Als Osttiroler Wiesenvogelbeauftragten für die Abteilung Umweltschutz des Landes Tirol bin ich dafür verantwortlich, die Bevölkerung und vor allem unsere Landwirt:innen für das Thema Wiesenvögel zu sensibilisieren und mir jährlich einen Überblick über den Zustand der hiesigen Wiesenvogelpopulation zu verschaffen. Das nur anfangs zur Erklärung.
Eigentlich wollte ich zum Abschluss der heurigen Wiesenvogel-Saison, also bevor sich unsere „Wiesenvogelen“ zu ihrer jährlich wiederkehrenden Reise Richtung Afrika aufmachen, wieder einen Bericht schreiben, wie schon einige zuvor: Wieder in Erinnerung rufen, dass laut Birdlife Österreich unsere Wiesenvögel um fast 60 Prozent weniger geworden sind, beim Braunkehlchen sind es 80 (!) Prozent. Wieder erwähnen, dass die Intensivierung der Landwirtschaft der Hauptgrund dafür ist. Wieder anpreisen, dass es für Maßnahmen zum Erhalt der wenigen Vögel bei uns gute Förderungen für die Landwirte gibt. Aber das lasse ich heuer sein.
Ich erzähle einfach, wie es mir in diesem Jahr ergangen ist, mit „unseren“ Braunkehlchen in Osttirol. Denn dieses Jahr habe ich sie richtig kennengelernt, die kleinen Wiesenspatzen, die es noch gibt bei uns. Und das war gar nicht so schwierig, denn wir konnten bei unseren ersten Begehungen in den beiden Brutgebieten fünf Reviere in St. Jakob (eins davon in Bruggen) und sechs Reviere in Matrei zählen. Also für den aufmerksamen Leser (und Rechner) insgesamt elf Reviere.
Das heißt erstmal nur elf Männchen, denn die sind es, die als erste zu uns kommen nach der langen Reise und dann auch mit voller Inbrunst ihr kleines Stimmchen einsetzen, auf dass sie ein Weibchen anlocken und davon überzeugen mögen, sich mit ihm zu verpaaren. Es ist echt erstaunlich, wie gut man die winzigen Vögelchen hört, trotz des Straßenlärms, wie wir ihn in Matrei an der Bundesstraße praktisch durchgehend haben.
Auch in St. Jakob wird der Landesstraßenhunderter voll ausgeschöpft und das Motorengrollen wälzt sich durch das Tal. Doch ungeachtet dessen sitzen die Männchen während der Paarungszeit im April/Mai mit rostbrauner Brust auf diversen Zaunstempeln, Holzhütten, Büschen und sogar hoch oben auf Strommasten, die ihnen als Ansitzwarten dienen, und trällern was das Zeug hält.

Ich habe mich jedenfalls wegen der „vielen“ Reviere in Matrei sehr gefreut, zumal bei den letzten Kartierungen immer nur zwischen zwei und vier Revieren zu verzeichnen gewesen waren. In den weiteren Begehungen stellte sich heraus, dass sich zu allen Deferegger Männchen jeweils ein Weibchen dazugesellt hatte – also Erfolg auf ganzer Linie. Vorerst.
In Matrei blieben trotz beharrlichen Rufens zwei Männchen Single. Ich fand es einerseits erstaunlich, und andererseits auch traurig, wie hartnäckig die Solo-Männchen über viele Wochen hinweg nicht müde wurden, nach einem Weibchen Ausschau zu halten und zu trillieren. Wenn man bedenkt, wie kräfteraubend das Singen für Vögel ist, stimmte es mich umso trauriger.
Dieser Männerüberschuss bei Bodenbrütern lässt sich durch die gefährliche Brutmethode erklären: Viele Weibchen werden, weil sie das Nest zu spät oder gar nicht verlassen, von Mähmaschinen niedergemetzelt. Die zwei Matreier Single-Männer führten mir das deutlich vor Augen – immerhin blieben dort 33 Prozent der Braunkehlchen ungewollt alleine – ein ganz schön hoher Prozentsatz, wie ich fand.
Mein Kollege und ich fokussierten uns aber auf die erfolgreichen Paare, die sich endlich gefunden hatten und auch schon offensichtlich angefangen hatten, den Standort ihres zukünftigen Nestes auszusuchen. Und während wir so unsere Vögel dabei beobachteten und die schlechte Witterung im Frühling es den Vögeln und uns ganz leicht machte, das auch völlig ohne Stress zu tun, übersahen wir fast, dass eine trockene Wetterperiode das alles im Nu ändern könnte.
Ich bemerkte auch an den immer drängender werdenden Anrufen auf der Wetterhotline meines Bruders, dass die Bauern schon in den Startlöchern standen, um endlich mähen zu können. Und jetzt wurde es mir so richtig bewusst, die Vögel waren noch lange nicht so weit, sie waren ja erst beim Nestbau, vielleicht schon kurz nach der Eiablage, aber flügge würden die Jungen erst in einigen Wochen sein … also was tun? Die Zeit drängte.
