Die letzte Kirchenstatistik aus dem Jahr 2023 zeigt, dass mit Stichtag 31. Dezember 4.638.842 Millionen Katholik:innen in Österreich leben. Ob die Mehrheit davon regelmäßig Messen und Gottesdienste besucht? 85.163 Österreicher:innen sind im Jahr 2023 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Verliert das Land an Glauben? Oder befindet sich die persönliche religiöse Überzeugung im Wandel?
Eine Säule der Glaubensüberzeugung sind die großen Fragen des Lebens. Sie beschäftigen sich mit grundlegenden, existenziellen oder philosophischen Themen wie Lebenssinn, menschliche Existenz, Natur und Realität, Moral und Zukunft. Der eigene Glaube richtet sich dorthin, wo man für sich die Antworten findet.
„Der Fokus auf die Individualität in der heutigen Zeit zeigt sich auch im Zugang zu Religiösem.“
Daniela Pedarnig
„Ich glaube, die großen Fragen sind schon noch da“, meint Roman Maier bezüglich der steigenden Kirchenaustritte. Er ist Pastor der LIFE Church Lienz, einer österreichweit tätigen, anerkannten Freikirche mit 17 Standorten. Die Osttiroler Gemeinde umfasst laut Maier zwischen 50 und 60 Mitglieder – „Freikirchler“ genannt. Sonntags finden ihre Gottesdienste statt.
Bei der Frage nach zeitgenössischem Glauben geht es also nicht um die großen Fragen selbst, sondern um Antworten – oder viel mehr darum, mit wem man über mögliche Antworten philosophieren möchte. Wer bin ich und was stützt mich in schwierigen Situationen? Wem vertraue ich mein Leid an, mit wem teile ich meine Freude?
Dieses Gespräch suchen offensichtlich mehr und mehr Menschen außerhalb der katholischen Kirche. Besonders Jugendliche und junge Erwachsenen scheinen sich von klassischen Strukturen und organisierter Religion zu distanzieren. Daniela Pedarnig ist Religions- und Ethiklehrerin am BG/BRG Lienz, sie nimmt wahr: „Junge Menschen wenden sich von der Institution Kirche ab, dass dies jedoch auch beim Glauben der Fall ist, kann ich nicht klar sagen. Für Jugendliche spielt der Glaube an etwas schon eine Rolle, wie dieses etwas aussieht, ist jedoch unterschiedlich, es muss nicht immer als Gott bezeichnet werden.“
Während Messen und Gottesdienste von passiver Teilhabe geprägt sind, möchten sich viele aktiv austauschen und verschiedene (Glaubens-)Perspektiven betrachten. Diese Möglichkeit ergibt sich zum Beispiel in den sozialen Medien. Dazu später mehr.
Freikirchen, die oft als moderner wahrgenommen werden, legen viel Wert auf den Austausch zwischen ihren Mitgliedern. In der LIFE Church gibt es in diesem Zusammenhang die sogenannten LIFE Groups. Maier führt die assoziierte Modernität zudem auf die Abwesenheit von Hierarchien, lockere Atmosphäre in Gottesdiensten, alltagsorientierte Predigten sowie Gospelmusik und Lobgesänge zurück.

„Modern bedeutet für die LIFE Church aber nicht, alles, was der Zeitgeist mit sich trägt, anzunehmen”, betont Maier. Die Freikirche orientiert sich an den Werten der Bibel, was durch das Wort Gottes nicht abgesegnet sei, könne kaum akzeptiert werden, argumentiert man. So gibt es standfeste Meinungen gegen Sterbehilfe und Abtreibung. Weiters wird ein traditionelles Familienbild vertreten.
Ein Aspekt des aktuellen Zeitgeists ist die Reflexion religiöser Themen in den sozialen Medien. Während nur mehr wenige Jugendliche und junge Erwachsene in den Sonntagsmessen sitzen, erreichen christliche Influencer:innen auf Instagram und TikTok ein Millionenpublikum. Ihr Erfolg beruht größtenteils auf der einfachen Aufarbeitung biblischer Fragen und der nahbaren Darstellung von Glaubenspraktiken im Alltag. Die User können sich damit identifizieren. Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht.
