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Eine Fahrt von Wien nach Lienz kann aufregend sein. Allerdings nicht im positiven Sinne. Fotos: Dolomitenstadt/Franz

Eine Fahrt von Wien nach Lienz kann aufregend sein. Allerdings nicht im positiven Sinne. Fotos: Dolomitenstadt/Franz

„Das Leben in vollen Zügen genießen“

Eine Bahnfahrt auf der Südstrecke ist das perfekte Smalltalk-Thema. Bald bekommen die ÖBB Konkurrenz. Zum Glück.

Der Zug rollt ein. Vor ein paar Jahren hätte ich noch Hoffnung gehabt. Hoffnung auf einen Sitzplatz. Nach sechs Jahren regelmäßigem Bahnfahren weiß ich: Ich habe keine Chance. Ein weiteres Mal hat mich die Sitzplatzkapazität auf der Website getäuscht. Ich hieve meinen Koffer die Stufen vor mir in den Waggon und stolpere ihm nach. Ein Blick in den Gang und ich weiß: Das wird eine lange Zugfahrt. Also mache ich es mir mit fünf weiteren Personen im Eingangsbereich zwischen zwei überdimensionierten E-Bikes, klappernder Klo- und Gangtüre bequem. 

Man erkennt sofort, ob Menschen häufig Zug fahren oder nicht. Woran? An der Hoffnung in ihren Augen und dem Bestreben, doch noch einen freien Sitzplatz zu finden. Ich weiß nicht, was mehr an meinem Nervenkleid zerrt, der Lenker des E-Bikes, der sich in mein rechtes Schulterblatt bohrt oder die Personen, die sich im Sekundentakt an mir vorbeidrängen und unbeholfen vor der Gangtüre umher fuchteln. „We’re all in this together“ singt die Clique von High School Musical in meinem Kopf. 

Gerade als ich mich mit meinem halben Quadratmeter abgefunden habe, zwängt sich auch der Schaffner, der nun endlich eingesehen hat, dass er weder vor- noch zurückkann, zu meinen Ganggenoss:innen und mir. Alle zwanzig Minuten droht er mit dem Rauswurf aller, die keine Reservierung haben. Ich frage mich, was besser wäre. An irgendeinem Bahnhof gestrandet zu sein oder weiterhin eingezwängt das Ende der Fahrt herbeizusehnen. Es ist ja nun doch besser, unter diesen Umständen an sein Ziel zu kommen, als gar nicht. Immerhin habe ich wieder tolle Antworten auf die Frage, wie denn die Fahrt gewesen sei. Besonders an „starken Reisetagen“ sind originelle Storys garantiert. 

Diese „starken Reisetage“ wie Weihnachten, Ostern oder Schulferien scheinen die ÖBB jedes Jahr aufs Neue zu überraschen. Die Studierenden wollen zu ihren Familien Osternester suchen? Sämtliche Wiener Pfadfindergruppen zu Ferienbeginn aufs Land? Wie hätte man das bloß vorhersehen sollen? Als Fahrgast sollte man also vorsichtshalber bereits Wochen zuvor reservieren. Sofern die Website es zulässt.

Und da man selten ohne Koffer oder Rucksack reist, braucht auch das Gepäck seinen Platz. Da ist es manchmal gar nicht so einfach, dieses ordnungsgemäß zu verstauen. Schließlich sollen persönliche Gegenstände nicht am Bahnsteig zurückgelassen werden. Um das zu verhindern, warf der Leiter einer Pfadfindergruppe vor drei Jahren sämtliche Taschen und Rucksäcke seiner Gruppe in hohem Bogen in den Gang. Dass er damit Ausgänge versperrte, schien ihn erst mal weniger zu kümmern. Hauptsache drin. Fliegende Gepäckstücke kannte ich nur von Schwechat. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie weder auf meinem ÖBB-Bingo noch in meiner Vorstellungskraft. Verletzt wurde dank des altmodischen, manch eine:r würde sagen, charmanten Abteilwaggons, niemand. Denn auch wenn die Schiebetüren in vielen Fällen ziemlich klapprig sind, halten sie selbst anprallenden Rucksäcken (noch) stand.

Der Fahrplan von Wien nach Lienz ist fix. Anders, als die Zuggarnituren.

Eine Fahrt mit den österreichischen Bundesbahnen lässt einen also schmunzeln, schimpfen, jammern. Oder alles gleichzeitig. Auf jeden Fall macht es einem die ÖBB wirklich einfach, zu jammern. Vielleicht bin ich aber auch schon zu lange in unserer Bundeshauptstadt, in der das Sudern dazugehört wie die Funklöcher zur Südstrecke oder die kaputte Klimaanlage zum überfüllten Zugabteil. Da kann man sich auf dem Weg nach Wien gleich akklimatisieren, Saunagang inklusive, versteht sich. 