So beschlossen wir, die heuer vom Land eingeführte Nestschutzprämie als etwaige Wunderwaffe zum Schutz der wenigen verbliebenen Braunkehlchen auszupacken. Doch wo genau brüteten sie? Wir konnten das bei unseren Begehungen nicht genau feststellen. Dazu müssten wir Vogelkundler 24/7 auf der Lauer liegen und beobachten, wo genau die Vögel in der dichten Wiese abtauchen, und selbst das kann man erst, wenn die Jungvögel bereits gefüttert werden, aber so weit waren wir, oder besser gesagt unsere Braunkehlchen, noch lange nicht.
Jetzt musste also alles schnell gehen, denn die mittelfristige Wetterprognose sollte uns noch eine Woche Galgenfrist schenken, bis uns das bislang unbeständige Wetter ein paar trockene Tage bescheren sollte – perfekt zum Mähen!
Uns fiel auf, dass die Vogelpaare vermehrt entlang von Gräben saßen (im Gegensatz zu den unverpaarten Männchen, diese hockten immer noch zwitschernd hoch oben auf Strommasten oder Hüttengiebeln). Wir beschlossen daher, alle betroffenen Landwirte dazu zu ermutigen, entlang von gerade diesen Entwässerungsgräben das Gras noch etwas länger stehen zu lassen. Das bedeutete für mich: Kaltakquise. Das kenne ich aus der Versicherungsbranche, und es ist mir verhasst! Niemand will am Telefon überrumpelt werden, also ich jedenfalls nicht.

St. Jakob ist wegen der höheren Lage mit dem Mähen meistens etwas später dran und dort gibt es auch nicht so viele Bewirtschafter. Darum hatte das erstmal keine Priorität. Matrei ist da schon etwas spezieller. Intensiv bewirtschafteter Talboden, frühe Mahd, schmale Streifen – und ich wusste, dass im Talboden um die 100 Bewirtschafter am Werk sind. So konnten wir in der Nähe unserer vier Brutpaare 24 Bewirtschafter ausfindig machen, die ich nun innerhalb kürzester Zeit erstmal von der Landwirtschaftskammer per E-Mail anschreiben ließ – als Vorwarnung sozusagen. Danach ging es doch ans Telefon.
In den verbleibenden Tagen mit feuchtem Wetter telefonierte ich alle durch, versuchte alles: WhatsApp, wo es möglich war, E-Mail, SMS, persönliche Termine. Einige konnte ich nicht erreichen, sie waren gerade in der Arbeit (Nebenerwerb ist bei uns sehr häufig), saßen am Traktor, arbeiteten im Stall oder hatten einfach keinen Empfang auf der Alm. Es war echt stressig und schwierig, alle zu erwischen – und zwar am richtigen Fuß. Ich hatte ja immer die Handvoll Osttiroler Braunkehlchen im Hinterkopf, die sich so viel Mühe gegeben hatten, nach der langen beschwerlichen Reise endlich ein Weibchen zu finden, um bei uns zu brüten.
Ich war in einer Achterbahn der Emotionen: Erst freute ich mich über die Brutpaare, dann stresste mich das bald eintreffende Schönwetter, dann die vielen Anrufe und persönlichen Gespräche bei den Bauern. Davon waren erstmal viele positiv, einige konnte ich nicht einordnen, einige wenige waren abweisend. Letztlich stimmte ungefähr die Hälfte der Bauern zu, einige Meter entlang dieser Gräben erst beim zweiten Schnitt zu mähen. Meine Gefühle waren gemischt, ich hatte mir – ehrlich gesagt – mehr erhofft. Doch ob wir mit dieser Last-Minute-Maßnahme die wenigen Nester der Braunkehlchen retten konnten, sollten wir erst erfahren, als alle Landwirte ihre Wiesen gemäht hatten, mit oder ohne Nestschutzstreifen für die Vögel.

Der folgende Durchgang war ernüchternd: Die vier Paare in Matrei verhielten sich total eigenartig. Waren die Weibchen vorher immer wieder in der Wiese abgetaucht während die Männchen patroullierend in der Nähe auf den Ansichtswarten hockten, so saßen jetzt beide nur noch auf den Holzpfosten herum, umgeben von gemähten Wiesen und wussten nicht recht, was sie mit sich anfangen sollten.
