Ein friedlicher
Grenzgang
Ein friedlicher Grenzgang

Unsere Route: Karnischer Höhenweg, KHW 403, Friedensweg, Via della Pace. Unterwegs von Osten nach Westen. Eine Fotoreportage!

Die Personen dahinter:

Margit Steidl, aufgewachsen im Villgratental, Innervillgraten. Lebt und arbeitet derzeit in Graz als selbstständige Gestalterin.

Sabine Hoffmann, Fotografin, stammt aus Unterpremstätten in der Steiermark und ist ebenfalls in Graz tätig.

Das Vorhaben

Der gesamte Karnische Höhenweg führt von Sillian (Osttirol) ins Nassfeld (Kärnten) mit einer Gesamtlänge von 155 Kilometer und ist Teil des Roten Weges der Via Alpina. Er wird durch den Einschnitt des Plöckenpasses (1 357 Meter) in zwei Teilstücke gegliedert: ein westliches, von Kalkmassiven geprägtes, wo der Weg selten unter 2 000 Meter Höhe fällt, und ein östliches, sanfteres Teilstück, wo Almen und Wälder vorherrschen. Wir begeben uns fast eine Woche lang ins Hochalpine.

Bepackt mit Fotoausrüstung wandern wir das hochalpine Teilstück des Karnischen Höhenwegs. Die Leidenschaft zu den Bergen, die Vertrautheit zu Osttirol, die Heimat genau unter die Lupe nehmend. Wir sind zu zweit, ein Blick von innen, ein Blick von außen. Mit der Zeit hat sich das Interesse zum konkreten Vorhaben geformt und so haben wir beschlossen, den Karnischen Höhenweg fotografisch zu dokumentieren.

Blick Richtung Bärenbadegg (ital. Croda Nera), 2.431 Meter. Der Karnische Höhenweg ist von Weitem gut sichtbar.
Unbekannter See nähe Stella Sinassis, 1.987 Meter

Nicht allein die Karnischen Alpen an sich, mitsamt dem Bergpanorama der Lienzer und Südtiroler Dolomiten sind Motiv, ebenso die weit hinauf reichenden Almwiesen und „Heischupfen“, unterschiedliche raue Witterungen, das Sein im Gebirge, das Gebiet zwischen drei Kulturen, die italienischen und österreichischen Dörfer beidseitig des Karnischen Kamms, die noch immer sichtbaren Zeugnisse des Ersten Weltkriegs, die bewirtschafteten Schutzhütten, die „nutzn Bliamlan und Stoandlan.“

Wir versuchen zu begreifen und aufzuzeichnen, auf welchen Pfaden wir uns hier wirklich bewegen. Aus den zuerst geplanten fünf Tagen werden sechs, und auch das erscheint uns eigentlich zu kurz …

Wolayer Seewarte (ital. Cina Lastrons del Lago), 2.595 Meter. "Von diesem Berg aus gesehen ist jener Berg höher." (Chinesisches Sprichwort)
Wolayersee, 1.960 Meter. 13,9 Meter tief und rund vier Hektar groß, zwischen 10.000 und 11.000 Jahre alt, die Oberflächentemperatur übersteigt selten 12°C.

Meer

Am Valentintörl scheint noch die Sonne, dann versteckt der Nebel die Landschaft. Angekommen beim Wolayersee, reißt der Nebel zwischendurch auf und gibt den See frei, schlussendlich haben wir Nebel, Sonne und Regen gleichzeitig und es zeichnet sich ein Regenbogen quer über den See. In der Wolayerseehütte finden wir ein Gedicht, wie man es besser nicht beschreiben könnte:

Viele Augen hat das Meer
eins davon bist du,
tausend Jahre liegst du schon,
hier in dieser Ruh.
Oft hat müd ein Wandersmann
sich gelabt bei dir,
dann ging er mit frohem Mut
wieder frisch von hier.
Blitze, Donner, Sonnenschein
das ist deine Welt,
und der Mond gibt dir das Licht
nachts vom Sternenzelt.
Lebewohl Wolayersee
ich muß wieder gehn,
Lebewohl du stilles Meer
sag – Auf Wiedersehn.

