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Alle Fotos: Michael B. Egger

Alle Fotos: Michael B. Egger

Sehnsucht nach Theater

Fragt man Cornelia Rainer, was sie am Theater liebe, antwortet sie, dass jedes Theaterstück auch ein Stück Lebenserfahrung darstelle.

„Natürlich faszinieren mich zudem die Verwandlung, die Fiktion, auch die Unvorhersehbarkeit von Situationen und die Möglichkeit einzugreifen.“ Gleichzeitig, so erzählt sie weiter, gehe es im Theater immer um den Moment an sich sowie um die Vergänglichkeit„. Genau darin sei das Theater dem Film noch immer überlegen: in der Nichtperfektion. “Wenn ich statt einer Kameralinse direkten Zugang zu den Körpern auf der Bühne habe, sie rieche, höre, sehe – das ist eine unmittelbare Begegnung, die immer gültig sein wird.“

Kein Wunder, dass die Regisseurin im Gespräch sehr schnell vom Theater zum Leben übergeht und immer wieder zwischen diesen beiden changiert. „Welche Vorstellungen man sich vom Leben auch macht, es ist alles nur ein Gedankenkon-strukt.“ Theater eben. Theatergeschichten. Und genau das, Geschichten erzählen, Menschen berühren, sieht sie als ihre Aufgabe. Vielleicht würde man solch eine Aussage von einer Theaterregisseurin erwarten, doch wenn Cornelia Rainer davon spricht, spürt man darin mehr als eine leere Anmerkung. Die Berührung, die sie meint, soll tiefer gehen, etwas hinterlassen.

Nein, das soll nicht heißen, dass sie sich als politische Regisseurin empfinde: „Politik macht man auch im Kleinen,“ etwa wenn sie Kinder aus verschiedenen Wiener Gemeindebezirken auf die Bühne holt, wie in ihrem Stück I WANNA BE (MADE), das auf ihren Beobachtungen und Interviews an der Peking Oper-Schule in Taipeh basiert. Sie war dort Gaststudentin. Für die Inszenierung am Dschungel Wien – Theaterhaus für junges Publikum im Jahr 2012 ließ Cornelia Rainer eine Peking Oper-Darstellerin aus Frankreich einfliegen. „Ihrer Disziplin und anerzogenen Härte habe ich die Träume von Wiener Kindern gegenübergestellt, die kaum die Möglichkeit haben, diese zu verwirklichen.“ Ihr Engagement für sozialkritische Themen betrachtet die Regisseurin als selbstverständlich, alles andere wäre verantwortungslos, sagt sie.

Ihre Theaterstücke schreibt sie großteils selbst. Manchmal dient eine Vorlage anderer Autoren, etwa Büchner oder Shakespeare, als Ausgangspunkt, dann wieder ist es eine Beobachtung. Gerade Letzteres zeichnet Cornelia Rainer aus. Die Figuren wirken ebenso reflektiert wie ihre Geschichten. Sie nimmt sich Zeit zum Hinschauen. Das wird auch im Gespräch deutlich, etwa wenn sie vom Workshop erzählt, den sie Mitte August im Zuge von „Spielfeld Kultur Osttirol“ gehalten hat. Die jungen TeilnehmerInnen haben sie sichtlich beeindruckt.

„Ich hole mir Kinder zu den Hauptproben, wähle ein paar Szenen aus und lasse mir sagen, wie sie das finden. Sie sind sehr ehrliche Zuschauer.“

Wenn Cornelia Rainer mit nicht-professionellen DarstellerInnen, insbesondere Kindern, arbeitet, tut sie das vorsichtig. „Man muss sehr behutsam mit ihnen umgehen und genau wissen, was man erzählen möchte, kann und darf.“ Liebevoll nennt sie sie „Spezialisten des Alltags“, ein Begriff, den sie vom Theaterkollektiv Rimini Projekt entlehnt.

Kinder spielen in ihrer Arbeit eine beständige Rolle, in ihren Inszenierungen und Workshops. Doch auch eine Beratungsfunktion gibt sie den Kindern. Sie vertraut auf ihr Urteil. Wenn sie im Interview sagt, dass man das junge Publikum ernst nehmen müsse, dann wird an diesem Punkt deutlich, wie konkret sie das meint: „Ich hole mir Kinder zu den Hauptproben, wähle ein paar Szenen aus und lasse mir sagen, wie sie das finden. Sie sind sehr ehrliche Zuschauer“, insbesondere, weil sie im Moment leben und ganz und gar präsent sind.

