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Alle Fotos: Ramona Waldner

Alle Fotos: Ramona Waldner

Das baut mich auf

Schloss Lengberg ist beeindruckend. Wäre es ein Hotel, hätte es fünf Sterne. Ist es aber nicht. Hier leben, lernen und arbeiten 30 junge Menschen, betreut vom AufBauWerk.

Es ist einer dieser Frühlingstage, die sogar für's Bilderbuch zu kitschig sind. Über die  noch winterstarren Nikolsdorfer Felder legt sich ein Schatten, während die Berge, die ihn werfen, im Sonnenlicht glitzern. In dieser Stimmung wirkt Schloss Lengberg fast unwirklich. Ich treffe Hildegard Goller und Johann Aigner. Die Osttirolerin leitet die Nikolsdorfer Zweigstelle des AufBauWerkes, eine von insgesamt fünf Niederlassungen in Tirol.

Aigner ist Landesleiter der sozialen Einrichtung, die früher „Aufbauwerk der Jugend“ hieß. Nicht nur der Namen hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt, auch der Ort und der Alltag in den Räumen von Schloss Lengberg. Das Haus ist beeindruckend. Wäre es ein Hotel, hätte es fünf Sterne. Ist es aber nicht. Hier leben, lernen und arbeiten 30 junge Menschen, betreut von 18 MitarbeiterInnen des AufBauWerkes. Insgesamt rund 130 Jugendliche werden im gesamten Bundesland betreut, alle brauchen Hilfe auf ihrem Weg ins Leben und in eine Gesellschaft, die Abweichungen von der Norm immer weniger toleriert. Das AufBauWerk begleitet sie auf diesem Weg und hat selbst einen Prozess der Identitätsfindung hinter sich, der nicht immer schmerzfrei verlief.

Das Aufbauwerk bietet Hilfe auf dem Weg ins Leben und …
… in eine Gesellschaft, die Abweichungen von der Norm immer weniger toleriert.

Es war ein kathartischer Prozess und er ist zum richtigen Zeitpunkt gekommen“, erzählt Johann Aigner, der vor neun Jahren die Leitung der Organisation übernahm, Handlungsbedarf erkannte und mit Energie begann, Frischluft in die muffige Institution zu pumpen.

Das „Aufbauwerk der Jugend“ wurde 1953 gegründet und über Jahrzehnte von seinem ersten Leiter geprägt, Hermann Pepeunig. Er führte die Einrichtung bis 1985. 1983 heftete ihm der damalige Bürgermeister Alois Lugger das Sozial-ehrenzeichen der Stadt Innsbruck an die Brust. Die Auszeichnung wurde ihm 20 Jahre später wieder aberkannt. Die Zeitschrift „Echo“ hatte im Sommer 2010 aufgedeckt, dass Pepeunig und weitere leitende Mitarbeiter aus seinem Umfeld eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten, mit teils bedenklichen pädagogischen Verhaltensmustern. Als die publizistische Bombe platzte, waren Johann Aigner und sein Team mitten in der Umstrukturierung der Betreuungseinrichtung. Jetzt kochte die Vergangenheit noch einmal auf. „Wir waren schon weit und mussten noch einmal zurückblicken,“ erzählt Hildegard Goller. Noch bevor der Innsbrucker Gemeinderat reagierte, ging das AufBauWerk selbst in die Offensive und beauftragte das Institut für Zeitgeschichte mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit. „Wir wollten nicht richten, sondern uns auseinandersetzen“, erklärt Aigner „und wir haben weitum Applaus bekommen, auch von der Politik“.

Im September 2013 legte die Historikerin Sabine Pitschieler die Ergebnisse ihrer Forschungen vor, ein Sittenbild der Nachkriegsjahre, in denen die Jugenderziehung oft in den Händen jener lag, die zuvor schon im Ständestaat und bei der Hitlerjugend Karriere gemacht hatten. Die Studie ist ein aufschlussreiches Dokument der Zeitgeschichte, das am Beispiel einer Organisation für junge Menschen den Wandel in der Gesellschaft selbst greifbar macht.

Die noch immer autoritär geprägten Erziehungsmuster der Krieg- und Nachkriegsjahre wirkten lange nach, ebenso die Unsicherheit in manchen Bereichen der Jugendarbeit, in denen Begriffe wie „krank“, „schwierig“, „behindert“ oder „auffällig“ oft sehr schwammig vermischt wurden. Johann Aigner und sein Team bestärkte all das nur in der Identitätssuche. „Wir hatten den tiefen Wunsch uns weiterzuentwickeln, zu professionalisieren und eine neue Substanz zu schaffen.“ Zum „Entwicklungsraum“ im Sinn des Wortes sollte die ehemalige Arbeitseinrichtung für schwierige Jugendliche werden, zu einer auf modernen sozialpädagogischen Grundsätzen beruhenden Bildungs- und Ausbildungsinstitution, die „Entfaltung in einem sicheren Rahmen“ bietet, wie Hildegard Goller es formuliert.

