Der letzte
Bulle
Der letzte Bulle
Jos Pirkners Meisterwerk

Der Bildhauer vollendet mit 85 Jahren eine gigantische Skulptur. Atelierbesuch bei einem Künstler, der in großen Dimensionen denkt.

Mit den Fingerkuppen streicht Jos Pirkner fast zärtlich über das Schulterblatt des mächtigen Bullen. Der Gigant aus Lehm ist der letzte seiner Art, einer von 14, ein Anführer, der weit überlebensgroß seinen massigen Körper in einer wilden Jagd nach vorne wuchtet, mit gesenktem Kopf, ohne Rücksicht auf Verluste. Vieles an diesem größten Werk des in Tristach lebenden Bildhauers hat Symbolcharakter. Das ist Pirkners Stil und seine Stärke. 14 Bullen für Red Bull? Kunst im X-Large-Format für eine „Dosenfirma“? Pirkner hält sich nicht mit solchen Fragen auf. Er und sein größter Auftraggeber Dietrich Mateschitz haben sich gefunden und manches gemeinsam: zum Beispiel den Hang zum Superlativ und zu Gesten, die man nicht falsch interpretieren kann. Beide Männer wollen grundsätzlich Großes schaffen und beide sind sich sicher, dass ihr Werk gelingt. Von Anfang an.

Es sind nicht die broncenen Tiere allein, um die es in Pirkners monumentaler Skulptur geht. Die Handschrift des Bildhauers prägt auch den Ort, an dem die Bullen im Spätsommer 2013 erstmals vor aller Augen durch wild sprudelndes Wasser stürmen sollen: das Hauptquartier von Red Bull im salzburgischen Fuschl am See. Pirkner hat auch dieses Headquarter gezeichnet. Es sollte ursprünglich ganz anders aussehen, dann hat der Künstler ein Modell gebaut, ein paar Skizzen geskribbelt und Mateschitz überzeugt. Red Bull braucht ein Haus, „das nach Red Bull aussieht“, ein Markendach über dem  Kopf von rund 800 Mitarbeitern, die derzeit in Fuschl arbeiten. Nach Pirkners  Vorgaben wurde der Bürokomplex Realität, der an einen Vulkankegel erinnert und irgendwie auch an James Bond. Das Hauptgebäude aus  Stein, Glas und Stahl schwebt auf einem künstlichen See. Aus dem Haus heraus bricht künftig die riesige Figurengruppe Pirkners mitten durch eine Glasscheibe ins Freie, 22 Meter lang und unaufhaltsam, wie der Siegeszug des Coffeingetränks, das seinen Erfinder reich gemacht hat. Das Atelier von Jos Pirkner in Tristach bei Lienz wurde eigens für diese Monumentalplastik gebaut. Hier kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Dieses gigantische Werk hat der bald 85 Jahre alte Künstler mit eigenen Händen aufgetürmt. 57 Tonnen (!) Lehm hat Pirkner mit nur zwei Helfern Kilo für Kilo, Schicht für Schicht geformt, zur Vorlage für eine der größten Bronceskulpturen, die weltweit in den letzten Jahrezehnten geschaffen wurden. Sechs der insgesamt 14 Bullen waren bei unserem Fototermin Mitte August 2012 noch zu sehen, die letzten beiden noch ganz frisch, aus Lehm, der ständig feucht gehalten werden muss, bis die Abformer kommen.

Jos Pirkner hatte schon immer einen Sinn für das Praktische – wenn er kein Feuerzeug findet, verwendet er den Bunsenbrenner.

Die anderen Giganten wirkten schon rissig und vergänglich, aus ihren Flanken bröckelten Teile zu Boden und gaben den Blick ins Innere frei, auf Drahtgitter und eine wuchtig zusammengeschweißte Metallkonstruktion. „Sie wurden der Reihe nach abgeformt, ich lass die alten so lange stehen, bis ich weiß, welche Position die neuen haben.“ Auf diese Art hat Pirkner eine 22 Meter lange Figurengruppe geformt, in fast sechs Jahren harter Arbeit. Ein Jahr hat er pausiert, als seine Frau Joke starb. Für einen Moment schien es, als sei die Vollendung des Werkes gefährdet. Doch Jos Pirkner nahm die Arbeit wieder auf, modellierte einen Bullen nach dem anderen, den letzten im Hochsommer 2012, bei brütender Hitze. „Für uns ist das schlecht, wir müssen den Lehm unbedingt feucht halten. Jeder Tag, um den sich das Abformen verzögert, ist ein Risiko“, erklärt der Künstler.

