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Was geschah vor der Auferstehung am dritten Tag? 

Die Passionsfresken der Wallfahrtskirche von Obermauern thematisieren Jesu „Abstieg in das Reich des Todes“. 

„Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das versprach Jesus dem zu seiner Rechten gekreuzigten Schächer, der ihn gebeten hatte, an ihn zu denken, wenn er in sein Reich komme. Die Ohrenzeugenschaft des Gesprächs ist umstritten, sahen Jesu Anhänger bei seiner Hinrichtung doch nur „von Weitem zu“. Wie auch immer – Jesus verstarb am Karfreitag um die neunte Stunde, also um 15.00 Uhr. Begraben wurde er „kurz bevor der Sabbat anbrach“. Zeit genug, um noch am selben Tag eine wichtige Mission zu erfüllen?

„Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus“, heißt es im nicäno-konstantinischen Glaubensbekenntnis, „hat gelitten, ist begraben worden und am dritten Tage auferstanden nach der Schrift.“ Was aber geschah dazwischen? Über die Jahrhunderte haben sich Christen diese Frage gestellt, die durch den Einschub, den das Apostolische Glaubensbekenntnis macht, nur zum Teil beantwortet ist: Nach der Grablegung sei Jesus „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ oder, wie es im lateinischen Text heißt: ad inferos. „Zur Hölle“, hat man vor wenigen Jahrzehnten bei uns noch gebetet.

Seither ist die Hölle ganz aus der Mode gekommen, und die Vorstellung, dass ausgerechnet Jesus Christus nach der neuen Zeitrechnung der erste gewesen sein sollte, der sie betreten hat, erscheint uns nachgerade als Blasphemie! Und trotzdem: Die Höllenfahrt Christi hat Theologen, Künstler und einfache Gläubige immer beschäftigt. Das apokryphe Nikodemusevangelium hat die wenigen und schwer verständlichen Verweise des Neuen Testaments im 6. Jahrhundert konkretisiert und dramatisch entfaltet. Zu spät allerdings, um noch eine Eintrittskarte in den zweihundert Jahre zuvor abgeschlossenen Bibelkanon zu lösen.

„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ – Der Auferstandene betritt eine von Teufeln verteidigte Festung. Fresko in der Kirche von Obermauern, gemalt von Simon von Taisten in den frühen 1480er Jahren. Foto: Christoph Gaggl

Dennoch war sein Einfluss enorm. Die Rezeption des Nikodemusevangeliums fand ihren Niederschlag in zahlreichen bildlichen und seit dem Hoch- und Spätmittelalter auch in literarischen Bearbeitungen, im Passionsspiel und in Dantes „Göttlicher Komödie“. In den frühen 1480er Jahren hat Simon von Taisten das Thema in den Passionsfresken der Wallfahrtskirche von Obermauern zwischen Grablegung und Auferstehung behandelt und sich dabei auf den Text und die Illustrationen des kurz zuvor in Augsburg unter dem Titel „Ein loblicher Passion“ erschienenen Traktats des Prager Theologen Heinrich von St. Gallen berufen.

Über einen herabgefallenen Türflügel betritt Christus im Purpurmantel und bewehrt mit der Siegesfahne des Auferstandenen eine von Teufeln verteidigte Festung. Flammen schlagen aus dem Tor und den Fenstern der Burg, von deren Zinnen herab der Herr der Unterwelt persönlich versucht, seine Gefangenen vor ihrem Entrinnen mit einem riesigen Stein zu erschlagen. Es sind jene Gerechten, die, angeführt vom ersten Elternpaar, vor Jesu Erlösertod gestorben sind und seither auf ihre Befreiung aus der Vorhölle warten. Bei Adam und Eva macht das immerhin rund fünfeinhalbtausend Jahre!

Hinter Christus steht Dismas, der rechte Schächer, der ihnen bezeugt, dass das Versprechen, das Jesus ihm vor seinem Tod gegeben hat, jetzt eingelöst ist: „Heute noch …“ meint aber unzweideutig den Karfreitag, und selbst wenn Jesus seine Heilstat in den wenigen Stunden vollbracht hätte, die ihm an diesem Datum noch blieben, was tat er dann am Karsamstag? Oder war mit dem verheißenen Paradies nicht der Himmel, sondern gar die Vorhölle gemeint? Dann allerdings hätte er sich einen weiteren Tag Zeit nehmen können.

Hortus Delicarium, behütet in Abrahams Schoß. Darstellung von Herrad von Landsberg (1125–1195). Repro: Dnalor/CC-BY-SA 3.0

Dass auch die Theologie eine ernstzunehmende Wissenschaft ist, erkennt man daran, dass jedes gelöste Problem neue Probleme aufwirft. Mit dem gravierenden Unterschied aber, dass man frühere Lehrmeinungen nicht einfach als falsch abtun kann, sondern in die späteren irgendwie einbauen muss. Orte, an denen Verstorbene bis zum Tag seiner Wiederkunft zwischengelagert wurden, kannte schon Jesus selbst. Im Gleichnis vom armen Lazarus leidet der unbarmherzige Reiche in der Unterwelt qualvolle Schmerzen. Ein Stockwerk höher wird Lazarus von Engeln in „Abrahams Schoß“ gelegt – damals wie heute ein Synonym für das Paradies!

