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Gustav Mahler entdeckte Toblach und veränderte damit die kulturelle Identität des Ortes. Foto: AKG Images/Picturedesk

Gustav Mahler entdeckte Toblach und veränderte damit die kulturelle Identität des Ortes. Foto: AKG Images/Picturedesk

Als Gustav Mahler eine Radtour unternahm

Ein sportlicher Ausflug des Komponisten führte eine kleine Gemeinde im Pustertal zu kulturellen Höhen. 

Fast 130 Jahre bevor zigtausende Freizeitradler das Pustertal überrollten, trat ein begnadeter Musiker dort bereits genussvoll in die Pedale. Im Jahr 1897 unternahm Gustav Mahler von Vahrn aus eine mehrtägige Radtour ins Pustertal. Es war sein erster Ausflug nach Toblach – und es sollte nicht der letzte sein. In den Jahren darauf machte Mahler öfter kurze Abstecher in die Region um die Sextener Dolomiten. Er komponierte grundsätzlich nur im Sommer und nutzte gelegentliche Pausen, um sich mit Natur aufzuladen. 

Mahler radelte nach Cortina, ging „in strömendsten Regen und Gewitter“ auf die Dreizinnenhütte, wie er in einem Brief schrieb, und ließ sich von den Dolomiten für seine Symphonien inspirieren. Im Sommer 1907 änderte sich für den Komponisten vieles. Der Tod seiner Tochter Maria und seine eigene schwere Herzdiagnose ließen ihn und seine Familie ihr Anwesen in Maiernigg am Wörthersee verlassen. Auf der Suche nach einem neuen Rückzugsort fanden die Mahlers in Toblach Zuflucht. 

Alma Mahler erinnerte sich: „Ich fuhr mit meiner Mutter nach Toblach. Im Mai, in hohem Schnee, fuhren wir jedes Haus ab, bis wir das Richtige hatten: Ein großes Bauernhaus außerhalb des Ortes, elf Zimmer, zwei Veranden, zwei Badezimmer, allerdings etwas primitiv, aber herrlich gelegen.“

„Entweder flüstern die Bauern, dass die Fenster klirren, oder sie gehen auf den Fußspitzen, dass das Haus wackelt.“

Gustav Mahler

Seine drei letzten Sommer verbrachte Gustav Mahler im Trenkerhof in Altschluderbach. Er schätzte die Ruhe, die er im Bauernhaus allerdings nicht immer fand: „Entweder flüstern die Bauern, dass die Fenster klirren, oder sie gehen auf den Fußspitzen, dass das Haus wackelt.“

Um sich vollkommen auf seine Arbeit konzentrieren zu können, ließ er sich deshalb unweit des Hofes ein kleines, hölzernes Komponierhäuschen errichten – einfach, abgelegen, still. Schon an seinen früheren Sommerorten am Wörther- und Attersee hatte Mahler ähnliche Rückzugsorte genutzt. In Toblach entstanden in dieser Stille seine letzten großen Werke: Das Lied von der Erde, die 9. Symphonie sowie der Beginn der unvollendeten Zehnten.

Auf der Suche nach einem Rückzugsort fanden Gustav und Alma Mahler in Toblach Zuflucht. Copyright: Gustav Mahler Gesellschaft

Mahler starb 1911 in Wien. Seine Saat ging in Toblach allerdings erst Jahrzehnte nach seinem Tod auf. Anlässlich des 70. Todestages wurde 1981 zum Gustav-Mahler-Jahr erklärt. Die Gustav-Mahler-Musikwochen wurden ins Leben gerufen, vorerst noch ohne Konzertsaal. Mahler wurde dort gespielt, wo es sich anbot, in der Pfarrkirche, im Komponierhäuschen oder auch inmitten der Berge. 

Hansjörg Viertler, Präsident des Gustav Mahler Komitees, war von Anfang an mit dabei und blickt heute auf 45 Jahre bewegter Festivalgeschichte zurück. Auch heuer war das Programm spektakulär und endete am 5. August mit einem fulminanten Schlussakkord: Das Mahler Academy Orchestra interpretierte unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner Mahlers Rückert-Lieder und die 2. Symphonie von Jean Sibelius. Viertler denkt oft an die Anfangsjahre zurück: „Wir waren sowohl organisatorisch als auch finanziell mit großen Herausforderungen konfrontiert. In ihrer Unmittelbarkeit und dem Idealismus jener Zeit haben sich diese Erinnerungen tief in mein Gedächtnis eingeprägt.“ 