Kein einfacher Prozess, der nur mit professioneller Hilfe zu bewältigen war. Der Grazer Markenguru Franz Hirschmugl wurde an Bord geholt, dessen Unternehmen schon Brands wie „Ja! Natürlich (Billa)“ aus der Taufe hob. Und später, als die neue Identität auch nach außen sichtbar werden sollte, kam Andreas Schett mit seiner Innsbrucker Agentur „Circus“ ins Spiel und entwickelte die Kommunikation für das AufBauWerk, hell, modern, offen und doch behutsam in der Text- und Bildgestaltung.

Jeder einzelne Jugendliche soll genau die Förderung bekommen, die er oder sie braucht.

Das Erstaunliche am AufBauWerk ist weniger der Wandel, als dessen bewusste Wahrnehmung und Gestaltung. Wenn Hildegard Goller und Johann Aigner über die Neuorientierung in den vergangenen Jahren reden, spürt man, dass sie ihr Leitbild verinnerlicht haben. Ein Leitbild, das gemeinsam mit den 150 Mitarbeitern erarbeitet wurde. „Das Finden des Weges ist ein demokratischer Akt, mit intensiven Diskussionen und gemeinsamer Ideenentwicklung. Die Umsetzung braucht aber auch Führungsqualität“, erklärt Aigner, der dem AufBauWerk auch Züge eines Unternehmens beimisst. Schließlich ist das erklärte Ziel der Einrichtung, die Schützlinge für echte Unternehmen fit zu machen. „Unser Thema ist Bildung“, erklären die Verantwortlichen, ganzheitlich wollen sie diesen Begriff interpretieren, in einer Organisation, die weder Behindertenheim noch Erziehungsanstalt ist, sondern eine sozialpädagogische Einrichtung, in der jeder einzelne Jugendliche genau die Förderung bekommen soll, die er oder sie braucht, um sich in einem vorerst sicheren Rahmen zu entfalten.

„Vorerst“ deshalb, weil das Ziel draußen liegt, außerhalb des geschützten Entwicklungsraumes, in Betrieben, die den Jugendlichen einen Platz im echten Arbeitsleben bieten. Johann Aigner freut sich: „133 Jugendliche haben wir bereits in diesem Jobtraining untergebracht“, das Netzwerk an unterstützenden Betrieben wachse.

Schloss Lengberg hoch über Nikolsdorf.

Zwischen 26 und 30 Jugendliche leben, lernen und arbeiten auf Schloss Lengberg. Das Gebäude ist seit Jahrzehnten diesem Zweck gewidmet, fast ebenso lang war es eine „Bruchbude“ wie sich Hildegard Goller erinnert. Sie war entsetzt, als sie 2003 erstmals das Gemäuer hoch über Nikolsdorf betrat. Mit dem inneren Umbau der Organisation ging auch ein ambitioniertes Sanierungsvorhaben über die Bühne. Mit dem Büro Wehdorn und Robert Roithmayr als engagierten Architekten und mit viel eigenem Einsatz wurde dem Schloss neues Leben eingehaucht und eine erstaunliche Funktionalität. Modernste EDV-Schulung, Tischlerwerkstatt, eine professionelle Küche, Raum für Kunst und Spiel – das Schloss hat viel zu bieten und das nicht nur den eigentlichen Bewohnern.

7000 Besucher wurden in den letzten Jahren zu Vorträgen, Kursen und Events empfangen. Bis zu fünf Jahre können Jugendliche im AufBauWerk verbringen, drei sind es im Schnitt. Die Youngsters  kommen nach der Pflichtschule und durchwegs mit Problemen, die sehr unterschiedlicher Art sein können. Was immer ihr Handicap ist, die jungen Menschen werden in der Sozialeinrichtung ganzheitlich gesehen und betreut. „Wir wollen fragmentierte Persönlichkeiten rund machen, was schwierig ist, in einer Zeit der Entsolidarisierung.“ Die Jugendlichen werden, das spürt man beim Besuch vor Ort, im Sinn des Wortes für voll genommen. Ausgebildet und gefördert wird auf Augenhöhe, individuell und mit viel Praxisorientierung. Trainingspläne, Zeit und Zielplanung sind personalisiert, der Tagesablauf jedes einzelnen Jugendlichen an seine Schwächen und Stärken, Besonderheiten und Ziele angepasst.

Letztes Ziel ist immer der Weg nach draußen, in die „echte“ Berufswelt. Ein Weg, den erstaunlich viele Schützlinge des AufBauWerkes schaffen.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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