Der Boden ist eine limitierte, ökologisch und ökonomisch wertvolle Ressource, die zusammen mit Wasser und Luft eine zentrale Grundlage für Leben darstellt, und übernimmt eine Vielzahl an Funktionen: Er ist Grundlage unserer Nahrungsproduktion sowie unseres Rohstoffbedarfs und Bestandteil der natürlichen Wasser- und Stoffkreisläufe und spielt somit auch eine große Rolle in der Abflussregulierung. Er wirkt als Filter und Puffer gegenüber Schadstoffeinträgen und schützt unsere Gewässer und das Grundwasser.
Zusätzlich beinhaltet der Boden viele Informationen über die natürliche Entstehung und die historische Nutzung und ist somit ein wertvolles und komplexes Archiv der Kultur- und Naturgeschichte. Auch im Klimawandel spielt der Boden direkt (z. B. als CO2-Speicher) und indirekt (z. B. durch seine Kühlfunktion) eine zentrale Rolle. Bodenverlust und Bodenbeeinträchtigungen sind – in menschlichen Zeiträumen betrachtet – nicht regenerierbar.
Trotz dieses Wissens schreitet der Bodenverbrauch auch in Österreich stetig voran, wie dies beispielsweise auch im kürzlich vom WWF präsentierten „Bodenreport 2021 – Die Verbauung Österreichs“ eindrucksvoll dargelegt wurde.
Diese Entwicklung macht vor dem Lienzer Talboden nicht halt. Auch hier gehen zunehmend mehr Freiraum und Boden und damit landschaftliche Schönheit und „Lebensraum“ im eigentlichen Sinn des Wortes verloren. Ob Shoppingzentren, Gewerbegebiete, Parkplatzflächen, Industrieanlagen oder Verkehrsflächen – der Bodenverbrauch schreitet mehr und mehr voran. Aus gegebenem Anlass versucht sich die Naturkundliche Arbeitsgemeinschaft Osttirol (NAGO) am Beispiel des Lienzer Talbodens diesem komplexen Thema zu nähern.

Die Veränderung des Lienzer Talbodens im Laufe der Zeit
Wie sehr sich der Lienzer Talboden seit Beginn des 19 Jhd. und insbesondere in den letzten Jahren verändert hat, sieht man einerseits in alten Ansichten, andererseits auch in der nachfolgenden Slideshow recht augenscheinlich. Diese stellt auf Grundlage einer Analyse von alten Karten und Luftbildern die Veränderung im Zeitverlauf dar. Durch die einfache Fortschreibung des Trends des Flächenverbrauchs der letzten zehn Jahre (25 ha neue Siedlungs- und Gewerbeflächen) wird auch ein Blick in die Zukunft bis 2050 gewagt. Auch wenn dies natürlich keine flächenscharfe Darstellung sein kann, zeigt sich doch wie knapp der Raum im Lienzer Talboden in naher Zukunft werden kann.
Die Gesamtbilanz dieser Entwicklung ist im nachfolgenden Diagramm plakativ dargestellt: Die Abnahme der landwirtschaftlichen Flächen und des Waldes (v.a. Auwaldes) zugunsten von Siedlungen und Gewerbeflächen seit 1950 ist augenscheinlich. Siedlungen, Gewerbe und andere Infrastrukturflächen haben deutlich an Fläche gewonnen – nämlich von 2,0 km² im Jahr 1950 auf über 5,5 km² im Jahr 2019. Allein in den letzten zehn Jahren wurden weitere 0,25 km² (=25 ha) verbaut, vor allem auf Kosten von landwirtschaftlichen Flächen.

Der Boden aus ökologischer Sicht
Der Boden ist nicht nur elementarer Lebensraum für den Menschen, sondern auch für Tiere und Pflanzen. Besonders „wertvolle Böden“ im ökologischen Sinn können beispielsweise seltene Pflanzengemeinschaften beherbergen und spielen somit eine wichtige Rolle im Arten- und Biotopschutz. Der zunehmende Verlust an Boden und Lebensraum, sowohl betreffend Qualität als auch Quantität, ist zum Beispiel anhand der Vogelfauna deutlich erkennbar: So ist etwa der Bestand der Feldlerche (Alauda arvensis) – einer der Charaktervögel extensiv bewirtschafteter Felder – im Lienzer Talboden auf einzelne wenige Paare zurückgegangen. Es ist nur mehr eine Frage weniger Jahre, bis hier die letzten Paare verschwunden sind. Nennenswerte Bestände finden sich mittlerweile nur mehr an einigen wenigen Plätzen oberhalb der Waldgrenze, wo (noch) ausreichend gut geeigneter Lebensraum vorhanden ist.