In St. Jakob bot sich nach der Mahd folgendes Bild: Ein Pärchen, das in einem nicht bewirtschafteten Wiesenstück gebrütet hatte, war schon stolze Eltern dreier flügge gewordener kleiner Braunkehlchen. Welche Freude! Aber in dieser unberührten Fläche war das zu erwarten gewesen. Ein weiteres Pärchen schien zwar sein Nest durch zu frühe Mahd verloren zu haben, war aber schon wieder mit Paarungsverhalten beschäftigt und hatte sein Revier wohl in Richtung der unbewirtschafteten Fläche verlegt. Das dritte Paar verhielt sich so verwirrt wie die Vögel in Matrei.
Doch oh Schreck, das vierte Pärchen, das mit seiner Brut schon recht weit gewesen zu sein schien, war verschwunden, wahrscheinlich tot durch Mähmaschinen. Die Enttäuschung war uns beiden Biologen während der Begehung ins Gesicht geschrieben. Wieder alleine in meinem Auto wurde mir schlecht, ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich stellte mir vor, wie sich die kleine Vogelmama beim Herannahen der großen Mähmaschine schützend auf ihr Nest geduckt hatte und …
Mir waren die wenigen Braunkehlchen hier in Osttirol in diesem intensiven Beobachtungsjahr einfach schon zu sehr ans Herz gewachsen – zugegeben nicht sehr professionell. Die restliche Woche war ich eher schlecht gelaunt, das seltsame Verhalten der Brutpaare, die ihre Brut verloren hatten und das Verschwinden des einen Pärchens hatten mir arg zugesetzt.
In den folgenden Wochen beobachteten wir aber, dass zwei Brutpaare, deren Nester verloren waren – eines in St. Jakob und eines in Matrei – offensichtlich einen erneuten Brutversuch unternommen hatten und zwar in den von den Landwirten stehengelassenen Streifen. In mir keimte wieder etwas Hoffnung auf. Plötzlich ging dann aber alles recht schnell: In den folgenden Wochen konnte ich sowohl im Defereggen beim dritten Paar als auch in Matrei bei einem Paar einige Jungvögel beobachten.
Wieder musste ich weinen, dieses Mal vor Glück. Unsere ganze Mühe mit dem Nestschutz hatte wenigstens zwei Braunkehlchen-Familien gerettet. Und auch noch hoffentlich rechtzeitig für den langen Flug nach Afrika. Laut Fachliteratur werden weitere Brutversuche selten unternommen und meist auch zu spät für den Vogelzug.
Das Resümee dieses Braunkehlchenjahres:
St. Jakob:
- 1 Bruterfolg beim 1. Versuch
- 2 Bruterfolge beim 2. Versuch
- 2 Brutpaare ohne Bruterfolg
Matrei:
- 1 Bruterfolg beim 2. Versuch
- 3 Brutverluste und kein weiterer Versuch
Also, ohne die unbewirtschaftete Fläche in St. Jakob und die Nestschutzmaßnahmen sowohl in St. Jakob als auch in Matrei, hätten die Braunkehlchen in Osttirol heuer keinen einzigen Jungvogel hervorgebracht! Das ist ziemlich ernüchternd, wie ich finde. Aber wir wollen mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Großer Dank gilt dabei den Landwirten, die sich bereit erklärt haben, bei unserem Nestschutzprogramm mitzumachen und der Familie Noner, die ihre Fläche in St. Jakob unbewirtschaftet lässt, dabei zwar auf Pachtgeld verzichtet, aber so den Fortbestand dieser selten gewordenen Vogelart vorerst noch sicherstellt.
Vielleicht schaffen wir es gemeinsam mit viel Anstrengung, dass sich die Braunkehlchen-Population in Osttirol wieder etwas erholt und wir diesen süßen kleinen Wiesenspatz auch in Zukunft noch hören und sehen können – ich würde es mir von Herzen wünschen!
4 Postings
Sg Frau Heinz-Prugger,
könnten Sie für mich als Landwirt die Mähzeiten (Monat) bzw die Brutzeiten und auch das Flügge werden entsprechend zeitlich einordnen? Ich würde gerne hier auf das Braunkehlchen entsprechend Rücksicht nehmen!
2. - gibt es auch entsprechende Beobachtungen im Schutzgebiet Strassen bzw Heinfels?
Danke für Ihr Engagement!
Lieber Biogrillee! Das freut mich sehr!!!! Bitte einfach unter wiesenvoegel@tirol.gv.at melden - dann können alle Möglichkeiten besprochen werden! Das Braunkehlchen selbst kommt bei uns zur Zeit leider nur noch in den beiden genannten Regionen vor. Aber Lebensraum für Wiesenvögel zu schaffen ist nie verkehrt. Und wer weiß, vielleicht findet durch kleine Beiträge vieler Menschen das Braunkehlchen auch irgendwann wieder Platz zum Leben an mehreren Orten in unserem schönen Osttirol. Herzliche Grüße, Petra
Habe beim Lesen deine Tränen geteilt...
Bemerkenswertes Engagement! Großes Kompliment liebe Frau Heinz-Prugger!
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