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Beängstigend ist das Auge des Sturmes …

Stürmischer Herbst. Ein "Hurrikan-Tagebuch" von den Bermuda-Inseln.

Samstag, 11. Oktober 2014, 21 Uhr: Langsam beschleicht mich wieder dieses mulmige Gefühl in der Magengegend, dabei sollte man denken, nach elf Inseljahren, einigen Hurrikans und etlichen tropischen Stürmen sollte das endlich Routine sein –  naja, was soll ich sagen: ist es nicht. Deshalb schreibe ich noch schnell diese Zeilen, bevor uns – wie fast immer – der Saft ausgeht. Der Großteil der Insel ist von oberirdisch verlaufenden Stromleitungen überzogen, das ist bei Wirbelstürmen nicht sehr vorteilhaft. Dieses Mal ist es also "Fay", die uns ereilen wird, zwar NUR ein tropischer Wirbelsturm, aber das Auge soll recht nahe an Bermuda herankommen. Das Auge des Sturms ist für mich immer das Beängstigendste, denn rund um diese windstille Zone herrschen die größten Windgeschwindigkeiten und es bilden sich immer wieder sporadisch Tornados – und gegen diese nützt auch das beste bermudianische Dach nichts. (siehe Sommermagazin) Eigentlich dachte ich mir nach den letzten ruhigen Monaten, dass es nun vorbei sei mit der Zitterei. Die Hurrikan-Saison endet hier offiziell zwar erst am 30. November, aber erfahrungsgemäß tut sich ab Ende Oktober nicht mehr allzu viel, was aber nicht heißen soll, dass es im Winter nicht auch ab und zu recht heftige Stürme gibt, allerdings nicht so intensive wie im Sommer, aber so kann man sich eben täuschen. Mich erreichen zwar immer schon Tage im voraus Warnungen meines Bruders aus Lienz, er ist Osttirols Haus- und Hofmeteorologe, doch mit einer gewissen Verdrängungsstrategie versuche ich dem Ganzen zu entkommen und schiebe alle Vorbereitungen auf den Sturm bis zuletzt vor mich hin. Jetzt wird es aber eilig, der Sturm zieht schnell in unsere Richtung und sein Zentrum kommt uns verdammt nah.
Also haben wir wieder einmal die Terrasse leer geräumt, Pflanzen ins Haus getragen und alle losen Gegenstände verstaut oder festgebunden, außerdem einige Liter Trinkwasser abgefüllt, Eis gefroren, Akkus geladen, Taschenlampen und Kerzen bereit gelegt sowie die Badewanne und die Waschmaschine mit Brauchwasser aufgefüllt. Das Zustopfen der Zuleitungen zum Tank am Dach haben wir uns dieses Mal gespart, der Sturm zieht östlich vorbei und der Salzeintrag vom Meer sollte sich hoffentlich in Grenzen halten – mal sehen. Verhaltensregeln im Fall des Falles findet man im hiesigen Telefonbuch zwischen Gelben Seiten, Inselplänen, diversen Speisekarten ausgewählter Restaurants und natürlich sämtlicher Telefonnummern aller InselbewohnerInnen. Jedes Mal schwirren einem die gleichen Gedanken durch den Kopf: Hoffentlich passiert nichts, hoffentlich bleibt alles dicht und hoffentlich sprengen keine Kokosnüsse oder sonstige herumfliegende Gegenstände unsere großen Schiebetüren. Diese bestehen zwar aus Hurrikan-Verglasung, die Windgeschwindigkeiten von 250-300km pro Stunde locker aushalten sollen, aber gegen Pfosten oder andere lose Teile, die durch die Luft fliegen, sind auch diese machtlos. Außerdem hofft man, dass der Sturm einem nicht eine längere stromlose Phase beschert, denn das ist bei dem schwülen Wetter nach den Unwettern kein Zuckerschlecken. Dann funktioniert nämlich rein gar nichts mehr: Keine luxuriöse Klimaanlage und sonstige