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Carretera Austral: Auf dem Fahrradhighway durch Südchile

Tausende Soldaten schufteten beim Bau der 1300 Kilometer langen Piste. Es ist eine der abgelegensten Sackgassen der Welt.

Nach unserer spektakulären Wanderung zum südlichen Eisfeld und dem großen Glück, Cerro Torre und Fitz Roy bei wunderbarem Jänner-Hochsommerwetter gesehen zu haben, steht uns eine unter Radler:innen berühmt berüchtigte Grenzüberquerung von El Chaltén in Argentinien nach Villa O'Higgins in Chile bevor. Jede Radlerin und jeder Radler hat eine eigene Geschichte dazu. 

Von "Hätte ich vorher gewusst, wie anstrengend das wird, hätte ich mich sicher dagegen entschieden" bis "war gar nicht so schlimm, wir konnten sogar einiges radeln". Im Kontakt mit Radreisenden wird einem schnell klar, dass trotz des gemeinsamen Fortbewegungsmittels erhebliche Unterschiede im Reisestil bestehen. So manches Paar schleppt zwei elektrische Zahnbürsten mit sich herum, während andere den Stiel ihrer Plastikzahnbürste kürzen, um ein paar Gramm zu sparen. Die Frage, ob Klappstühle auf einer Radreise top oder flopp sind, sorgt immer wieder für Gesprächsstoff. Wie ihr seht, gibt es eine ganze Welt an Möglichkeiten, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. 

Unterwegs auf Schotterpisten zum Lago del Desierto. Wenn sich der Staub vorbeifahrender Autos legt, hat man einen tollen Blick auf den Fitz Roy!

Wir verlassen El Chaltén und radeln auf einer eher schlechten Schotterpiste zum Lago del Desierto. Es herrscht einiges an Verkehr und die vielen Tagesausflügler stauben uns im Vorbeifahren ordentlich ein. Hat sich der Staub gelegt, werden wir mit tollen neuen Blicken auf den Fitz Roy verwöhnt. Die überteuerte Fähre bringt uns mitsamt unseren Rädern in einer Stunde ans andere Ufer. Das kleine Gebäude der argentinischen Grenzpolizei steht in idyllischer Lage einsam am See. Ein Beamter erwartet uns in einem sehr spartanisch eingerichteten Raum. Tisch, Stuhl, ein Gemälde an der Wand. Auf dem Tisch ein dickes Buch, in dem unsere Daten erfasst werden, und ein Stempel. Mehr braucht es nicht.

Nun folgt der anspruchsvolle Teil, der Weg hinauf zum Grenzstein. Ein Wanderweg über fünf Kilometer und 300 Höhenmeter durch den Wald bis nach Chile. Der Anfang ist steil, sehr steil. Teils zu zweit schieben wir die Fahrräder aufwärts. Gemeinsam mit Maud aus Holland, Julien aus der Schweiz und Axel aus Schweden meistern wir die Herausforderung und haben auch noch Spaß dabei. Es gilt Bäche zu durchqueren, Baumstämme zu überqueren, Felsen zu übersteigen. In der Sonne ist es richtig heiß und wir haben großes Glück mit dem guten Wetter. Bei Regen wird der Steig schnell zu einer mühsamen Schlammpartie. In gut vier Stunden haben wir unsere Räder an den Grenzstein geschleppt. Gar nicht so schlimm wie erwartet! Chile begrüßt uns mit einer gut befahrbaren Schotterstraße, die hinunter zum nächsten See führt.

Der Grenzübergang von El Chaltén in Argentinien nach Villa O'Higgins in Chile hat es in sich.
Es gilt Bäche zu durchqueren, Baumstämme zu überqueren, Felsen zu übersteigen.

Bald darauf erreichen wir den chilenischen Grenzposten. Was für ein Kontrast! Wir sitzen in einem voll eingerichteten Büro und werden im Computer registriert. Das Prozedere dauert eine gefühlte Ewigkeit. Fragen nach Beruf, Beziehungsstatus, Grund des Aufenthaltes und so weiter. Chile wird nicht umsonst als Deutschland Südamerikas bezeichnet. Immerhin sind die Beamten hier nicht so streng, was die Einfuhr von frischem Gemüse betrifft. Wir dürfen unsere verbliebenen zwei Karotten, die Zwiebel und ein paar Knoblauchzehen fürs Abendessen behalten. 

