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Alle Fotos: Expa Pictures

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So schmeckt Weihnachten

Evelin Gander ist nicht nur Biobäuerin in Alkus und Stadtführerin in Lienz, sondern auch Dolomitenstadt-Autorin und Betreuerin unseres Cityguides. Für die Weihnachtsausgabe des Magazins hat sie uns zu sich nach Hause eingeladen und uns einen köstlichen Zelten gebacken – auf die traditionelle Art der Osttiroler Bergbauern.

„Heute müssen 15 verschiedene Sorten Kekse gebacken und jede Menge Geschenke gekauft werden, Wohnung und Christbaum werden in der neuen Weihnachtstrendfarbe geschmückt, man hetzt zu Weihnachtsfeiern und Christkindlmarkt-Treffen, ist am Ende übersättigt, kocht dennoch ein opulentes Festessen und ist froh, wenn alles vorbei ist, ohne größere Familienstreitigkeiten und Weihnachtsdepression.“ Während Evelin Gander dieses Horrorszenario schildert, praktiziert sie vor unseren Augen das genaue Gegenteil. Sie bäckt ein Stück bäuerliche Tradition, das in seiner köstlichen Einfachheit nach einem Weihnachtsfest schmeckt, das es in unserer üppigen Gesellschaft nicht mehr gibt – man ist versucht zu sagen: nicht mehr geben kann.

Ob die alte Zeit so gut war, wie sie in der Erinnerung erscheint, sei dahingestellt. Dass sie langsamer verging und im Advent tatsächlich etwas „Heiliges“ an sich hatte, weckt Sehnsüchte, die in Evelins Küche erwachen, auch weil es plötzlich nach Weihnachten duftet. Wohl weil unsere Bäuerin gerade Feigen, getrocknete Birnen, Nüsse und Rosinen in einem rosa Schaffl und in unglaublichen Mengen mit Rum zu einem köstlichen Brei vermischt. Dabei erhalten wir Unterricht in Brauchtumskunde: „Mit der Adventszeit begann die ruhige Zeit, die Vorbereitung auf den Heiligen Abend. In die Kirche ging man früher sowieso täglich, auch unter dem Jahr. Vor dem Frühstück und der Arbeit besuchten die Bauern die Frühmesse, am Abend wurde in der Stube Rosenkranz gebetet.“

Evelin baut flugs aus einem Brett und zwei Sesseln eine praktische Anrichte, legt ein blütenweißes Tuch über das Brett und bestäubt es in einer anmutigen Bewegung mit Mehl, ohne ihre Erzählungen zu unterbrechen: „In der Fastenzeit wurden keine Kekse gebacken, es gab keinen Tanz und keinen Alkohol. Der Zelten wurde oft am Thomastag, dem 21. Dezember, gebacken. Es war mehr Arbeit als heute, weil die Zutaten nicht gekauft wurden.“ Es gab mehr Nussbäume in der alten Zeit, Birnen, die im Ofen zu „Kletzen“ getrocknet wurden und natürlich Zwetschken. Erst später kamen Rosinen und Feigen dazu. Gemeinsam wurde in der Stube das „Zeltenzeug“ hergerichtet, wurden Nüsse geknackt und Trockenfrüchte geschnitten. Uns läuft längst das Wasser im Mund zusammen, aber von einer Kostprobe sind wir noch weit entfernt. In der alten Zeit hatte man Zeit, also üben wir uns in Geduld und lassen den Teig, den Evelin mit Muskelkraft durchknetet, auch noch die gewünschte Zeit rasten. Heute läuft uns sowieso nichts mehr davon. „Wir mögen den Zelten eher brotig“, erklärt Evelin, deren Zelten auch gemeinsam mit dem hauseigenen Brot gebacken wird. Der Brotteig besteht im Verhältnis 60/40 aus Roggen- und Weizenmehl, unter das die Bäuerin Germ und etwas Sauerteig mischt. Neben Salz kommen noch Koriander, Kümmel und Fenchel dazu. Alles wird mit lauwarmem Wasser verknetet und rastet dann mindestens eine Stunde, bevor das Zeltenzeug untergeknetet wird und das Ganze noch eine Rastpause macht.

Evelin nützt die Zeit, um uns zu Zeltenexperten auszubilden: „Nach dem Kneten des Teiges liefen die Bäuerinnen auf den nahen Anger und umarmten die Obstbäume mit ihren teigigen Händen. Die fruchtbarkeitsfördernde Kraft des Zelten sollte eine reiche Obsternte bewirken. In manchen Landesteilen war es üblich, aus Teigresten und den Abfällen der Trockenfrüchte kleinere Zelten extra für die Tiere zu backen und sie ihnen als Maulgabe am Christtag zu verfüttern, um Glück in den Stall zu bringen.“

Wir sind nicht abergläubisch, also lassen wir diese Rituale aus und beobachten Evelin beim Formen der Laibe, die jetzt schon sehr appetitlich aussehen. Ihren imposanten Brotbackofen heizt unsere Zeltenexpertin auf rund 200 Grad vor. Bis es soweit ist, rasten die Laibe vor sich hin. Gut Ding braucht Weile und jede Pause eine Geschichte: „Der 24. Dezember war ein Fasttag, mittags gab es vielleicht eine Brennsuppe, dann nichts mehr. Schließlich musste man bei der Mitternachtsmette die Kommunion nüchtern empfangen.“ Ja und dann, gleich nach dem „Stille Nacht“ der Weihnachtsmesse, in tiefster, kalter Winternacht, war es soweit. Die Bauern kamen heim in die warme Stube, in der kein Christbaum stand. Dieser Brauch wurde erst viel später eingeführt. Auf dem Küchentisch lag, verlockend und süß, für jeden Bewohner des Hauses ein einziges Geschenk: ein Laib Weihnachtszelten. Hier endet Evelins Geschichte und wie durch ein Wunder signalisiert auch der Backofen, dass unser Zelten fertig ist. Wir können es kaum erwarten, bis er abgekühlt ist und wir ihn kosten dürfen. Keine Frage – so schmeckt Weihnachten!

Evelins Zeltenrezept

  • 250 g Feigen
  • 100 g Kletzen
  • 100 g Haselnüsse
  • 300 g Walnüsse
  • ½ Pkg. Aranzini
  • ½ Pkg. Zitronat
  • 300 g Rosinen
  • etwas Rum

Mischen und ziehen lassen.

Brotteig:

  • 1 kg Mehl (600g Roggenmehl + 400g Weizenbrotmehl)
  • ½ Pkg. Germ
  • etwas Sauerteig (beim Bäcker erhältlich)
  • 2 TL Salz
  • Koriander, Kümmel, Fenschel
  • lauwarmes Wasser

Teigzutaten durchkneten, an einem warmen Ort mindestens eine Stunde rasten lassen. „Zeltenzeug“ unter den Brotteig kneten und nochmal etwas rasten lassen. Laibe formen und wieder mindestens eine halbe Stunde „gehen“ lassen.

Im vorgeheizten Backofen bei ca. 200–250 °C backen


Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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