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Katharina Zanon

Katharina Zanon, Jahrgang 1990, lebt ihre Kreativität ohne Kompromiss. Über die Mode fand sie zur Bildhauerei und schließlich zur Performance, in der sie selbst zum Kunstobjekt wird. Derzeit lebt die Leisacherin in China.

DOLOMITENSTADT: Erzähle ein bisschen aus deinem Leben - wie bist du nach Linz gekommen, wie zur Kunst?

Katharina Zanon: Als Jugendliche war ich blauäugig und wimpernklimpernd fasziniert von schönen Dingen, schönen Menschen und schönen Oberflächen. Dazu wollte ich unbedingt berühmt werden. Die Welt der Mode und des Designs schien wie gemacht dafür. Die Lust am Ausdruck, am Darstellen, am Sichtbarmachen und (Ver)kleiden zieht sich durch mein bisheriges Leben. Ich ging nach der Matura nach Mailand und später nach Wien, wo ich ein Modedesign-Studium abschloss. Schon bald wurde mir klar, dass das "verkaufter Tragbare" meinem Wunsch nach lebendigem Ausdruck nicht gerecht wird. Also habe ich begonnen, die menschliche Form immer weiter in Richtung Skulptur zu transformieren und auszuweiten. An der Kunsstuni Linz in der Bildhauereiklasse "Plastische Konzeption/Keramik" von Frank Louis traf ich auf die gewünschte Freiheit und ein sehr fruchtbringendes Umfeld. Die Uni bot mir die Möglichkeit, in China Kunst zu machen. Ich hatte vor meinem Auslandsstudienjahr keinerlei Ahnung von China und kein besonderes Interesse an dem Land. Ich war vollgepumpt mit Stereotypen und billigem österreichisch-chinesischem Fastfood.

Warum bist du nicht Malerin oder Schriftstellerin, sondern Performancekünstlerin geworden? Es ist die einzige Kunstform, die praktisch nur im Jetzt passiert. Wie geht man mit dieser Flüchtigkeit um? Wie wichtig ist die Dokumentation für dich?

Ich sehe mich nicht „nur“ als Performancekünstlerin. Die Ausdrucksformen meiner Kunst sind vielfältig und passen sich der jeweiligen Gemütsverfassung und den äußeren Umständen an. Der Text hatte bisher ergänzende Funktion in meinen Arbeiten und entwickelt sich nun immer mehr zum eigenständigen Ausdrucksmittel.

Diese Flüchtigkeit, das Stattfinden im Moment und deswegen meiner Meinung nach die höchstmögliche Reaktionsfähigkeit auf die Geschehnisse im Jetzt faszinieren mich an der Performance.

Die Flüchtigkeit, das Stattfinden im Moment und die höchstmögliche Reaktionsfähigkeit auf die Geschehnisse im Jetzt faszinieren mich an der Performance.

Katharina Zanon

Die Dokumentation ist auf der einen Seite wichtig für mich, da sie dabei hilft, das Kunstwerk festzuhalten, nach außen zu tragen und einem breiteren Publikum zu präsentieren. Auf der anderen Seite stellt genau das eine Schwierigkeit für mich dar: Ich will das Event in seiner Einzigartigkeit und Unwiederbringlichkeit als Kunstwerk etablieren. Die Stimmung des Live-Events lässt sich nicht mittels Video oder Foto einfangen. Ich halte es nun so, dass ich die Art der Dokumentation an das jeweilige Happening anpasse. Bei manchen Performances stört die Kamera nicht, sondern wird zum eigenständigen Beobachter, vielleicht sogar zum unpersönlichen Spion. Bei anderen Aktionen verzichte ich gänzlich auf die digitale Dokumentation. Wieder andere Performances funktionieren nur durch den Blick der Kamera und werden deswegen zu Videoarbeiten.