Neben den Grenzbeamten wohnt hier in Candelario Mansilla am weit abgelegenen Ende des Lago O'Higgins eine Familie, deren Grundstück die einzige Möglichkeit zum Campieren bietet. Das Wasser für die Dusche wird mittels Holzofen erwärmt und eine Scheune dient als Gemeinschaftsraum zum Kochen und Essen. Einfache Verhältnisse im abgeschiedenen Patagonien. Keine Straße führt hierher, die einzige Möglichkeit zur Weiterreise geht über den See. Neben unseren vier Zelten stehen noch einige mehr und es kursieren die ersten Gerüchte über die Platzvergabe für das kleine Boot morgen früh. 

Genau dieses Boot sorgt immer wieder für ungewollt lange Aufenthalte. Das stürmische Wetter am Lago O'Higgins bestimmt den Fahrplan. Das Boot fährt regelmäßig unregelmäßig. Wer Pech hat, bleibt tage- manchmal auch wochenlang hier in der Einöde hängen. Täglich kommen weitere Radreisende und Wandernde an. In Anbetracht der herausfordernden Strecke nimmt kaum jemand Essen für eine Woche mit. Wir hören wilde Geschichten von tagelanger Porridge-Diät, Beeren sammeln und Brot backen. Wenn das nicht mehr ausreicht, dürfen Freiwillige dabei helfen, eine der wild herumlaufenden Kühe einzufangen und zu schlachten. Für die einen ein richtig authentisches patagonisches Erlebnis und eine tolle Erfahrung über Zusammenhalt in einer schwierigen Situation. Für andere sehr angespannte Tage und ein tägliches Hoffen auf die Weiterfahrt. 

Als das kleine Boot am Steg anlegt, können wir kaum glauben, dass unsere fünf Fahrräder darauf Platz finden.

Unser Aufenthalt beschränkt sich auf einen Abend. Das Wetter ist bestens und die Fähre kommt wie angekündigt bereits am nächsten Vormittag. Als das kleine Boot am Steg anlegt, können wir kaum glauben, dass unsere fünf Fahrräder darauf Platz finden. Die Packtaschen werden in jedem freien Winkel verstaut und die Sitzplätze im Inneren sind fast alle besetzt. Es herrschen ideale Bedingungen, unsere etwas schaukelige Überfahrt mit tollem Panorama dauert nur drei Stunden. Wer Pech hat, braucht wesentlich länger und genießt keine Sekunde der Überfahrt. Auf der anderen Seite angekommen, folgt eine kurze Fotosession vor dem "Kilometer 0" Schild der Carretera Austral. Für die allermeisten Radler:innen, die Richtung Süden unterwegs sind, ist hier das Ende, für uns der Beginn der famosen Straße durch Chiles Süden. 

Fotosession mit Axel, Maud und Julien vor dem "Kilometer 0" Schild der Carretera Austral.

Gefühlt liegt Villa O'Higgins für uns viel mehr am Ende der Welt als die große Stadt Ushuaia, die unkompliziert über eine große Asphaltstraße, ihren Flughafen und unzählige Kreuzfahrtschiffe erreichbar ist. So manche Autostopper haben hier schon einen ganzen Tag vergeblich auf eine Mitfahrgelegenheit gewartet. Bis in die 70er Jahre war dieser weit abgelegene südliche Teil Chiles nur über Trampelpfade per Pferd, mit dem Schiff oder manchmal auch via Flugzeug erreichbar. Der Straßenbau wurde zum Prestigeprojekt der Diktatur Pinochets und gestaltete sich wegen unzähliger Fjorde, dichter Bewaldung, Bergen und Gletschern als sehr schwierig. 

