr in Indien gearbeitet, kennt den Markt, doch er weiß auch, dass sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Vorstellungen zu Kühlgeräten dort andere sind: „Ein Haushaltsgerät in Europa ist eigentlich weiß, das geht in Indien nicht. Da müssen Blümlein rauf, da muss Farbe her.“

Das ist natürlich nicht das Argument, warum man in Lienz bleibt. Eher spricht König dann wieder von Verlässlichkeit, oder davon, dass man in Osttirol doch weit weg von allem ist: „Ich denke, wir haben damit leben gelernt, wir haben einen Bahnanschluss. Wir sind ja nicht gerade aus der Welt.“

Dann wird er nachdenklich: „Logistik ist bei uns ein Wahnsinnsthema. Jeden Tag werden hier 2.000 Geräte gefertigt, wenn hier irgendetwas steht, weil eine Maschine kaputt geht, dann gehen die Alarmglocken hoch.“ Insofern sei die Straßensperre am Felbertauern ein Thema gewesen.

Dann ist da noch die Lebensqualität, die der Geschäftsführer „sensationell“ nennt. Jede seiner bisherigen Stationen habe ihre Reize gehabt und er sei überall gerne gewesen, auch weil die Familie dabei war, aber „hier ist natürlich schon Vieles einfacher“, und er schildert eines seiner ersten Erlebnisse in Lienz. Die Familie besuchte eine Eisdiele, die einen Brunnen vor dem Haus hat: „Wir bestellten einen Verlängerten. Dann kam zum Kaffee ein Glas ohne Wasser. Ich dachte: ‚Naja, schaust halt einmal, was passiert’, da nahm die Kellnerin das Wasser direkt aus dem Brunnen.“

Für jemanden, der gerade aus Indien kommt, doch eine Erfahrung, und so fährt er fort: „Wir haben schon einen tollen Standort. Das Wirtschaftliche, klar, da müssen wir uns anstrengen. Da müssen sich alle anstrengen, dass es attraktiver wird oder attraktiv bleibt.“ Das groß angekündigte Breitband für Lienz kostet ihn ein Schmunzeln, es sei zu selbstverständlich, wie Englischkenntnisse, meint er.

„Jeden Tag werden hier 2.000 Geräte gefertigt, wenn irgendetwas steht, dann läuten die Alarmglocken.“

Die demographische Entwicklung sorgt ihn eher, aber dafür sei die Fluktuation bei den Mitarbeitern eher gering. Auf die Frage, ob es genug gut ausgebildetes Personal gebe, antwortet König, dass man in der Großstadt mehr Auswahl habe, aber durch den Umstand, dass viele Osttiroler nach der Ausbildung wieder zurück wollten, gebe es immer Potenzial. Man sei zudem mit mehreren Universitäten eng vernetzt und bilde auch selbst Leute aus. Derzeit gibt es 28 Lehrlinge.

Dann sagt Holger König bestimmt: „Lienz, da gibt es keine Überlegungen. Im Gegenteil, wir wollen den Standort weiterentwickeln und unsere Lagerkapazität und die Werkslogistik ausbauen. Dann fügt er hinzu, dass Liebherr die Universitätspläne zum Thema Mechatronik sehr unterstütze: “Viele schauen immer wieder auf den Liebherr. Wir tun schon, aber es gehören andere auch dazu. Wir haben ja in unserer Nachbarschaft tolle Unternehmen. Es geht nur zusammen, auch mit der Politik.“

Man merkt ihm an, dass ihm das ein Anliegen ist. Seine Glaubwürdigkeit sprechen auch seine Angestellten an, wenn man sie nach Holger König fragt. Der Umgangston habe sich verändert in dem einen Jahr, in dem er bisher Geschäftsführer ist. Die Stimmung sei generell kollegialer geworden. Auffällig ist, dass Holger König durch die riesige Fabrikshalle spaziert und nicht nur in jedem Moment weiß, an welcher Produktionsstation er sich befindet, sondern er kann die einzelnen Schritte auch exakt erklären.

Und noch etwas: Bei 1.400 Mitarbeitern kann man nicht alle persönlich kennen, aber die Art, wie er sie grüßt und gegrüßt wird, das sieht auch nach Neuland aus: von Mensch zu Mensch.

Credits
  • Autorin: Daniela Ingruber
  • Fotografie: Martin Lugger

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