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Lucas Zolgar spielt den geistig zurückgebliebenen Sebastian, um den sich nur ein alter Mann, Peter Mitterrutzner, rührend kümmert. Fotos: Brunner Images

Lucas Zolgar spielt den geistig zurückgebliebenen Sebastian, um den sich nur ein alter Mann, Peter Mitterrutzner, rührend kümmert. Fotos: Brunner Images

Kein Platz für Idioten – abgründig wie eh und je

Mitterer-Klassiker mit Glanzrollen für Mitterrutzner und Zolgar in Lienz.

In einem vollen Lienzer Stadtsaal erhielt am 10. Juni das Ensemble des Stadttheaters Bruneck mit Regisseur Klaus Rohrmoser "Standing Ovations" für eine packende Aufführung von Felix Mitterers „Kein Platz für Idioten“. Das Stück ist fast 40 Jahre alt und hat kaum an Frische eingebüßt. Bei der Premiere 1977 im legendären Innsbrucker Wirtshaus Breinößl auf der Volksbühne Blaas – wo sonst nur derbe Bauernschwänke aufgeführt wurden – spielte Mitterer selbst den behinderten Sebastian. Der Autor wählte damals den Ort der Premiere sehr bewusst. „Kein Platz für Idioten“, diese frühe Abrechnung mit der nur vordergründig heilen Welt der Tiroler Bergdörfer, kommt wie ein altes Volksstück daher, verzichtet auf intellektuelle Camouflage und jede Zweideutigkeit. Alle Charaktere sind wie aus dem Bilderbuch des bewusst überzeichneten Tiroler Dorflebens: der windige Bürgermeister, zugleich Gastwirt und Aufsichtsrat in der Liftgesellschaft, die abgerackerte, verhärtete Bäuerin, die „Fremden“ aus Deutschland bei Schnitzel und Pommes, die Stammtisch-Runde mit dem kleingeistigen Hetzer und den gemütlichen Besänftigern, die am Ende nicht die Courage aufbringen, sich für einen harmlosen Außenseiter einzusetzen. Mit einem etwas unguten Gefühl sehen sie zu, wie der junge Mann erst als „Gefahr“ stigmatisiert und dann abgeschoben wird.
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Ein paar "Viertilen" und ein paar Vorurteile – wie Karikaturen wirken die Dörfler und dennoch irgendwie echt.
Das Stück bewegt sich am Rande des Klischees und überschreitet doch nie die Kitschgrenze. Zu ernst ist das Thema, zu aktuell die Frage, wie traditionell geprägte Gesellschaften mit jenen Menschen umgehen, die anders sind als das Dorfkollektiv, nicht erfassbar mit Kirchturmdenken und nicht passend zu einer kleinen Welt, in der alles seinen festen Platz zu haben scheint. Schon in den Siebzigern war die Idylle eine Illusion und heute ist sie es mehr denn je. Deshalb funktioniert das Stück noch immer. Wunderbar legt in der aktuellen Fassung – der 76. Inszenierung seit der Uraufführung – vor allem der unvergleichliche Peter Mitterrutzner seine Rolle an. Er ist so echt und glaubwürdig der knorrige „Tatte“ mit dem großen Herzen, dass man ihm und seinem Schützling Lucas Zolgar mühelos in die Rolle der sympatischen Außenseiter folgt und mit ihnen leidet bis zum bitteren Ende, das natürlich vorhersehbar ist und gerade deshalb so traurig macht. Noch im Schlussapplaus keimt der Verdacht auf, dass sich in vierzig Jahren das Verhältnis zu „Andersartigen“ weit weniger geändert hat, als man hoffen möchte. Ein Theaterabend, der auch zum bejubelten „Heimspiel“ von Lucas Zolgar wurde. Seine Premiere in Lienz war es übrigens nicht. Zolgar und Mitterrutzner standen schon 2013 im Stadtsaal im Mitterer-Stück „Sibirien“ auf der Bühne. Das Gastspiel des Ensembles aus der Nachbarstadt bleibt hoffentlich kein Einzelfall. Bruneck liegt um die Ecke und ist ein sehr lebendiger Theaterplatz. Vom 22. bis 24. Juni sind die Pustertaler Gastgeber des Theatertreffens Europäischer (Sprach-)Minderheitentheater. An diesen Tagen fällt in Bruneck der Startschuss für das länderübergreifende Theaterprojekt „Odyssey“, das bis 2021 dauern und in vielen Europäischen Ländern gezeigt werden soll.
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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