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Foto: iStock/Martine Doucet

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Erzeugt bloßes Schütteln von Wörtern sinnvolle Sätze?

Und was muss man beim ab und zu Abschreiben noch alles bedenken?

Wie Leser von dolomitenstadt.at vielleicht wissen, schreibe ich ab und zu. Ich hatte im Vorjahr eine Talentprobe an den Herrn Doktor Pirkner geschickt, in der Hoffnung, damit ein längeres Dienstverhältnis zu initiieren. „Schreiben Sie, nur zu!“ bekam ich zur Antwort. Darauf schrieb ich nur: „zu“. Das war dem Herrn Pirkner aber zu wenig. Ich hätte ihn offenbar nicht richtig verstanden oder in seiner Antwort den Beistrich und das Ausrufungszeichen am Schluss übersehen. „Nur zu“ sei ein Zusatz zum Hauptsatz, mit dem er meinen künftigen Einsatz beglaubigen wollte. Zum branchenüblichen Richtsatz, versteht sich. Daraufhin schrieb ich „ab“, das war leider auch nicht genügend. Beim dritten Mal hat es endlich geklappt. Seither schreibe ich ab und zu.

Um zu zu schreiben, muss man nur zwei Buchstaben können. Um zuzuschreiben, wesentlich mehr. Zuschreiben bedeutet, in der Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaft beispielsweise, ein Werk mit einem bestimmten Verfasser in Verbindung zu bringen und in der Folge dessen Urheberschaft nachzuweisen. Das geschieht durch den Vergleich stilistischer Eigenheiten und anhand von schriftlichen Quellen, in der Regel in Zusammenhang mit Autoren, die selbst keine Auskunft erteilen, weil sie nicht können oder längst schon verstorben sind. Die Beweislast trägt der, der sich an ein solches Unternehmen herangewagt hat, und das Ergebnis ist auch nur so lange gültig, bis ein anderer mit besseren Beweisen daherkommt. So funktioniert Wissenschaft.

Auf diese Weise stützt sich im Laufe der Jahre und Jahrhunderte eine Autorität auf die andere. „Wir sind Zwerge, aber weil wir auf den Schultern von Riesen sitzen, sehen wir weiter als sie.“ Das Zitat stammt wahrscheinlich von Bernhard von Chartres, einem frühscholastischen Philosophen. Seit er gestorben ist, sind fast 900 Jahre vergangen, und es haben sich tausende Zwerge auf ihn getürmt. Man wird nicht gerade behaupten, dass diese auch immer kleiner geworden sind. „Ist der Zwerg auf den Schultern des Riesen nicht immer größer als der Riese selbst?“ hat sich Johann Gottfried Herder gefragt. Auf jeden Fall aber wird für die wirklichen Zwerge die Luft immer dünner.

Je mehr im Laufe der Zeit gedacht, gesagt und geschrieben wurde, desto schwieriger wird es, Sätze zu formulieren, die nicht schon ein anderer gesagt und geschrieben hat. Unser Wissen ist mittlerweile so groß, dass es im Kopf eines Einzelnen längst nicht mehr Platz hat. Im weltweiten Netz aber schon. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagt Ludwig Wittgenstein, der damit nicht unbedingt die Grenze zur Slowakei gemeint hat. Wittgenstein hat Maschinenbau studiert und die Sätze der Technik und der Naturwissenschaften streng von den Sätzen der Logik getrennt. Letztere sagen nämlich nichts über die Welt aus, sie zeigen lediglich deren Struktur.