Spätere Theologen haben daraus den Limbus patrum, die Vorhölle der Väter gemacht, die jedoch, wie wir sahen, bereits in den Tagen zwischen dem Tod und der Auferstehung Jesu leergeräumt war. Übrig blieb somit nur noch die richtige Hölle, aus der es keinerlei Rettung mehr gab. Vom Fegefeuer wussten die Theologen bis zum 12. Jahrhundert noch nichts. Nachdem der heilige Augustinus die Erbsünde in das menschliche Genom gepflanzt hatte, musste man sich dafür aber nach einem Ort für die Ungetauften umschauen. Man fand ihn im Limbus puerorum, in der Vorhölle der Kinder.

Im Gegensatz zu den Insassen des Fegefeuers saßen die Kinder im Limbus puerorum unschuldig, dafür aber in alle Ewigkeit ein. Freilich versuchten etliche Theologen ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen: Peter Abelaerd erließ ihnen die körperliche Bestrafung und Hugo von Straßburg gönnte ihnen sogar eine Fußbodenheizung, indem er ihren Ort unmittelbar über der Hölle platzierte. Trotzdem: Der Himmel und die Anschauung Gottes blieben ihnen noch lange verwehrt. Für die katholische Kirche war deshalb die Nottaufe, die auch von Laien durchgeführt werden konnte, die bessere Option.

„Für den Erwachsenen kann ein Akt der Liebe genügen, um der heiligmachenden Gnade teilhaft zu werden und die fehlende Taufe zu ersetzen; aber dem noch nicht oder soeben geborenen Kind steht dieser Weg nicht offen“, appellierte noch 1951 Pius XII. an die Hebammen, zu deren Gerätschaft – im Pustertal sogar bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – auch die „Taufspritze“ zählte, mit der sie das Taufwasser notfalls auch in den Mutterleib einleiten konnten. Erst 2007 wurde dem Limbus puerorum, als einer „vom kirchlichen Lehramt nicht unterstützten theologischen Meinung“ mit päpstlichem Segen der Garaus gemacht.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

10 Postings

aktuell
vor einem Jahr

Erschreckend, welche Behauptungen die christliche Theologie den Menschen aufgezwungen hat. Viele Zweifler an diesen wirren Geschichten wurden gefoltert und am Scheiterhaufen verbrannt.

 
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    r.ingruber
    vor einem Jahr

    Keine Sorge, aufgrund seiner Zweifel an der Vorhölle wurde niemand verbrannt.

     
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      unholdenbank
      vor einem Jahr

      ====> @r.ingruber: Woher wissen Sie das so genau???

       
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      Herr_Ethiker
      vor einem Jahr

      @unholdenbank Und woher wissen Sie vom Gegenteil? Obwohl ich mit Ihnen Inhaltlich oft einverstanden bin, sehe ich mich bei jedem Ihrer Postings gezwungen, "stimme nicht zu" zu drücken. Das liegt an der Penetranz, mit der Sie jedes mal Ihre Unwissenheit vorführen. Ich erinnere an unseren Disput unter Hrn. Ingrubers Artikel zur Naturteleologie.

       
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      unholdenbank
      vor einem Jahr

      =====> @Herr_Ethiker: Erstens Im Gegensatz zu @r.ingruber habe ich NICHT behauptet, dass in der Vorhölle niemand verbrannt sei, sondern lediglich die Frage gestellt, woher Herr @r.ingruber das so genau wisse. Und Zweitens sollte man nichts zwanghaft tun. Und Drittens woher wollen Sie wissen, dass ich unwissend bin. Aber, wie so oft hier, wenn man in der Sache nix zu sagen hat, wird man persönlich.

       
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      r.ingruber
      vor einem Jahr

      @unholdenbank, dass in der Vorhölle niemand verbrannt sei, haben Sie nicht im Gegensatz zu @r.ingruber NICHT behauptet, damit aber geschickt von Ihrer ursprünglichen Frage abgelenkt, woher @r.ingruber das so genau wisse. Seit wann wird denn in diesem Forum Wissen gepostet?

       
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iseline
vor einem Jahr

Trotz höllischer Abgründe, einfach köstlich zum Lesen!

 
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iwases@
vor einem Jahr

Jaja, man kann nicht früh genug anfangen mit dem Spritzen, wobei der Grundstoff der "Taufspritze" wohl erwiesenermaßen nebenwirkungsfrei sein dürfte, vorausgesetzt die hygiensichen Standards wurden eingehalten. Na dann frohe Ostern!

 
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Herr_Ethiker
vor einem Jahr

Die Unterschrift des zweiten Bildes finde ich spannend. "Ortus" leitet sich von "oriri" - "etstehen" ab und bedeutet "Entstehung" oder "Aufgang". Ortus deliciarum wäre also der Aufgang des Genusses... in Abrahams Schoß. Beim Gedanken, dass die im Paradies ohne Kleidung herumrennen, erscheint mir das sehr einleuchtend.

 
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    r.ingruber
    vor einem Jahr

    Da haben Sie wohl Recht, @Herr_Ethiker, „Hortus“ müsste es heißen – was dem Sinn Ihres Postings aber keinerlei Abbruch tun würde.

     
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