In Österreich ist die digitale Dokumentation mittels Kamera oft ein Störfaktor. Viele Betrachter sehen darin einen Fingerzeig: Das ist „inszeniert“, das ist „gespielt“, das ist „künstlich“ und „unecht“. In China wird ständig und überall fotografiert. Das Festhalten von Situationen mit dem Smartphone ist Alltag. Wenn ich als Regenschirmball unterwegs bin, übernimmt der mir folgende Fotograf mit seiner Kamera eine wichtige Rolle: Seine Anwesenheit garantiert den Securities, dass es sich um ein „Projekt“ einer verrückten Ausländerin handelt und nicht um eine verrückte Ausländerin. Was einen großen Unterschied macht und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Arbeit nicht vorzeitig beendet wird und weitergeführt werden kann, erhöht.

In fast jeder Performance bist du als Künstlerin selbst auch Medium deiner Kunst. Wie bereitest du deine Performance vor? Als Performern durchlebst du deinen künstlerischen Auftritt im Augenblick des Entstehens ja zum ersten Mal, mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Hat es auch schon Performances gegeben, die richtig in die Hose gegangen sind?

In meiner Arbeit sehe ich meinen Körper, der die Performances ausführt, als Material. Arbeite ich als Schriftstellerin, verwende ich eine Feder zum Aufschreiben einer Idee, arbeite ich als Performancekünstlerin, verwende ich den eigenen Körper zum Darstellen einer Idee. Die Vorbereitung einer Performance ist zeitintensiv, die gedankliche Ausarbeitung dabei der größte Teil. Das Handeln im Moment des Happenings ist riskant und hält zugleich größtmögliches Potenzial für mich bereit. Aus unstillbarem Interesse am Potenzial vergesse ich bewusst gerne auf das Risiko. Viele meiner Performances, vor allem, aber nicht nur in China, wurden gestoppt. Das würde man von außen betrachtet vielleicht als Misserfolg werten. Für mich selbst ist aber genau das spannend: Wo eckt man an? Warum geht gerade das, gerade jetzt, gerade hier nicht? Ich lerne dabei und in der nachträglichen Reflexion darüber am allermeisten über eine Kultur, über ein Land und über das Leben.

Die Aktion "(u)" passiert unangekündigten an öffentlichen Plätzen im urbanen Raum Chinas. In überfüllten Straßen schafft Katharina einen Geschützen Raum, in den der Betrachter Einblick haben kann, wenn die Neugier groß genug ist. Ihr eigenes ausländisches Aussehen, normalerweise überpräsent, wird dadurch nur von den Mutigsten, die sich nahe an das menschliche Objekt heranwagen, erkannt.

Deine Schirmperformance simuliert eine private Aura, ein Mindestmaß an geschützter Privatheit. Das ist ein gutes Thema. Irgendwie haben Performances auch etwas sehr Extrovertiertes und ich könnte mir vorstellen, dass man sich manchmal sehr ausgesetzt fühlt. Man liegt nicht alle Tage in einem Bett auf der Straße. Für mich ein Albtraum! Wie geht es dir dabei?

Die Ausführung kostet viel Energie und setzt eine gute körperliche und geistige Verfassung voraus. Das Performen funktioniert für mich an der Grenze zwischen „in eine andere Rolle schlüpfen“ und „ganz bei sich selbst sein“. Mit dem „Schlüpfen in die Rolle der Akteurin“ kann ich von den unmittelbaren Reaktionen auf das Happening Abstand nehmen. Das ist wichtig, um mich selbst zu schützen. Während der Performance bin ich auf das Handeln im Moment konzentriert. Gedanken, die in die Zukunft oder Vergangenheit schweifen, und das Hinterfragen entstehender Reaktionen weichen und eine genaue Beobachtung und vollständige Handlungsbereitschaft tritt an ihre Stelle. Ich bin ganz ich selbst, zugleich aber auch Akteurin, die eine vorher erdachte, aber sofort auch modifizierbare und auf geschehende Reaktionen anpassbare Idee ausführt.