Bis zu 10.000 Soldaten schufteten an der Errichtung einer Süd-Verbindung. Heute überbrückt die Carretera Austral, die südliche Landstraße, die rund 1300 Kilometer lange Strecke von Puerto Montt bis Villa O'Higgins, wo sie als eine der berühmtesten und abgelegensten Sackgassen der Welt endet. Den kleinen Ort erreichte die Schotterpiste erst 1999. Mit der Straße kam etwas Aufschwung, Satellitentelefon, Internet, Trinkwasseraufbereitung, eine asphaltierte Landepiste und mehr. Strom gibt es immerhin bereits seit 1983. Puerto Natales und Punta Arenas, die südlichsten Städte Chiles sind weiterhin nur über Argentinien oder per Schiff oder Flugzeug erreichbar. Eine Erweiterung der Carretera Austral ist seit Jahrzehnten geplant, aufgrund der oben genannten geographischen Hürden allerdings extrem kostenintensiv und daher kaum realisierbar. 

Die ersten einsamen Tage auf der Carretera sind für uns ein Höhepunkt. Unsere Augen erfreuen sich an traumhafter Landschaft. Hier wächst nicht nur der immer gleiche Strauch wie im südlichen Argentinien, hier fühlen wir uns wie mitten im Dschungel. Hochgewachsene Bäume verschiedenster Arten bieten uns Schatten vor der intensiven Sonne. Wasserfälle und unzählige Gletscher, so viele, dass diese keine Namen sondern nur Nummern tragen, prägen den chilenischen Teil Patagoniens.

Es herrscht kaum Verkehr, aber wenn uns doch einmal ein Auto überholt, heißt es Luft anhalten und warten bis die Staubwolke verschwunden ist. Unser frisch gewaschenes Gewand ist schon nach einem halben Tag Radeln komplett eingestaubt. 

Es ist faszinierend zu beobachten wie ein Gebirgszug nicht nur zwei Länder voneinander abgrenzt, sondern für zwei so unterschiedliche Vegetationen sorgt. Die feuchte Luft des Pazifik bleibt an den aufstrebenden Anden hängen und sorgt auf chilenischem Gebiet für reichlich Niederschlag und saftig grünen Regenwald. Im Kontrast dazu findet der stürmische Wind auf der argentinischen Seite ungebremst seinen Weg hinab in die trockene, braune Pampa. 

Kleine Holzhütten mit Feuerstellen bieten tolle Übernachtungsmöglichkeiten.

Für uns könnte das Wetter in den ersten Tagen kaum besser sein. Die berüchtigten Dauerregentage auf der Carretera Austral werden uns dankenswerterweise erst viel später beschäftigen. Kleine Holzhütten mit Feuerstellen bieten tolle Übernachtungsmöglichkeiten und Wasser ist dank der vielen Flüsse immer direkt am Wegesrand zu finden. Mit einer Fähre schippern wir über einen der zahlreichen Pazifikfjorde nach Puerto Yungay. Mühsam schleichen schwere Lastwägen mit Lebensmitteln und Baumaterial über die bergig, kurvige Straße bis nach Villa O'Higgins. Eine Reise von mehreren Tagen, die verdeutlicht, wie abgeschieden die Gegend ist. Verständlich, dass alles teuer und nur eingeschränkt verfügbar ist. 

In einem der wenigen Häuschen wohnt ein älteres Ehepaar. Im Garten und auf der Straße laufen Hühner, Schweine, Ziegen, Katzen und ein Hund herum. Radreisende erwartet hier ein sehr beliebtes zweites Frühstück. Wir nehmen im liebevoll eingerichteten Vorraum Platz, das Paar wirft den mit Holz befeuerten Herd an und frittiert nach und nach Brötchen heraus. Dazu werden handgemachte Hagebuttenmarmelade und Löskaffee aufgetischt. Ein sehr nettes Erlebnis und gute Energie für den folgenden Anstieg.

In diesem Häuschen wohnt ein älteres Ehepaar, das uns frittierte Brötchen mit selbst gemachter Hagebuttenmarmelade anbot.

