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Die Kunst als Marke

Peter Raneburgers jüngstes Projekt ist ein "Corporate Design" für Matrei, das die Markt- zur Markengemeinde machen soll, wiedererkennbar und authentisch in ihrem visuellen Auftritt. Was der Werbung dient, leibt doch ein Kunstprojekt, typisch für den kreativen Grenzgänger Raneburger. Er bricht gerne mit der Konvention und bleibt doch im Rahmen. Das Ergebnis ist Kunst im Alltag, die keinen kalt lässt.

Peter Raneburger fasziniert durch eine seltene Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, Respekt vor dem zutiefst Menschlichen und Respektlosigkeit vor der Konvention. Er forscht gern nach dem Wesen, nach der Substanz der Dinge, mit einer Neugier, die ansteckt. Dabei überschreitet der Matreier regelmäßig und ungezwungen die ländlich-katholischen Schamgrenzen, pfeift auf Sitte und Anstand, provoziert nicht nur in seinen frühen Arbeiten, sondern auch heute noch, um schlussendlich mit seinem entwaffnenden Lächeln klarzustellen: so ist das Leben.

Der Matreier Künstler Peter Raneburger.

Die Kunsthistorikerin Eleonora Bliem-Scolari findet nicht nur die „unverhohlene Direktheit“ von Raneburgers Arbeiten bemerkenswert, sondern vor allem den Umstand, „dass sie nicht aus rein emotional gesteuerten Prozessen heraus entstehen, sondern offensichtlich rationale Gebilde seiner Ideenwelt sind.“ In anderen Worten, der Künstler polarisiert bewusst und das sowohl in der Malerei wie auch in der Architektur, „beides Bereiche, die er vermutlich intuitiv gleichwertig behandelt,“ erklärt Bliem-Scolari mit Seitenblick auf Raneburgers tragende Rolle bei einem umfassenden Projekt zur Realisierung von zeitgenössischer „Kunst am Bau“, beauftragt von der Wohnbaugenossenschaft „Neue Heimat“ in Nordtirol.

„Raneburger beschäftigt sich mit Themen, die wikipedia unter dem Begriff ‘Tabu‘ auflistet“, erklärt uns Rudolf Ingruber, Dolomitenstadt-Kulturkritiker und Leiter der Kunstwerkstatt der Lienzer Lebenshilfe. „Sein Heimvorteil ist ein sozio-kultureller Rahmen, der von Arnulf Rainer, Günter Brus, den Wiener Aktionisten und anderen unberührt blieb. Das Emblem ist bevorzugtes Vehikel seiner Botschaft, die nicht mehr her-, sondern nur noch hingestellt zu werden braucht: Verknüpfungen von Bild und Wort, doppelsinnig, rätselhaft und eindeutig zugleich.“

Schnappschuss aus dem Atelier.

Das ist eine gute Überleitung zu Peter Raneburgers jüngstem Projekt, einem Vorhaben, das zum Hauptthema dieses Magazins und auch zur in Osttirol allgegenwärtigen „Leitbildsuche“ passt. Ein solches Leitbild will sich auch Matrei geben, im bildhaften Sinn als „Corporate Identity“. Beauftragt ist keine klassische Werbeagentur, sondern der Universalist und Künstler Raneburger, der die Marktgemeinde, in der er lebt, zur Markengemeinde formen soll.

Dabei geht Raneburger genauso vor, wie in seiner künstlerischen Arbeit, ganzheitlich, zugleich konzeptiv und intuitiv, mit viel sprudelnder Kreativität und nicht ohne Augenzwinkern. Ein interessanter Ansatz, der zu funktionieren scheint. Raneburgers Tochter Miriam, Fotografin und Grafikerin in Graz und mit ihren Arbeiten oft auch in unserem Magazin vertreten, ist mit an Bord. Was herkömmliche Werber oft zur Verzweiflung treibt – die divergierenden Geschmäcker und Meinungen eines großen Auftraggeberkreises – löst Peter Raneburger mit sozialer Kompetenz. Er lud Unternehmer und Entscheidungsträger zum Mitdenken ein, sieht sich selbst nicht nur als Gestalter, sondern auch als Moderator und Berater auf der Suche nach Identität. Und er lässt sich bei seiner Arbeit über die Schulter schauen, macht den kreativen Prozess sichtbar und begreifbar, vermittelt das Gefühl gemeinsamen Schaffens.

Raneburger forscht gern nach dem Wesen, nach der Substanz der Dinge, mit einer Neugier, die ansteckt.

Die Allianz, die der Künstler für sein CI-Projekt schmiedete, ist vor dem Hintergrund der Rahmenbedingungen beachtlich: „Das wurde nie verpolitisiert“, erklärt Raneburger, „da geht es nicht um Zerrissenheit, sondern um Stolz und Zusammengehörigkeit“. Ein Thema, das in Matrei immer aktuell ist. Durch die Gemeinde laufen tiefe politische Gräben.

An Bord ist bei diesem Projekt auch der Nationalpark, den Raneburger nicht als „Verwaltung“ sondern in seiner eigentlichen Substanz sieht: „Das ist einfach die Natur und keine Behörde. Das sind Sachen, die über die Jahrhunderte Bestand haben. Damit muss man arbeiten.“ Über die Jahrhunderte Bestand hat auch die Kirche und mit ihr der Patron der Gemeinde, der Heilige St. Alban. Er steht selbstbewusst als Gallionsfigur mitten im Wappen von Matrei und Peter Raneburger rüttelt – wen wundert’s – auch an diesem Tabu. Ein Matreier Wappen ohne St. Alban? „Das muss man eher langfristig sehen, das ist keine kurzfristige Geschichte“. Und so bleibt der Weg zur neuen Identität der Marktgemeinde kreativ aber pragmatisch,  eine identitätsstiftende visuelle Neuausrichtung der Marke „Matrei“, aufbauend auf einen Prozess der Selbstfindung, in den auch viele Unternehmen und Bewohner des „Marktles“ eingebunden sind.

Bei der Gestaltung der Marke Matrei lud Raneburger Unternehmer und Entscheidungsträger zum Mitdenken ein. 

Die Eingänge in die Marktgemeinde, der Auftritt nach innen und außen, alles soll in eine visuelle Struktur passen, die neu und doch vertraut daherkommt, weil sie etwas mit den Matreiern und ihrem Wesen zu tun hat. Und so entstanden neben einem neuen Logo auch erste Projektionsflächen, auf denen die Marke lebendig wird, als Stempel oder Textur, als Briefkopf oder Siegel, als Zeichen im öffentlichen Raum – der Fantasie sind, wie so oft bei Raneburger, eigentlich fast keine Grenzen gesetzt. Das Markendesign wird zum Setzkasten, aus dem sich jeder, der das kreative Alphabet kennt, seine eigenen Sätze zusammenreimen kann. Ein schönes Konzept, das vorerst noch Entwurf ist und schon bald – den längst versprochenen Auftrag durch die Gemeindeführung vorausgesetzt – zum offiziellen Matreidesign werden könnte. Mutig für eine touristisch und ländlich geprägte Gemeinde – und richtig, weil es den Menschen gut gefällt. Peter Raneburger freut sich jedenfalls nicht nur über positive Reaktionen, sondern auch über erste Anwendungen und viele Ideen: „Wir haben sogar schon überlegt, ob man nicht den Matreier Rindern ein neues Brandzeichen verpassen sollte.“ Branding einmal anders, die Kuh als Markenbotschafter? Warum nicht?

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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