Während die abgeformten Figuren zerbröckeln, erkennt man die frischen Bullen an der Folie, die den Lehm am Austrocknen hindern soll. Dazwischen der Künstler.

Abformen bedeutet, dass auf den noch feuchten Lehm eine dünne Gipsschicht aufgetragen wird, fast so, als würde man ein gebrochenes Bein eingipsen. So nehmen die Abformer der Berliner Gießerei Noack Stück für Stück Negativabdrücke der riesigen Figuren. Noack gilt als der beste der Welt, auch die Plastiken von Henry Moore entstanden in seiner Werkstatt. Dort werden die Gipsteile zu einer hohlen Form zusammengepuzzelt, die in einem komplexen, technisch anspruchsvollen Prozess zunächst mit Wachs und später mit flüssiger Bronce ausgegossen werden. Fertig ist die Skulptur dann allerdings noch lange nicht, sie muss „abgearbeitet“ und poliert werden. Zum Transport wird sie zerschnitten, um überhaupt auf einen Sattelschlepper zu passen. In Fuschl wird die monumentale Figurengruppe wieder zusammengefügt und millimetergenau im „Red Bull Vulkan“ positioniert. Bis dahin vergehen noch einige Monate, auch am Gebäude und der Umgebung wird teilweise noch gearbeitet. In der Aufbauphase herrscht strengstes Fotoverbot. Erst wenn alles fertig ist, soll die monumentale Skulptur mit einem ordentlichen Wirbel der Welt präsentiert werden. Aus unzähligen Düsen wird dann von unten Wasser um die Bullen sprudeln, die wie durch einen Wildbach aus dem Gebäude ins Freie stürmen sollen. Pirkner hat genau geplant, wo die Glasscheibe des Hauses durch seine Figur schneiden wird: „Es muss weißes Glas sein, damit die Figuren keinen Grünstich bekommen und die Beleuchtung innen und außen muss stimmen, sonst wirkt der Kopf abgeschnitten und alles spiegelt sich.“ Ob er das ausprobiert hat? Muss er nicht. So etwas weiß er einfach.

Das ist er, der letzte von 14 Bullen, die Jos Pirkner in Lehm formte. Sie bilden gemeinsam eine gewaltige Figurengruppe aus Bronze.

In keiner Sekunde macht Jos Pirkner den Eindruck, als ob irgendetwas bei diesem gigantischen Projekt schiefgehen könnte. Müde, ja, das sei er manchmal schon. Das Knie macht ihm zu schaffen. Er ist doch froh, dass es jetzt vollbracht ist. „Ich lasse mich jetzt erst einmal operieren, dann mache ich Urlaub.“ Es ist der erste Urlaub seit Jahren für einen 85-Jährigen, der noch keinen Euro Pension kassiert hat. Im Gegenteil. Es wurmt ihn, dass wohl fast die Hälfte des Honorars für die riesige Skulptur im Steuertopf landen wird: „Mit 85 sollte man weniger Steuern zahlen“, erklärt er, sucht ein Feuerzeug, findet keines und nimmt den Bunsenbrenner. Pirkner hatte schon immer einen Sinn für das Praktische. Dieser Künstler ist kein Theoretiker, er setzt um, was ihm einfällt, mit einer kreativen Selbstverständlichkeit die beeindruckt. Der nächste Coup ist schon geplant. Wieder wird es um Architektur gehen, „was ganz Großes“, eh klar und wieder ist Dietrich Mateschitz der Auftraggeber. Noch planen die beiden Männer und beschäftigen sich mit eher spielerischen Dingen. Zum Beispiel mit dem Design des Formel1-Boliden von Torro Rosso. Auch ein Bulle den Pirkner gestaltet, halt einer mit Motor. „Es hört nicht auf“, meint er, zieht an der Zigarette und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.

Credits
  • Autor: Gerhard Pirkner
  • Fotografie: Ramona Waldner

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