Wir sind richtig überrascht, wie viel Radler:innen uns in diesen ersten Tagen auf der Carretera Austral entgegen kommen. Wir haben nicht damit gerechnet, auf einem ausgemachten Radler:innen-Highway unterwegs zu sein. Die allermeisten radeln von Nord nach Süd, also in die entgegengesetzte Richtung. Viele von ihnen haben nur zwei, drei Wochen Urlaub, aber wir begegnen auch Langzeitreisenden, die vor Jahren in Alaska gestartet sind. Patagonien ist ausgeprägt touristisch, was wir nicht gewohnt sind. 

Warmshowers Gastgeber finden sich keine, Campingplätze sind teuer, die Preise für Lebensmittel sind aufgrund der langen Transportwege auf europäischem Niveau. Natürlich ist es verständlich, dass die Bewohner:innen dieser entlegenen Ortschaften ihr Geld mit uns Radreisenden machen wollen. Die Hochsaison im südlichen Patagonien ist meist nicht länger als drei Monate im Jahr und die Coronadefizite wollen wett gemacht werden. Wir müssen uns also an die hohen Preise gewöhnen und zum Teil ums dreifache gestiegene Übernachtungskosten in Kauf nehmen. 

Eines Morgens liegt ein toter Hase auf der Straße. Eigentlich nicht weiter erwähnenswert, würde der Hase nicht ein paar Minuten später kopflos an Ferdis Lenker hängen. Ihn hat wohl gerade erst ein Auto erwischt, er ist noch warm und für Ferdi und Maud ein gefundenes Abendmahl. Weil die beiden keine Ahnung haben, wie man das tote Tier richtig zerlegt, schneiden sie ihm erstmal den Kopf ab und hängen ihn zum Ausbluten an den Lenker. Ich bin an dem Tag als Erste gestartet und bekomme von dem Spektakel zum Glück nichts mit, bin aber etwas schockiert als ich den toten Hase sehe. 

Eine Zufallsbekanntschaft bei der Mittagspause, ein deutsches Paar im Camper, löst das Problem der beiden. Er ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und gibt Ferdi und Maud Anweisungen, wie sie den Hasen zu zerlegen haben. Ziel für heute Abend: Einen Zeltplatz mit Lagerfeuerstelle zu finden, um den Roadkill Hasen zu grillen. Tatsächlich finden wir den besten Lagerplatz, den man sich nur wünschen kann. Am Rande des kleinen Örtchens Puerto Bertrand können wir direkt am türkisblauen See unser Zelt aufstellen und die Feuerstelle nebenan nutzen. 

Puerto Bertrand ist ein idyllisches Dorf.
Wir zelten an einem türkisblauen See.

Der Hase schmeckt laut Ferdi sehr nach Hase, etwas intensiv. Die im Feuer gebratenen Erdäpfel sind herrlich. Weil der Ort so wunderschön gelegen und Puerto Bertrand ein idyllisches Dorf ist, verbringen wir noch einen ganzen Tag und eine weitere Nacht dort. Die Flüsse und Seen hier sind extrem fischreich. Ein deutscher Urlauber bietet Ferdi seine Angel zum Ausprobieren an. Die ersten Versuche bleiben jedoch erfolglos.

Bei diesem Spiel geht es um Geld.

In Puerto Rio Tranquillo kommen wir gerade rechtzeitig zum alljährlichen Sommerfest an. Ein richtig einheimisches Erlebnis, das wir uns nicht entgehen lassen wollen. Der Geruch von Pferdemist weht uns entgegen, als wir das Festgelände betreten. Die finale Runde im Pferde-Rodeo ist gerade angebrochen, es geht um den ersten Platz. Auf einer Wiese stehen zwei Holzpflöcke an denen jeweils ein wildes Pferd angebunden wird. Mittels Stockhieben auf das Hinterteil wird das Pferd in Stress versetzt und wild gemacht. Dann setzt sich einer der meist jungen Gauchos in traditionellem Gewand auf das ungesattelte Pferd. Es wird vom Pflock losgebunden und sprintet davon. 

