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NoPhone – Stille unter dem Weihnachtsbaum

Ein Geschenktipp für Leute mit wachsender Smartphone-Aversion.

In meiner Jackentasche steckt eins. Es begegnet mir auch sonst überall. In der Bahn, auf dem Rad, beim Autofahren, bei Spazierengehen, es ist omnipräsent. Menschen hängen mit Kopfhörern dran, baden ihre Gesichter im meist blauen Displaylicht und wischen bis zur Sehnenscheidenentzündung über gesprungene Glasoberflächen. Vor dem Hauptverschuldungsgrund Jugendlicher - dem Abschluss von Kommunikationsverträgen - warnen Bankenvereinigung offensiv. Besonders gefährlich seien Smartphones und ihr inflationärer Gebrauch. Wer wiederum nicht zur Gruppe der wischenden Second-Screen-Beleuchteten gehört, kann schon einmal als Outsider erscheinen. Ein Redakteur einer Hamburger Tageszeitung soll von einem Mitfahrer in der U-Bahn bei der Lektüre eines Buches gefragt worden sein, „Hey, was los, is Handy kaputt?“ Die Frage soll in einem durchaus mitleidigen Ton gestellt worden sein. So toll ich die moderne Kommunikationstechnologie finde, so eigenartig, teilweise gefährlich finde ich den Umgang mit ihr, der die Nutzer oft alles andere als smart aussehen lässt. Radfahrende Smartphonenutzer, die auf alles andere achten, als auf den Verkehr und wischend die Smartphoneoberflächen bearbeiten, beeindrucken mich oft ähnlich, wie Autofahrer beim Spurwechsel, die sich während ihres SMS-Austausches sehr auf die Fahrkünste der anderen Verkehrsteilnehmer verlassen. Der romantische Aspekt von Dates bekommt einen nicht mehr ganz so hingebungsvollen Touch, wenn man währenddessen mit dem Rest der Welt in Kontakt steht, das Essen photographiert, es auf facebook postet und so seiner lifeline eine weitere Belanglosigkeit hinzufügt, zu der in diesem Moment auch das Date selbst geworden ist. Zu den schon bekannten Süchten kann man mittlerweile sicher schon die Smartphoneabhängigkeit zählen. Der Suchtfaktor ist hoch. Selbst Wirtshäuser und Clubs beginnen unter dieser Suchterscheinung zu leiden. Doch Rettung naht. Eine Gruppe von Werbefachleuten aus den USA und den Niederladen, die es satt hatten, in einer Welt zu leben, in der Menschen nicht mehr miteinander reden, weil sie von ihrem Smartphones mehr im Griff gehalten werden, als dies umgekehrt der Fall sei, haben sich was einfallen lassen. Ein NoPhone! Eine tolle Sache. Ich mag schon den Begriff.
Kein Speicher, keine Kamera, keine Apps – aber Ruhe. Und wasserdicht ist das NoPhone auch. Fotos: NoPhone
Kein Speicher, keine Kamera, keine Apps – aber Ruhe. Und wasserdicht ist das NoPhone auch. Fotos: NoPhone
Was im Griff zu behalten ist der Schlüssel für das Suchtbekämpfungskonzept der Entwicklerteams. Sehr viel mehr kann man nämlich mit dem NoPhone nicht machen. Außer es vielleicht hinlegen oder aber in einem aggressiven Akt gegen einen Smartphoneuser schleudern. Die Erfinder beschreiben das Produkt als unvergleichbar mit herkömmlichen Smartphones. Man kann schlicht damit nicht telefonieren, es speichert nichts, kann nicht kaputt werden, ist zu 100% wasserdicht, kann ohne kaputt zu gehen zum Beispiel in Toiletten fallen, hat keine Kamera, keinen Speicherplatz, keinen Prozessor und ermöglicht Real Face Time – sprich, das Gespräch mit dem aktuellen Gegenüber. Eine genaue Gebrauchsanweisung gibt es auch noch dazu. Kosten soll das Teil zwölf Dollar. Unvergleichlich günstig. Durch Crowdfunding hat das Team die Produktions- und Werbekosten schon hereingespielt.
Die Luxusvariante des NoPhones mit Selfie-Update! Immer wenn man draufschaut, sieht man sich selbst, den NoPhones-User.
Die Luxusvariante des NoPhones mit Selfie-Update! Immer wenn man draufschaut, sieht man sich selbst. Das NoPhone als Spiegel einer Gesellschaft, die satt ist und es satt hat.
Eine wirklich tolle Sache. Etwas das ich gerne verschenken möchte. Zum Beispiel dem italienischen Mann, den ich vor über 25 Jahren in einem Meraner Park beobachtete, als er ein Telefonat mittels aufgeklappter Brieftasche vorzutäuschen versuchte. Es kamen gerade die ersten Mobiltelefone auf, damals noch in der Größe von Armeefunkgeräten und schwer genug, um damit Kokosnüsse zu spalten. Er war einer der ersten NoPhoneuser, wenn auch aus anderen Beweggründen. Ein Pionier. Oder ich schenke es meinem Patenkind, das sich von mir mit zarten 13 Jahren zur Firmung ein iPhone wünschte mit den Worten, es müsse auch kein ganz neues sein, ein "4s" tue es auch – ein Gerät, das ich hauptsächlich unverschämt teuer finde. Oder ich schenke ein NoPhone einer Gruppe Jungspunde, die auf einer knapp 20-minütigen Fahrt in einem Pkw eine Facebookgruppe gründete, um sich miteinander zu unterhalten.
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

2 Postings

spitzeFeder
vor 9 Jahren

Na ja, ein bissiger Kommentar, keine Frage.

Aber wollen wir echt wieder 365 Tage im Jahr am Lagerfeuer sitzen und uns mit unseren Nachbardörfern via Rauchzeichen verständigen?

 
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bergfex
vor 9 Jahren

Toller Artikel, passt haarscharf zur heutigen Zeit. Die heimliche Ironie gefällt mir besonders.( gehöre "LEIDER" oder "Gott seis getrommelt und gepfiffen", nicht zu denen). Ich habe noch eines mit dem man(n) telefonieren bzw.: sms'n kann, mehr nicht.

 
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