Innerhalb der Grenzen dieser Struktur sind viele Aussagen möglich. Das ist jedoch keine Frage der Kombinatorik, die durch bloßes Schütteln von Wörtern sinnvolle Sätze hervorbringen würde. Jede Sprache hat ihre Grammatik, um auch Modelle für Sachverhalte zu garantieren. Wenn man sie nicht beherrscht, kann man immer noch die Dienste eines Ghostwriters in Anspruch nehmen, wobei die Wahl nicht gerade auf jemanden fallen sollte, dessen Sprachkompetenz nicht einmal für ein Posting auf Dolomitenstadt reicht. Dann sollte man „ghost“ besser nicht mit „Geist“, sondern mit „Phantom“ übersetzen, denn obwohl dieser Geistschreiber anonym und gar nicht mehr da ist, kann er seinem Dienstherrn noch lange Zeit Schmerzen bereiten.

Plagiatsvorwürfen geht man am leichtesten aus dem Weg, wenn man ein bestimmtes Bildungsniveau nicht überschreitet. Wenn wir in einer Volksschularbeit die Behauptung aufgestellt haben, dass eins und eins zwei sei, mussten wir nicht gleich Adam Riese zitieren, und das Absingen der Bundeshymne galt auch nicht als Plagiat. Zumal unser Gesang mit Mozart ohnehin nur wenig zu tun hatte. Einmal allerdings hatte der Lehrer in meinem Aufsatz auffallende Parallelen zu dem meines Banknachbarn festgestellt. Da unser Curriculum aber noch mit keinem Titel gekrönt war, konnte uns auch keiner aberkannt werden. Wir wurden nur wegen der „Einnahme verbotener Substanzen“ ein Jahr lang gesperrt.

Um ab zu schreiben, muss man auch nur zwei Buchstaben können. Um abzuschreiben noch weniger. Vor ziemlich genau vierzig Jahren hat mir ein pensionierter Oberstudienrat einmal dieses erklärt: „Wenn einer aus einem Buch abschreibt, wird daraus eine Diplomarbeit. Wenn er aus zwei Büchern abschreibt, eine Dissertation, und wenn er aus drei Büchern abschreibt, „dann wird’s a neich’s Biachl.“ Der Mann war aus Wien, das ist in der Nähe von Preßburg. Dort kursierte zur selben Zeit eine Weisheit, die ähnlich, doch weniger lebensfern war: Wenn man zum ersten Mal beim Schwarzfahren erwischt wird, bleibt es bei einer Verwarnung, beim zweiten Mal zahlt man dann soundso viel. Nach dem dritten Mal wird man selbst Kontrolleur.

Daher: Nur zu, beim dritten Anlauf klappt es bestimmt! Mit einer Beschäftigung als Plagiatssachverständige(r) oder gar mit einer Professur.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

3 Postings

Chronos
vor 3 Jahren

Feiner sprachlicher Umgang und auch mit einer Person, welche nicht genannt, jedoch zuletzt aus ihrer Sicht, zu häufig in den Medien negativ vertreten war. Die Ironie kann man sich nicht verkneifen, wobei zu einem dritten Anlauf aufgerufen wird und mit einer Beschäftigung als Plagiatssachverständige(r) oder gar mit einer Professur gelockt wird. Das alles eingepackt in einer Erklärung eines pensionierten Oberstudienrats.

 
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vielleserin
vor 3 Jahren

Sehr geehrter Herr Ingruber, ich bin froh, dass Sie festhalten, dass meine Aussagen nicht auf Plagiate untersucht werden müssen. Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen um zu arbeiten und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen um in die Schule zu gehen. Darum habe ich nicht nur die Balkanroute sondern auch die Schulen geschlossen. Ob das mit Punkt und Beistrich richtig ist, wird eine Überprüfung zeigen, aber wenn Sie sieben Wissenschaftler fragen, bekommen Sie zehn verschiedene Antworten. Wenn Sie mich nur mal kurz meinen Satz fertig machen lassen, bis dahin sind die Maßnahmen nicht mehr in Kraft, die Auswirkungen und das ewige Anpatzen durch die Medien haben die Leute schon wirklich satt.

 
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Sonne99
vor 3 Jahren

Okei. Es ist 11.42: Wir essen, Oma! oder Wir essen Oma.

 
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