Elektrogeräte, kein Kühlschrank! (und wir lagern wirklich fast alles darin), keine Toilettenspülung und Wasser gibt es dann auch keines mehr aus der Leitung. Ohne Strom für die Wasserpumpe, die uns das Lebenselixier hochpumpt heißt es dann, Eimer in den Tank runterlassen wie zu alten Zeiten, die meine Generation allerdings nie erlebt hat. Andererseits - was soll der Anflug von Panik bei einem tropischen Sturm wie diesem mit einer prognostizierten Windgeschwindigkeit von schlappen 115km/h? Einen der schwersten Stürme, den Bermuda gesehen hat, haben wir gleich in unserem ersten Jahr hier durchlebt. Am 5. September 2003 hat "Fabian", ein Hurrikan der Kategorie 3, mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 200km/h (mit Böen weit darüber) auf Bermuda vier Menschenleben gefordert, unzählige Gebäude zerstört und die Natur auf Monate arg in Mitleidenschaft gezogen: Viel Salz und wenig Niederschlag haben die grünen Blätter vieler Pflanzen verbrannt. Unser Haus blieb damals wie durch ein Wunder komplett verschont, während alle Nachbarhäuser stark gelitten hatten: Einer unserer Pools war zertrümmert, 5 etwa 15m hohe Kokosnusspalmen vor unserer Terrasse waren wie Zündhölzer abgebrochen oder entwurzelt, tote Fische und Poolteile fanden sich im hofseitig liegenden Schlafzimmer unserer Nachbarn, Balkone waren abgebrochen, Dächer eingestürzt - und all das lediglich durch die Sturmflut und den über 12 Stunden andauernden starken Wind, da war nicht einmal ein Tornado am Werk. In einem an der Küste gelegenen Hotel parkte ein Boot in einem Zimmer im 2.(!) Stockwerk, ein Bekannter musste zusehen, wie ein Tornado sein Wohnzimmer mitgenommen hat… Diese Bilder stecken immer noch in meinem Kopf – und drängen sich bei jedem Sturm wieder ins vorderste Bewusstsein. Einige Ecken der Insel waren damals drei Wochen lang ohne Strom, wir hatten auch diesbezüglich Glück und unsere Lampen brannten wieder nach nur 1,5 Tagen, dafür bekamen wir vor vier Jahren unser Fett ab: Ein riesiges System, genannt Igor, suchte uns für 24 Stunden heim, ließ uns zwei Tage bei Freunden Unterschlupf suchen und bescherte uns dann auch noch acht stromlose Tage. Hierbei muss erwähnt werden, dass ich sehr gerne campe und Almurlaub ohne Strom ist eine der schönsten Urlaubsarten, die ich mir vorstellen kann. Aber feuchtwarme Nächte mit schwitzenden, quengelnden Kindern, ein vor sich hintauender Gefrierschrank, unzählige Märsche zum Pool mit schweren Eimern, um die Spülkästen der Toiletten zu füllen, keine Duschmöglichkeit, sondern lediglich Waschlappenwaschungen aus der gefüllten Badewanne zählen nicht zu meinen bevorzugten Lebensbedingungen. Durchaus unangenehm sind auch unsere kleinen schwarzen Freunde, die Ameisen, die nach derartigen Großereignissen für gewöhnlich in Unmengen dem Boden entsteigen und sich in achtspurigen Highways auf jeden Krümel stürzen, der sich nur irgendwo verstecken könnte. Aber was soll das Gejammer! Mein Mann pflegt immer zu sagen: "Vier Hurrikans sind besser als ein Erdbeben, auf die Stürme kann man sich wenigstens vorbereiten." So gesehen darf ich mich nicht beklagen: Wer im Paradies wohnt, muss eben auch ab und zu in den sauren Apfel beißen, vielleicht kommt daher auch dieses flaue Gefühl in der Magengegend, das mich gerade beschleicht. Sonntag, 12. Oktober 2014: Um 5 Uhr morgens nach einer recht stürmischen Nacht