Ziel des Reiters ist es, sich so lange wie möglich oben zu halten. Länger als 15 Sekunden sind kaum möglich, Verletzte auf beiden Seiten stehen auf der Tagesordnung. Man erzählt uns, dass es hier nicht um große Geldgewinne, sondern viel mehr um Ansehen geht. Der Sieger hat damals, vielleicht auch heute noch, die schönste Frau im Dorf geheiratet. Zu volksmusikalischer Begleitung durch Ziehharmonika- und Gitarrenspieler wird bis zum Umfallen getanzt und getrunken. Fast wie bei uns daheim. Statt Bauernkrapfen gibt's Empanadas. 

Nicht nur wir leiden unter den miserablen Straßenzuständen. Auch unsere Ausrüstung trägt merkliche Spuren davon. Die Reißverschlüsse des Zeltes schließen nicht mehr einwandfrei, unsere aufblasbaren Matten haben unzählige Löcher und am allerschlimmsten, das Objektiv meiner Kamera ist kaputt! Ich habe ein großes Schlagloch inmitten der Straße übersehen und bin mit hoher Geschwindigkeit hineingefahren. Zum Bremsen war es zu spät, also musste ich durch. Der abrupte Stoß lässt meine Lenkertasche aufspringen und die Kamera kracht auf die Straße. Die Kamera hat ein paar Schrammen, scheint aber noch zu funktionieren. Aber die Linsen meines einzigen Objektivs sind zersplittert. Es wird mehr als drei Monate dauern bis wir Ersatz bekommen. Bis dahin bleibt mir nur das Handy zum Fotografieren.

Kurz vor Villa Cerro Castillo erreichen wir das Ende der Schotterpiste. Endlich!

Nach zwei staubigen Wochen erreichen wir kurz vor Villa Cerro Castillo das Ende der Schotterpiste. Ab hier ist die Carretera Austral größtenteils asphaltiert. Ferdi ist gar nicht so begeistert, aber ich habe selten etwas so sehr herbeigesehnt, wie diesen Moment. Wie herrlich glatt und leise eine Asphaltstraße sein kann. Ich genieße es, die Steigungen rauf zu treten und noch viel mehr die rasanten Abfahrten. Ich radle voraus, baue einen Vorsprung zu den anderen aus, möchte diesen Moment ganz für mich alleine haben. Nur ich, mein Fahrrad und die Straße. Alles läuft wie geschmiert, die Anstrengung des Bergaufradelns spornt mich an und ich versuche mein schnelles Tempo zu halten. Oben angekommen schreie ich einmal ganz laut in die Welt hinaus. Ein kraftvoller Moment!

Kurz vor Coyhaique, der ersten und einzigen Stadt an der Carretera Austral, entdecken wir am Waldrand zwei Huemuls. Der vom Aussterben bedrohte Andenhirsch sieht für uns nicht sehr aufregend aus, aber die Tatsache, dass so manch Einheimischer in seinem ganzen Leben noch kein Huemul zu Gesicht bekommen hat, macht die Sichtung zu einem besonderen Moment.

Wir schlüpfen in unsere wasserdichten Socken und wechseln auf Sandalen, um unsere Schuhe trocken zu halten.

Nun sind sie also da, die berühmten patagonischen Regentage. Alles ist nass und dreckig. Wir schlüpfen in unsere wasserdichten Socken und wechseln auf Sandalen, um unsere Schuhe trocken zu halten. Für ein paar Stunden finde ich es sogar schön, im Regen zu radeln. Es passt zur Gegend. Riesige Bäume tauchen am Straßenrand auf, es wird grüner und grüner. Zwischendurch kommt die Sonne heraus und zaubert uns einen Regenbogen über die Straße. Dampfige Wolken steigen aus den Wäldern empor. Doch es ist kalt und unsere leeren Mägen knurren. Villa Amengual wirkt trist im Regenwetter, aber es ist das letzte Dorf mit Einkaufsmöglichkeit für die nächsten Tage. Im kleinen Kiosk gibt es wenig Auswahl, ein paar verschrumpelte Paprika, Eier, Nudeln und Tomatensoße. 

Ferdi macht Pause.