Wenn Cornelia Rainer von Präsenz spricht, darf man das wörtlich nehmen. Ihre Inszenierungen gelten als präzise, minutiös geplant und doch offen genug, um dem Theater seine Magie zu lassen. Die Figuren erreichen damit eine Unmittelbarkeit, die die Regisseurin trotz aller eleganten Unaufdringlichkeit auch selbst ausstrahlt.

Absolute Leerstelle

Der Respekt, mit dem sie den Themen ebenso wie den Menschen begegnet, wird in jeder Inszenierung sichtbar. So wirkt Armut auf ihrer Bühne nicht plakativ oder bloß szenisch, es ist eine Armut, die im Zuschauerraum Kälte verbreitet. Sie erarbeitet und lebt ein Theater, das seine Ästhetik nicht zur Ablenkung nützt. Inhalt und Form bilden eine Einheit. Die Liste der Theater, an denen sie bisher inszenierte, ist lang, bunt und international. In ihre Heimat kommt sie immer wieder, um ihre Eltern zu besuchen. Erinnerungen an die Schulzeit? „Lienz und Theater, da fällt mir ein: Sehnsucht nach Theater! Absolute Leerstelle. Ein Kolpingsaal, übler Geruch – falls man das sagen darf. Eine Nichtmöglichkeit.“ Bühnenerfahrung sammelte sie im Orchester und in Gesangsensembles. „Das Theater in seiner rituellen Dimension habe ich bei Prozessionen und in der Kirche erfahren.“ Die Musik ist ihr geblieben. Ihr kommt in Rainers Inszenierungen besondere Bedeutung zu, keineswegs Beiwerk sondern motivgebend.

Als Musikerin (Gesang und Bandoneon) ist sie bei Franui tätig, als Gastmusikerin, wie sie betont. Keine Abgrenzung, doch eine klare Linie zwischen dem, was der Hauptweg ist, die Regiearbeit, und dem, was sonst noch in das berufliche Leben spielt. Die Wege scheinen sich immer wieder zu kreuzen, absichtlich und gerne, zumal ihre Geschwister bei Franui spielen. So ist es 2008 bei ihrer Inszenierung für die Bregenzer Festspiele passiert, dass Cornelia Rainer mit all ihren Geschwistern gemeinsam auf der Bühne stand.

Wie sie Theaterregisseurin wurde? Sie zog das Schreiben immer dem Spielen vor. Der Schritt zur Regie hatte auch etwas Symbolisches, zumindest in der Erinnerung, erzählt sie: „Den Entschluss habe ich in Paris gefasst. Ich war mit ein paar Studenten der Nouvelle Sorbonne bei einer Probe von Peter Brook im Bouffe du Nord. Ganz kurz saß Peter Brook neben mir, schrieb etwas in sein Regiebuch. Wie im Affekt drückte er mir das Heft in die Hand. Damals war mir die Bedeutung der Geste nicht bewusst, rückblickend erscheint mir dieser Moment wie eine innere Aufforderung, meiner bis dahin eher heimlichen Leidenschaft für das Theater nachzugehen und den Mut zu fassen, Regisseurin zu werden.“

Inzwischen hat Cornelia Rainer ihre eigene Theatercompagnie, Theater Montagnes Russes nennt sie die Gruppe, „Achterbahn“, für die sie projektweise Interpreten aus unterschiedlichen künstlerischen Bereichen zusammenführt. Den Namen leitet sie vom Bühnenbild ihrer Inszenierung Jakob Michael Reinhold Lenz bei den Salzburger Festspielen 2012 ab. Es war eine Achterbahn. Das Bühnenbild besitzt sie noch.

Und wieder: das Leben, eine Theatergeschichte.

Dolomitenstadt-Redakteurin Daniela Ingruber (links) im Gespräch mit Cornelia Rainer.

Geboren 1982 in Lienz, studiert Theaterwissenschaft in Wien, Regie und Dramaturgie an der Sorbonne Nouvelle und an der Université Saint Denis in Paris sowie klassischen Sologesang, ebenfalls in Paris. Als Gaststudentin kommt sie nach Taiwan, als Stipendiatin zum Festival Avignon. Erste Regiehospitanzen führen sie zu den Tiroler Festspielen Erl, zurück nach Paris und an das Thalia Theater Hamburg. 2005–2009 ist sie als Regieassistentin am Burgtheater tätig, wo sie ihre ersten Inszenierungen auf die Bühne bringt. Es folgen zahlreiche Engagements im In- und Ausland. 2012 gründet sie ihre eigene Theatergruppe, die Montagnes Russe. Am 10. September 2014 wurde sie vom Bundeskanzleramt mit dem Outstanding Artist Award – Darstellende Kunst – ausgezeichnet.

www.theatermontagnesrusses.at

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