und einigen Stunden bereits ohne Strom höre ich den LKW der Stromgesellschaft und der Wind ist abgeebbt: Ich denke mir noch: Wow! Das war es also, alles ruhig und sogar wieder Strom, das war doch gar nicht so schlimm… doch plötzlich fängt es draußen wieder an zu toben und zwar wesentlich ärger als zuvor, Wind, Schlagregen, Blitze, Donner, alles gleichzeitig und dann wird mir klar, das war nur die Ruhe vor dem Sturm - das Auge - und das ist jetzt die gefürchtete eyewall. Das mulmige Gefühl ist wieder da und wir können nicht mehr schlafen. Wir stehen auf und schauen uns das Unwetter in der Morgendämmerung an: Wir sehen, wie eine riesige Kokosnusspalme an irgendeiner schwachen Stelle umknickt und unserem Nachbarn ein Loch ins Dach schlägt. Die restlichen Pflanzentöpfe auf unserer Terrasse, die wir eigentlich in der Ecke sicher glaubten, werden vom Wind über den Boden gezerrt und fallen schlussendlich um und wir kämpfen gegen den starken Wind an der Türe und holen sie herein. Wir schauen mit einer gewissen Spannung und Angst zu, wie sich unsere Terrasse mit Blattwerk und Ästen füllt. Nach zwei Stunden wird es etwas ruhiger und langsam schleichen die Leute aus ihren Häusern, um sich die Schäden anzuschauen. Das Dach mit Palme und Loch wird mit vereinten Kräften so gut es geht mit einer Plane abgedeckt. Sonntag und Montag sind wir mit Aufräumarbeiten und Aufessen aller angetauten und warm gewordenen Lebensmittel aus Gefrierfach und Kühlschrank beschäftigt. Strom gibt es noch keinen. Toilettenwasser wird vom Pool (wir haben wenigstens einen) hergeschleppt und gekocht und abgewaschen wird abends bei Kerzenschein – ein Hauch von Romantik liegt in der Luft, aber die Kinder sind ja auch noch da ;-)…
Zwischenzeitlich machen wir einen Abstecher in die Stadt, um das Ausmaß der Katastrophe anzuschauen: Viele Bäume sind entwurzelt, Parks verwüstet, Stromleitungen gekappt und einige Dächer abgedeckt sowie 28.000 Menschen für gewisse Zeit ohne Strom, aber davon abgesehen keine fatalen Schäden außer einem schulfreien Tag ohne Stromversorgung, aber das finde nur ich fatal ;-). Dienstag, 14.Oktober, 2014: Nach schlappen 48 Stunden ohne den wertvollen Saft aus der Steckdose sind wir wieder elektrisch unterwegs, welche Erleichterung! Jetzt gilt es also, an die folgenden Tage zu denken und die bringen nichts Gutes: "Fay" sollte nur der Probedurchlauf sein bis zum nächsten Hurrikan, der auf die Insel zusteuert. Als prognostizierter Cat 2, eher 3 wird Wirbelsturm "Gonzalo" am Freitag wohl so eine Art Bruder von Fabian für Bermuda werden, also doppelt so stark wie das eben Erlebte… Wir sitzen sozusagen gerade zwischen zwei Stürmen, kein besonders gutes Gefühl! Wir haben aber schon Vorbereitungen getroffen und werden zu Freunden in ein weniger exponiert gelegenes Haus ziehen - und das Gute ist: Kühl-und Gefrierschrank sind jetzt ohnehin schon leer, also keine aufgezwungenen Fressorgien mehr… Ich melde mich bei den Dolomitenstadtlern mit einem Update nach Gonzalo, wenn der Strom wieder da ist, aber das wird wohl noch etwas dauern….  
Petra Heinz-Prugger ist Naturpädagogin bei natopia, Nationalparkrangerin und Wiesenvogelbeauftragte des Landes Tirol. Bewusstseinsbildung für Natur- und Umweltschutz – besonders bei jungen Menschen – ist ihr eine Herzensangelegenheit.

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