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Maria Vill in ihrem Innsbrucker Atelier. Foto: Toni Schade | sonaar

Maria Vill in ihrem Innsbrucker Atelier. Foto: Toni Schade | sonaar

Wer A sagt, muss nicht unbedingt B sagen

Die Kunst der Maria Vill. Oder: Wie ein Zeichen zur Form wird, die über sich selbst offenbar unendlich viele Aussagen machen und trotzdem immer nur sich selber bedeuten kann.

Über Anton Zollers Ostergrab in der Lienzer Pfarrkirche St. Andrä wird berichtet, dass ein Bauer aus Osttirol beim Versuch, die Szenerie zu erklimmen, kläglich zu Sturz kam. Er hatte ein geschickt komponiertes Gebilde aus Farbe und Form mit einer Treppe verwechselt. Wer nun aber meint, das Missgeschick seinem schlichten Gemüt zuschreiben zu müssen, der irrt: Der Osttiroler Bauer kann auf einen in die Antike reichenden Stammbaum verweisen. Dem griechischen Maler Parrhasios gelang es, mit seiner Kunst den berühmten Kollegen Zeuxis zu täuschen. Cimabue gelang es hingegen nicht, eine Fliege, die Giottos Pinsel seiner Madonna auf die Nase gesetzt hatte, zu verscheuchen. Es sieht ganz so aus, als sei es – wenigstens zeitenweise – die vornehmste Aufgabe der Maler gewesen, den Kunstverstand ihrer Konkurrenten zu desavouieren. Alle waren bemüht um den Ruf als unüberbietbare Meister des Realismus. Was aber ist an einer gemalten Fliege oder einer gemalten Treppe real?

Doch wohl Farbe und Form! So wenigstens sieht es eine Richtung der Kunst, die man „konkret“ nennt. Sie beruft sich auf die ihr zur Verfügung stehenden Mittel und will darüber hinaus keine Bedeutung erzeugen. In der fast unüberschaubaren Fülle verwandter Bestrebungen zwischen Konstruktivismus, konkreter Kunst und Minimal Art – die es übrigens allesamt nicht erst seit gestern gibt – hat Maria Vill sich ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen, das einer Marke gleichkommt und über die Forderung des Konkreten hinaus auf weitere Beschränkungen setzt: auf die (Nicht-) Farbe Weiß, das neutrale quadratische Bildformat und den Buchstaben A. Wenn der Privatdetektiv Harry Angel im Telefonbuch ganz vorne steht, bleibt seiner Konkurrenz nichts anderes übrig, als um den Rest des Alphabets zu wetteifern.

Buchstaben sind die kleinsten selbstständigen Einheiten des Schriftsystems, in der Regel aber nicht Träger einer selbstständigen Bedeutung. Sie unterscheiden Bedeutungen und sollten sich daher auch voneinander und, um überhaupt lesbar zu sein, von ihrer Umgebung hinreichend unterscheiden. Seit Anfang der 1990er Jahre bestimmt der Buchstabe A, schnörkellos und auf seine grundlegenden Gestaltmerkmale reduziert, die Struktur in den Bildern von Maria Vill. Die gebürtige Matreierin hat sich konsequent einer Malerei verschrieben, die nicht danach fragt, was eine Form als Zeichen bedeutet und aussagt, sondern wie ein Zeichen zur Form wird, die über sich selbst offenbar unendlich viele Aussagen machen und trotzdem immer nur sich selber bedeuten kann. Sie stellt sich damit in eine inzwischen hundertjährige Tradition, deren Motto „der reine Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz ist“ (Max Bill).

Seit einigen Jahren beschäftigt sich Maria Vill intensiv mit dem Medium Fotografie. Foto: Helmut Niederwieser.

Wer A sagt, muss also nicht zwangsläufig B sagen, aber wer auf den Ball geht, der muss auch tanzen. So will es das italienische Äquivalent dieses Konsequenz einfordernden Sprichworts. Um dem Spiel mit Farbe und Form, Motiv und Umgebung neue Impulse zu geben, hat Vill, die abwechselnd in Innsbruck und Wien lebt, vor allem aber in Amsterdam, dem „Venedig des Nordens“, dessen eigenartiges Licht es ihr angetan hat, sich in den letzten Jahren intensiv mit einem Medium beschäftigt, das man in seiner Reduktion auf Licht und Schatten „konkrete Fotografie“ nennen könnte. Allerdings kalkuliert die Künstlerin auch ganz bewusst mit der praktisch universellen Übereinkunft, die mit der Form A zwangsläufig auch den entsprechenden, in den verschiedenen Sprachen allerdings auch verschieden klingenden Laut in Verbindung bringt. Die Rückbesinnung und Selbstbeschränkung der bildenden Kunst auf ihre eigenen Mittel und Grenzen werden so zur ständigen Grenzüberschreitung auf das Gebiet der Sprache und der Poesie.

Maria Vill im Web
Maria Vill in der Dolomitenstadt-Galerie

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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