In solchen Momenten der Zugfahrt beneide ich all jene, die die Wahl zwischen Westbahn und ÖBB haben. Für mich fällt Weihnachten dieses Jahr auf den ersten März. Für die ÖBB wohl kaum. Aber die kann sich den Termin ohnehin nicht merken. Ab März bekommt die Österreichische Bundesbahn auch im Süden Konkurrenz. Wer bereits das Vergnügen hatte, in einen der blau-grün lackierten Waggons zu steigen, weiß, wovon ich spreche: Problemlose und im Ticketpreis inkludierte Sitzplatzreservierung, die Möglichkeit eines „Relax-Check-ins“, mit dem man noch mehr Punkte sammelt, als man pro Fahrt ohnehin bekommt. Punkte für Ermäßigungen, Upgrades, Kaffee, Snacks oder Drinks. Neben sauberen und vor allem funktionierenden Toiletten sind alle Waggons mit Kaffeemaschine und Snackautomaten ausgestattet, während in den Zügen der ÖBB häufig nicht mal ein Speisewagen angekoppelt ist. 

Vielleicht ist das fehlende Angebot von Snacks und Drinks in den Zügen der ÖBB aber auch gar nicht so schlecht. Denn drückt die Blase, kann man sich erst mal auf die Suche nach einer Toilette machen, auf der kein Zettel mit dem Hinweis „Defekt“ hängt. Aus irgendeinem Grund ist die Mehrheit der WCs in den Zügen versperrt, und das, obwohl niemand sich darin befindet. Mit etwas Glück findet man aber eine funktionierende Toilette, nachdem man die gesamte Zuglänge abgegangen ist. Naja, auch eine Möglichkeit, die knapp sechs Stunden Fahrtzeit zu verbringen. Mit noch mehr Glück funktioniert auch der Wasserhahn. Gibt es auch noch Seife, ist Fortuna endgültig mit an Bord.

Nach Bruck an der Mur gibt es endlich einen freien Sitzplatz. Eine Steckdose leider nicht. Aber zumindest das muss man der ÖBB lassen: Im Gegensatz zur Deutschen Bahn sind ihre Züge immer pünktlich. Außer, man steht in Wien am Hauptbahnhof. 

Lea-Sophie Franz studiert und arbeitet in Wien. Nach dem Abschluss in Germanistik studiert die Lienzerin derzeit Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Sie schreibt für die Verlagsgruppe FLEISCH und für dolomitenstadt.at.

7 Postings

Edi1913
vor 22 Stunden

"...während in den Zügen der ÖBB häufig nicht mal ein Speisewagen angekoppelt ist. " Leider. Ein Speisewagen ist allerdings schon eine weit höherwertige und teurere Einrichtung als diese Snackautomaten der Westbahn.

 
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kritisch_gesehen
vor 23 Stunden

Die ÖBB haben sich bei mir schon vor vielen Jahren selbst aus dem Angebot verabschiedet. Kundenwünsche/Nachfrage wird ignoriert, nicht nur bei der Qualität sondern auch beim Angebot. Bin früher (jahrelang) mit der Bahn gefahren - sogar mit dem ehem. LZ-Bürgermeister H.Huber, hatten oft ein sehr angenehmes Gespräch - aber das waren noch andere Zeiten. Plötzlich hat die ÖBB-Leitung beschlossen das Angebot massiv zu reduzieren, Stichwort: Autozug Wien - Villach - auch Lienz. Obwohl oft ausgebucht(überbucht!), der Wunschtermin war nicht verfügbar, wurde es ersatzlos gestrichen. Seit dem fahre ich mit dem Auto - und bin zufrieden, keine Probleme mehr. Eine "Westbahn"("Südbahn") als weiterer Anbieter wäre nur wünschenswert.

 
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roli72
gestern

Vorzüglich 😀

 
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eb
gestern

Ein genialer Bericht! Dein Wortwitz ist grandios, musste mehrmals laut auflachen... 🤪

 
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spitzeFeder
gestern

Was für ein grenzgenialer Headliner!

 
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muesli01
gestern

In den letzten Jahren ist Zugfahren nach Lienz wirklich sehr mühsam geworden, ich kann das geschriebene sehr gut nachvollziehen.

Ich sag nur "Ihre Zugausstattung hat sich geändert", d.h. trotz Reservierung kann es sein, dass dann genau ein Waggon fehlt oder stattdessen eine S-Bahn Garnitur fährt und man keinen Sitzplatz hat. Über die alten Garnituren ohne Klima und funktionierende WCs ist schon genug geschrieben worden.

Ab März 2026 fährt die Westbahn nach Villach, ich hoffe dadurch auf eine Verbesserung. Die ÖBB kann die Südstrecke dann auch nicht mehr komplett ignorieren wie bisher, da die Fahrgäste abwandern können. Ich hoffe nur, dass die Fahrplangestaltung nicht ähnlich wird wie in Salzburg. Westbahn Ankunft in SBG und nur 1min zum umsteigen in den REX Richtung Zell am See. Ein ähnliches Spiel könnte ich mir in Villach vorstellen, damit die Leute trotzdem bei der ÖBB bleiben müssen...

 
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Koal
gestern

Wahre Worte !!! Deswegen versuch' ich möglichst die ÖBB zu meiden !!!

 
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