Eine Performance ist stark vom Ort geprägt, an dem sie passiert. In den letzten Jahren waren offenbar chinesische Metropolen der bevorzugte Ort für deine Kunst. Gibt es auch andere Orte, die dich kreativ inspirieren und wie suchst du diese Orte aus? Spontan oder bewusst geplant?

Ich muss einen Ort erleben, um seine Stimmung aufzusaugen und mich von ihm inspirieren zu lassen. Das passiert meist spontan und oft dann, wenn ich es am wenigsten erwarte. Deswegen ist das planlose Umherstreifen zum guten Freund geworden. Ich bin, wie vorhin erzählt, eher durch Zufall in das Reich der Mitte gestolpert und habe erst im Nachhinein begriffen, wie wichtig der direkte Kontakt mit Menschen, und am besten mit richtig vielen Menschen auf einem Haufen, für meine Arbeit ist. Ich lebe momentan im subtropischen Süden Chinas, weil dort den größten Teil des Jahres fast alles Leben und Erleben im öffentlichen Raum stattfindet. Ich stelle mich für zehn Minuten still in das bunte Treiben der zentrumsnahen Straßen und bin so voll mit Eindrücken, dass ich Bücher füllen kann. Ich bin heute Beobachterin und morgen Akteurin. In beiden Rollen kann ich hier aus dem Vollen schöpfen. Dazu brauche ich immer auch den Gegenpol: Einen Ausblick durch das lange dunkle Lüftungsrohr der Klimaanlage. Minutenlang einer Kakerlake zusehen, die sich gierig über das Mittagessen hermacht. Viel länger, als man eigentlich brauchen würde, am stillen Ört-chen sitzen bleiben, um nach dem Narrenkastl in der Kabinentür zu suchen und es zu finden. Wenn ständige Menschenüberfülle herrscht und der private Rückzugsort kleiner wird, muss man aktiv nach Entlastungsmöglichkeiten für den Geist suchen.

Wo Menschen leben, gibt es für mich Inspiration und Potenzial für Arbeiten.

Katharina Zanon

Was wären die Bedingungen für eine Performance in einer Kleinstadt wie Lienz, die noch dazu deine Geburtsstadt ist? Kann man sich hier zum Beispiel eine künstlerische Provokation vorstellen? Können wir mit so etwas rechnen? Würdest du eine Einladung der Stadt – wenn es denn eine gäbe – annehmen? Oder eine Einladung von Dolomitenstadt?

Wo Menschen leben, gibt es für mich Inspiration und Potenzial für Arbeiten. Wo es Tabus gibt, gibt es Möglichkeiten zur Provokation. Und wo gibt es die nicht? Im Moment gilt meine ganze Aufmerksamkeit den Arbeiten in China, trotzdem trage ich die Heimat im Herzen. Mittlerweile habe ich den nötigen emotionalen Abstand, den es braucht, um an einem Ort, der mit so vielen prägenden Erinnerungen zugepflastert ist, arbeiten zu können. Eine zukünftige Performance in Lienz ist somit für mich vorstellbar und eine Einladung dahingehend würde ich wahrscheinlich mit Freude annehmen.

"meet my 32 bit", Gemeinschaftsarbeit mit Julie Kraftmeier: Zwei Arbeiterinnen belegen im Hof des "Raum mit Aussicht" in Linz Wurstsemmeln auf einer Plastikfolie. Die Folie führt über ein Fenster ins Gebäude. Von dort folgen die Besucher dem Folgeband hinaus und erkennen die sechzig Wurstsemmeln unaufgefordert als Buffet an. In ihren Händen und Mägen befördern sie die Semmeln dann durchs Gebäude.

In deinen beiden aktuellsten Arbeiten „Kantonesen essen“ und „meet my 32-bit“ spielt das Essen eine zentrale Rolle. Was reizt dich an diesem Thema?

Mich interessiert einerseits die ständige Präsenz des Essens als ein die Konsumgesellschaft überschwemmendes Gut. Die zahllosen Straßenbuden der chinesischen Megacities stillen günstig meinen Hunger und stopfen als Zusatzleistung meinen Geist mit neonblinkenden Werbetafeln und Marktgeschrei.

