Aus Gewohnheit Instagram öffnen. In TikTok-Videos versinken. Abends scrollen, statt zur Ruhe zu kommen. Das Handy ist ein ständiger Begleiter – und eine ständige Ablenkung. Aber nicht nur unter Kindern und Jugendlichen entwickelt sich ein Suchtverhalten, auch viele Erwachsene verbringen täglich Stunden vor dem Bildschirm, oft ohne es zu merken.
Von einem achtsamen Umgang ist nur selten die Rede. Ein kompletter Verzicht erscheint für viele undenkbar. Dass es machbar ist und auch viele positive Aspekte mit sich zieht, bewiesen 13 Schülerinnen und Schüler sowie zwei ihrer Lehrerinnen der MS Egger-Lienz. Im September schalteten sie ihre Handys ab und sperrten sie weg. Für drei Wochen.
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Seit die Projektgruppe am 20. Oktober die Handys feierlich wieder eingeschaltet hat, ist fast ein Monat vergangen. Ob die Teilnehmenden in alte Muster verfallen sind? „Komischerweise bin ich in den ersten Tagen nachdem ich es wieder hatte, sehr in alte Gewohnheiten zurückgerutscht“, erinnert sich die Lehrerin Michaela Steiner. Nach ein paar Tagen entspannte sich ihr Verhalten: „Jetzt hat sich schon viel verändert.“
„Meine Bildschirmzeit hat sich sehr gekürzt. Ich habe jetzt höchstens zwei Stunden.“
Lena, Schülerin an der MS Egger-Lienz
Steiner lässt ihr Handy nachts nicht mehr im Schlafzimmer liegen und nimmt es oft gar nicht erst mit, wenn sie unterwegs ist. Lena geht es ähnlich: „Oft vergesse ich das Handy sogar.“ Vor dem Entzug hockte die Schülerin an Wochenenden bis zu elf Stunden am Smartphone. Durch das Projekt hat sich das deutlich verringert: „Meine Bildschirmzeit hat sich sehr gekürzt. Ich habe jetzt höchstens zwei Stunden.“
Lena ist damit nicht allein. In den Gesprächen mit den Schülerinnen und Schülern fällt oft der Satz: „Ich bin weniger am Handy.“ Die Gründe, die dafür genannt werden, variieren von „Es interessiert mich einfach nicht mehr“ bis hin zu „Ich habe jetzt anderes zu tun“. Die Kinder nutzen ihre freien Stunden für Hobbys, gehen raus in die frische Luft oder verbringen Zeit mit der Familie. „Früher habe ich immer Nein gesagt, wenn mein Bruder spielen wollte. Jetzt genieße ich es, Zeit mit ihm zu verbringen“, erzählt Katlyn.
Die Kinder erwähnen auch einen bewussteren Umgang. Alena sagt: „Ich benutze es nicht mehr so oft und hänge nicht mehr sinnlos am Handy, so wie früher. Ich achte darauf, was ich mache und dass es mir was bringt.“ Der Entzug half, ein neues Verhältnis zu entwickeln. Ema betont, um einiges achtsamer mit den Sozialen Medien umzugehen. An das Projekt erinnert sie sich gern zurück: „Es war eine schöne Zeit und es hat richtig Spaß gemacht.“ Noel fand die drei Wochen ohne Smartphone ebenfalls „cool“ und würde das Projekt „auf jeden Fall“ weiterempfehlen.
„Diese drei Wochen Handy-Verzicht haben mehr gebracht, als wenn ich ein Jahr lang im Unterricht den Umgang mit den Sozialen Medien erklärt hätte.“
Michaela Steiner, unterrichtet „Digitale Grundbildung“ an der MS Egger-Lienz
Maximilian ist stolz darauf, nicht in alte Muster zurückgefallen zu sein. „Wenn ich wo warten muss, benutze ich mein Handy fast gar nicht mehr.“ Auch Najla spürt eine Veränderung. Ihre Bildschirmzeit blieb zwar bei rund sechs Stunden, doch sie beobachtet, dass es ihr leichter fällt, das Handy auch mal zur Seite zu legen. Für Steiner zeigt das Projekt genau, worauf es ankommt: „Diese drei Wochen Handy-Verzicht haben mehr gebracht, als wenn ich ein Jahr lang im Unterricht den Umgang mit den Sozialen Medien erklärt hätte.“ Das Prinzip „Learning by Doing“ sei der entscheidende Erfolgsfaktor.
Auch ihre Kollegin Stefanie Salfinger-Tabernig zieht Nutzen aus der Erfahrung: „Mein Umgang mit dem Handy ist noch mal bewusster geworden. Und auch hinsichtlich meiner eigenen Kinder bin ich jetzt sehr stark dahinter, den Moment, bis sie ein eigenes Smartphone bekommen, so lang wie möglich hinauszuzögern“.
Die Lehrerin hat sich über das Projekt hinaus mit dem Thema beschäftigt und ist auf den Verein „Smartphone freie Kindheit“ aufmerksam geworden. Die Mitglieder „befürworten einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien – jedoch zum richtigen Zeitpunkt und mit der nötigen Begleitung.“ In Osttirol gibt es eine Vernetzungsgruppe. Salfinger-Tabernigs zentraler Gedanke: „Es ist wichtig, dass nicht nur die Kinder selbst, sondern auch die Eltern erkennen, welche Gefahren das Handy birgt und wie man es kontrollierter nutzen kann.“
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