Der Gustav Mahler-Saal im Kulturzentrum Toblach wird alljährlich zum Schauplatz hochkarätiger Orchestermusik. Foto: Max-Verdoes

Als 1999 das ehemalige k.u.k. Grand Hotel renoviert wurde und einen „Gustav-Mahler-Saal“ erhielt, fanden die Musikwochen ihre Heimat. Für Hansjörg Viertler ein Quantensprung. Mehr noch als der Ort, bewegt ihn aber der Spirit des Festivals: „Seit nunmehr 45 Jahren stehen die Gustav Mahler Musikwochen in Toblach für ein künstlerisch sehr anspruchsvolles und international anerkanntes Festival – trotz eines vergleichsweise bescheidenen finanziellen Rahmens.“ 

Einzigartig ist die Verbindung von Musik und Landschaft. Mahlers Werke erklingen an dem Ort, der für den Komponisten eine tiefe Quelle der Inspiration darstellt. „Das Festival versteht sich aber nicht nur als Konzertreihe“ unterstreicht Viertler, „sondern als lebendiges Forum für Mahler-Freundinnen und -Freunde aus aller Welt: ein Ort des Austauschs, der Reflexion und der Nähe zu einem Komponisten, dessen Musik mit ihrer emotionalen Tiefe und Menschlichkeit auch heute noch berührt.“

Hansjörg Viertler, Präsident des Gustav Mahler Komitees (links) und Musikpädagoge Max Calanducci. Foto: Max Verdoes

Max Calanducci, ein junger Musikpädagoge, ist seit Kurzem Mitglied des Gustav-Mahler-Komitees und sieht das Festival und seine Umgebung mit anderen Augen: „Ich glaube, es ist vor allem dieser historische Spirit, den Mahler durch seine Präsenz in Toblach hinterlassen hat. Wenn man als Festivalbesucher dort ankommt, diese einzigartige Berglandschaft sieht und zum Beispiel an Mahlers 9. Sinfonie denkt, dann spürt man: Ah, jetzt weiß ich, warum das so klingt, wie es klingt.“ 

Calanducci stammt aus Meran. „Ich komme ja selbst nicht aus der Dolomiten-Gegend und nehme die Landschaft dort vielleicht gerade deshalb besonders bewusst wahr. Eine schöne Erinnerung habe ich aus einem der letzten Jahre: Ich war abends bei einem Konzert im Gustav-Mahler-Saal – ein tolles Ensemble, den Namen weiß ich leider nicht mehr. Danach war es noch hell, und ich bin zum Toblacher See gefahren und dort spazieren gegangen. Die Erfahrung, erst ein Spitzenkonzert zu erleben und kurz darauf mitten in der Natur zu stehen, war für mich einzigartig.“

Also alles gut? Viertler und Calanducci sind sich einig, dass es noch eine offene Baustelle gibt. Obwohl Besucher:innen aus aller Welt anreisen, bleibt die Resonanz auf das Festival vor Ort manchmal verhalten. „Ich denke, es ist vor allem eine gewisse Scheu vor der klassischen Musik – die Vorstellung, man müsse sie ‚verstehen‘, um sie genießen zu können“, vermutet Viertler. 

„Ich denke, da gibt es noch viel zu tun, um das Festival stärker mit der lokalen Bevölkerung zu verbinden.“

Max Calanducci

„Dabei braucht es vor allem eines: die Bereitschaft, sich auf die Musik einzulassen und zuzuhören. Mahler stellt durchaus Anforderungen, doch seine Musik schenkt auch viel. Sie spricht von den großen Themen des Lebens – von Liebe, Abschied und Hoffnung. Wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt. Um diese Scheu abzubauen, planen wir in Zukunft, mit Musikern auch ins Dorf hinauszugehen und so den Zugang zur Musik zu erleichtern.“

„Ich denke, da gibt es noch viel zu tun, um das Festival stärker mit der lokalen Bevölkerung zu verbinden“, ist auch Max Calanducci überzeugt. „Es müsste noch besser erzählt werden, was da eigentlich passiert in diesen Wochen im Sommer. Die Gustav Mahler Musikwochen sollten in Toblach stattfinden – nicht nur im Gustav-Mahler-Saal. Die Gustav Mahler Musikwochen sind ein internationaler Mahler-Fixpunkt. Es gibt weltweit kein zweites Festival, das sich seit 45 Jahren so intensiv mit Mahler beschäftigt. Und wir arbeiten daran, dass das auch die nächsten 45 Jahre so bleibt.“

Lea Marie Steinwandter stammt aus Toblach, studiert in Klagenfurt und schreibt als freie Autorin für Dolomitenstadt.

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