Das Essen sehe ich als einerseits verbindendes und andererseits trennendes Element der zwei Kulturen, mit denen ich mich im Moment am intensivsten auseinandersetze. Die Besonderheiten einer fremden Kultur, die insbesondere auch über das Essen transportiert werden, sind stark mit Stereotypen behaftet.

„A Öschterreicha haut sich gonz anfoch gschwind a Wurschtsemml eini, braucht vielleicht drei oda goa lai zwa Bissn dafia. Dazua stellt er a Bier owe. De Chinesa fischn mit di Essstabelen noch viechisch- oda goa menschlichem Zaig. Wenn se a Reiskorn endlich aufdapickt hobn, saugn se di Nudln dazua woascheinlich duach die Nose.“

Wie ist dein Bezug zu Osttirol, zu deiner Familie und zum literarischen Werk von Christoph, deinem Vater? Gibt es in deinem Leben und in deiner Arbeit Aspekte, die davon beeinflusst sind?

Die lebhaften Bilder der Natur Osttirols in meinen Gedanken haben mir hier in dem mit Feinstaub ummantelten Betondschungel schon über manch trübe Tage geholfen.

Ich habe meinen Vater gekannt, als ich ein Kind war und mich früh von ihm verabschieden müssen. Mit seiner hohen Sensibilität und seinem Einfühlungsvermögen hat er mir damals in kindgerechter Sprache spielerisch Werte mitgegeben, die mich bis jetzt durch mein Leben begleiten: Das Wundern und Fragen stellen nicht aufzugeben. In der Natur unter Tieren und Pflanzen Ruhe finden zu können, wenn das Wundern zu groß und die Fragen zu viele werden.

Als junge Erwachsene durfte ich ihn durch die Beschäftigung mit seiner Kunst und Literatur ein zweites Mal kennenlernen. Poetische und philosophische Worte, die an einen erfahrungsreicheren Geist gerichtet waren, fanden durch seine Bücher zu mir. Die Freude am Schreiben und am künstlerischen Gestalten wurde in mir dank meiner Familie früh geweckt und immer waren genug Freiraum und inspirierende Quellen vorhanden, um die Lust daran frei entfalten und erhalten zu können.

An diesem Arbeitsplatz herrscht absolute Ruhe. Katharina Zanon (auf dem Bild unten bei der Recherche) bearbeitet momentan mit dem kolumbianischen Künstler Nicolas Contreras unnützere - weil fehlgeplante - Bauwerke inmitten von chinesischen Metropolen.

Verrate uns zum Schluss noch etwas über deine künstlerischen und privaten Pläne. Vielleicht auch über deine Träume.

Meine Pläne gehen meist nicht über das zukünftige halbe Jahr hinaus und ich lasse dabei gerne dem Zufall genug Platz, um seinen Senf dazuzugeben. Ein Wunsch an mich selbst gerichtet ist, meine spielerische Kindlichkeit und Neugierde zu erhalten. Für mich als bald freischaffende Künstlerin ist es zudem wichtig, auf Systeme fernab des Kunstmarktes zurückgreifen zu können, die ein finanzielles Überleben sichern, damit ich meiner Arbeit genug Zeit und Energie widmen kann, um sie fortführen und weiterentwickeln zu können und um die Kunst von den Grenzen, die eine Vermarktung im herkömmlichen Sinn nach sich zieht, zu befreien.

Momentan bearbeite ich mit Nicolas Contreras, einem Künstler aus Kolumbien, die leerstehenden und unnützbaren, weil fehlgeplanten, Bauwerke in den chinesischen Riesenstädten. Daran fasziniert uns der krasse Gegensatz von den menschenübervollen, lauten und hektischen Stadtgebieten unmittelbar neben Orten, in denen man weit und breit keiner Menschenseele begegnet und wo absolute Ruhe herrscht.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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