Typische Brutvögel der extensiv genutzten Kulturlandschaft, wie etwa das Schwarzkehlchen, findet man im Lienzer Talboden nur mehr punktuell. Etwas anspruchsvollere Arten, wie etwa das Braunkehlchen, zur Brutzeit gar nicht mehr. Nur mehr zur Zugzeit zwischen Mitte März und Mitte Mai lässt sich erahnen, welche Artenvielfalt auch aus ornithologischer Sicht in den Tallagen Osttirols möglich gewesen ist und zweifelsfrei früher vorhanden war. Alljährlich können hier in Österreich bereits verschwundene Vogelarten beobachtet werden, wie etwa der Ortolan, dessen letzter österreichischer Brutplatz in Nordtirol seit einigen Jahren verwaist ist.
Der „stumme Frühling“ wird Schritt für Schritt auch in Lienz Realität.
Aber auch für viele Pflanzenarten hatte die Umformung des Lienzer Talbodens in den letzten 200 Jahren massive Folgen: Aufgrund verlässlicher historischer Quellen und aktueller Studien wissen wir, dass zumindest 13 Pflanzenarten, die ehemals im Lienzer Talboden vorkamen, heute hier und damit zugleich in ganz Osttirol ausgestorben sind. Ehemals auftretende Arten wie der Kammfarn (Dryopteris cristata), die Drachenwurz (Calla palustris) oder das Wanzen-Knabenkraut (Orchis coriophora) sind auf ganz bestimmte Lebensräume beschränkt und damit ökologisch „eng eingenischt“.
Ihre Bestände lassen sich damit nicht beliebig regenerieren, intensive Landnutzungen und letztlich Verbauung und Bodenverbrauch fixieren ihr endgültiges Schicksal, dem viele andere Arten immer näher rücken. Übrig bleibt eine „globalisierte“, austauschbare Pflanzenwelt, in der wenige Allerweltsarten und Neophyten (gebietsfremde Arten) vorherrschen und regionale Besonderheiten und Eigenständigkeiten verschwinden.


Bodennutzung – wofür?
Die entscheidende Frage ist: Wie und wofür wollen wir Grund und Boden nutzen? Siedlungsentwicklung, neue Gewerbestandorte, landwirtschaftliche Nutzung, Hochwasserschutz, Naturschutzgebiete oder...?! Die Nutzungsansprüche sind vielfältig, die Begehrlichkeiten groß und monetäre Aspekte stehen vielfach im Vordergrund. Fakt ist: Grund und Boden sind nicht vermehrbar!
Es will daher gut überlegt sein, wofür welche Fläche verwendet wird. Die Instrumente dafür liegen mit dem Örtlichen Raumordnungskonzept und dem Flächenwidmungsplan vor, wenngleich in einigen Punkten Anpassungen wünschenswert wären. Ihre konsequente und kompromisslose Anwendung ist gefragt, um die Reduktion des Flächenverbrauchs zu erreichen. Unbedingt erforderliche Infrastrukturen (Wohnen, Gewerbe, Verkehr, Industrie) sind möglichst bodensparend umzusetzen. Das bedeutet z.B. die Errichtung von Tiefgaragen statt flächenintensiver Parkplätze, der Bau von mehr- statt eingeschossigen Gebäuden oder die Reduktion der Flächenversiegelung auf das unbedingt erforderliche Maß. Die Nach- und Umnutzung von bereits bebauten Flächen und Leerständen muss ebenso forciert werden, wie die Rekultivierung von nicht mehr genutzten Flächen (vgl. Berktold et al. 2019).
Um diese Maßnahmen in die Tat umzusetzen, bedarf es des breiten politischen Willens für den nachhaltigen Umgang mit der wertvollen Ressource Boden wie auch mit der Natur als Ganzes. Soll der Zielwert lt. Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) des Flächenverbrauchs von maximal 2,5 Hektar pro Tag erreicht werden, sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen, um eine wirksame überregionale und lokale Steuerung zu ermöglichen.
Schlussendlich liegt es wohl an uns allen, den hohen Wert der „endlichen“ Ressourcen Boden und Natur zu erkennen und uns für deren Erhaltung einzusetzen. Nur mit einem gemeinsamen Kraftakt werden wir es schaffen, Boden und Natur mit ihren vielfältigen Funktionen für uns und unsere Kinder – auch im Lienzer Talboden – zu erhalten. Die Zeit drängt ...
Literatur:
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2002): Die österreichische Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung. Eine Initiative der Bundesregierung. Wien. 110 S.
Berktold, E., Auer, E., Baumgartner, A., Baur, Drechsler, C., Joas, M., Ortner, R., Riedl, M., Sailer, S., Schöggl, R., Sprenger, D., Stampfer, C.; (2019): Lebensraum Tirol. Agenda 2030. Raumordnungsplan. Athesia Druck. Innsbruck. 76 S.
WWF (2021): WWF-Bodenreport 2021: Die Verbauung Österreichs. Umweltverband WWF Österreich. 1160 Wien. 35 S.
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