Nur fünf Kilometer weiter stoßen wir auf einen liebevoll gestalteten Campingplatz mit Unterständen für die Zelte. Perfekt um auf besseres Wetter zu warten. Ich nehme eine schnelle Dusche und husche in die beheizte Stube, um mich endlich aufzuwärmen. Ferdi hat vor einigen Tagen das Fischen für sich entdeckt, borgt sich gleich eine Angel aus und marschiert runter zum Fluss. Ich bewundere seine Ausdauer, bin aber froh im Warmen und Trockenen zu sitzen. Strom wird hier mittels Photovoltaik produziert, das superschnelle Internet kommt, wie so oft in Patagonien, über die Starlink-Satelliten. 

Ein Gletscher grüßt in der Ferne.
Riesige Bäume tauchen am Straßenrand auf, es wird grüner und grüner.

Zwei Tage später haben wir wieder Sonne in den Speichen. Doch schon am nächsten Pass versperren wir die Räder am Waldrand und brechen zu Fuß zu einem kleinen Abenteuer auf. Ein Wanderweg im Nationalpark, der seit Jahren offiziell gesperrt ist, hat unsere Aufmerksamkeit erregt. Schon die ersten Meter führen uns in einen fantastischen Wald. Alles ist überwuchert von Pflanzen und Bärten. Baumstämme, Reste von Brückengeländern und Stufen, der Wald holt sich alles zurück. Wir sind fasziniert. Noch nie habe ich so viele unterschiedliche Grüntöne auf einem Fleck gesehen. 

Wir sind mitten im Bosque Encantado, im Zauberwald. Anfangs ist der Weg recht gut zu finden, später wird es immer schwieriger. Wir klettern über umgestürzte Bäume und unter ihnen hindurch und müssen immer wieder Ausschau nach Anzeichen eines Pfades halten. Ferdi knickt gut sichtbare Zweige ab, damit wir später auch wieder zurück finden. Dann öffnet sich das Tal und wir klettern entlang eines Gletscherbaches über Felsen. Schließlich stehen wir vor einem kleinen Gletschersee. Eingerahmt von hohen Felswänden über denen ein Hängegletscher thront. Im See schwimmen Eisschollen. Ein verstecktes Juwel, das wir ganz für uns allein genießen können. 

Die nächste Nacht verbringen wir an der Steilküste eines Pazifikfjordes. Beim Abendessen taucht im Sonnenuntergang der Kopf einer Robbe auf und morgens dreht eine Gruppe Delfine ihre Runden. Die Natur sorgt hier ständig für Abwechslung. Diese suchen wir auch von der Hauptstraße und beschließen, einen kurzen Abstecher über den Paso las Pampas nach Argentinien hinüber zu machen. Am wunderschönen Lago Verde wirft Ferdi seine Angelschnur, die auf einer Konservendose aufgerollt ist, aus und wartet geduldig. Leider ist der See zu stürmisch und so beißt auch dieses Mal kein Fisch an. Wir freuen uns über die tolle Landschaft und die Piste, die ständig ihre Oberfläche wechselt und streckenweise sehr sandig ist. 

Ein paar Flussdurchquerungen sind auch mit dabei. Den ganzen Tag über begegnet uns nur eine kleine Gruppe von Reitern. Der argentinische Grenzbeamte ist überrascht, heute jemanden zu Gesicht zu bekommen und steht in Trainingshosen vor uns. Bei einem der wenigen Häuser werden wir zum ersten Mal auf dieser Reise auf Kaffee eingeladen. Es bewährt sich, abseits der ausgetretenen Pfade unterwegs zu sein. Ein wunderschöner Zeltplatz inklusive Lagerfeuer vervollständigt diesen spannenden Tag. Die nächsten paar Tage sind dann allerdings geprägt vom immerwährenden Wind und einer sehr schlechten Waschbrettpiste. Um den vielfach gepriesenen Nationalpark Pumalin nicht zu verpassen, biegen wir bald wieder nach Westen Richtung Chile ab.

2 Postings

spurenleser
vor 7 Monaten

Danke für diesen Beitrag!

 
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MVP
vor 7 Monaten

wahnsinnig beeindruckend und inspirierend!

mit dem bike reisen ist definitiv die beste art zu reisen! egal ob in sudamerika oder bei uns hier!

ich (wir) lieben es!!

 
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