Ist man erst einmal im richtigen Algorithmus, werden einem Videos zugespielt, in denen Influencer:innen ihren erhaltenen „Jesus Glow“ präsentieren, einem Aufblühen ihres äußeren Erscheinungsbildes, nachdem sie „den Weg zu Gott“ gefunden haben. Swiped man über den Handybildschirm, wird man von einer Influencerin in ihre tägliche „bible-study“-Routine mitgenommen. Ein weiterer teilt seine Gedanken rund um das Thema Nächstenliebe. Die Online-Persönlichkeiten haben den Glauben zum Trend gemacht.
„Wenn Jesus im 21. Jahrhundert leben würde, wäre er wahrscheinlich auch auf Instagram aktiv”, schmunzelt Maier. Solange die Verbindung zu Gott im Vordergrund steht, sei der Trendbewegung nichts entgegenzusetzen. Skeptisch gegenüber steht Maier Influencer:innen, deren Motivation und Ziel die Vermarktung und der Profit sind.
Nicht alle, aber einige nutzen den eigenen Kanal, um Produkte rund um das Bibelstudium und den christlichen Glauben zu vermarkten und zu verkaufen. Das Sortiment umfasst unter anderem eigens gestaltete Bibeln, Glaubens-Startersets und Bibelvers-Lernkarten, religiöse Kinderbücher, Schmuckstücke sowie Schlüsselanhänger mit eingravierten Glaubensbotschaften. Natürlich alles in der passenden Ästhetik: Naturtöne und filigrane Goldakzente oder Rosa und Blumendesign.

Ähnlich sieht das Pedarnig: „Grundsätzlich finde ich es immer gut, wenn sich junge Menschen mit dem Glauben auseinandersetzen. Solange mit solchen Videos nicht radikalisiert wird, Menschen verletzt oder gar als Mittel zum Zweck missbraucht werden, ist daran nichts auszusetzen.“ Durch ihren Kontakt mit Jugendlichen im Unterricht weiß sie, dass Trends wie der „Jesus Glow“ junge Menschen ansprechen, denn ihre Lebensrealität wird darin aufgegriffen.
Warum kommt christlicher Social-Media-Content so gut an? Sind es die vielen unterschiedlichen Interpretationen, nach denen man seine Überzeugungen ausrichten kann? Oder ist es die Möglichkeit, sich in eine Community zu integrieren, ohne sich zur ständigen Teilhabe verpflichten zu müssen? Influencer:innen vermitteln vor allem durch direktes Ansprechen und Einbinden ihrer Follower ein Gefühl von Zugehörigkeit. Dieses gewinnt vor dem Hintergrund der zunehmenden Einsamkeit an Bedeutung. Laut einer Studie der Caritas in Zusammenarbeit mit Foresight fühlen sich mehr als 600.000 Menschen in Österreich einsam.
„Der Zugang über Social Media greift die Lebenswelt junger Menschen auf.“
Daniela Pedarnig
Mit ihren greifbaren Inhalten füllen christliche Influencer:innen somit eine Lücke, die sich aus den traditionellen Hierarchien in der katholischen Kirche ergibt. Viele Gläubige brechen aus der starren Struktur von Institutionen aus und fühlen sich in der Flexibilität des digitalen Raums wohl. Die Konstante? Der Wunsch nach Sinn, Halt und Gemeinschaft. Ob in der Kirchenbank, im Gebetsraum einer Freikirche oder in den Kommentarspalten unter Instagram-Reels – gesucht wird das Gleiche. Die Fragen sind alt. Die Formen sind neu. Der Glaube ist nicht verschwunden, er hat nur neue Wege gefunden, sich zu zeigen.
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