Grenzen

Nebel und Wolken sollten uns die nächsten zwei Tage weiter begleiten. Wir brechen auf Richtung Westen, den Südtiroler Dolomiten entgegen. Noch sind wir in Kärnten, aber in knapp zwei Stunden sollten wir italienischen Boden betreten.

Vom Karnischen Höhenweg aus sind beidseitig der italienisch-österreichischen Grenze immer wieder Täler mit Gemeinden gut einsehbar und manche stehen in besonderen Verbindungen zueinander. Zum Beispiel ist die Fußwallfahrt von Sappada in Italien zur Wallfahrtsbasilika in Maria Luggau in Osttirol mit über 500 Pilgern eine der bedeutendsten der Gegend. Auch von dem italienischen Forni Avoltri wird nach Maria Luggau gepilgert. Teilstrecken dieser Wallfahrten führen entlang des Karnischen Kamms am Hochweißsteinhaus vorbei, unser Tagesziel für die heutige Etappe.

Blick auf den Großglockner, 3.798 Meter
Hochweißsteinhaus, 1.868 Meter. Erbaut 1927, seit 1950 von der Familie Guggenberger bewirtschaftet. 1975 von einer Lawine teilweise zerstört, behutsam renoviert 2000/2010.

Sappada – oder Plodn – ist eine deutsche Sprachinsel, die Wurzeln zeigen sich in der sprachlichen Ähnlichkeit zum Villgrater Dialekt in Osttirol. So findet seit einigen Jahren ein Schüleraustausch zwischen Sappada und Innervillgraten statt, um grenzüberschreitende Verbundenheiten weiter zu pflegen. „Weil sofflant unterschiedlich sant de Tälar jo olle et, es isch jo la a Berg dazwischnd.“

Glück

Einen Tag müssen wir pausieren und genießen das Hüttenleben am Hochweißsteinhaus. Draußen ist es weiß, wir könnten überall sein. Es hagelt, wir sitzen gemütlich in der warmen Stube.

Am nächsten Tag hat sich das Wetter gedreht und wir brechen zur Porzehütte auf, mit 8–9 Stunden die längste Tagesetappe der Wanderung. Am Grat entlang, mit einem 360° Bergpanorama fühlen wir uns wie im siebten Bergsteigerhimmel.

Noch bevor wir in die Berge aufgebrochen sind, hat uns Anton Sint, Sektionsleiter des Alpenvereins Sillian, ein Sprichwort, das ihn sehr ans Bergsteigen erinnert, mit auf die Wanderung gegeben. „Jeder ist ein Haus mit vier Räumen – ein körperlicher, ein geistiger, ein emotionaler und ein spiritueller Raum.“ Das prägt sich ein und kommt uns die darauffolgenden Tage immer wieder in den Sinn. Gefühlt durchlaufen wir an einem Tag alle Räume im Loop. Wir wandern, schauen, staunen, fotografieren, spüren Rhythmus, jausnen, bemerken Tiere, beobachten Witterungen, verlieren das Zeitgefühl, gehen, gehen auf in der Natur, kommen an, sind glücklich und zufrieden, essen, genießen, schlafen, wachen mit der Sonne früh auf, wandern, schauen … Das ist wohl der viel beschriebene „Flow“.

Schafe weiden am Luggauer Törl, 2.232 Meter
Obstansersee, 2.300 Meter, rund drei Hektar groß. Die Temperatur des Sees steigt kaum über 10°C, rund acht Monate im Jahr ist er von Eis bedeckt. Die tiefste Stelle liegt bei 8,3 Meter, das Wasser ist kristallklar mit einer Sichttiefe von über fünf Metern.
Ankunft Wolayerseehütte, 1.960 Meter
Blick Richtung Sextener Dolomiten, im Vordergrund der Knieberg (ital. Col Quaternà), 2.503 Meter
Murmeltier am Valentintörl, 2.138 Meter
Sillianer Hütte, 2.447 Meter. Im August 1986 festlich eröffnet, an dem Ort, wo einst die Viktor-Hinterberger-Hütte stand.
Höchster Gefallenenfriedhof Europas (Gebirgskrieg 1915 bis 1918)
In der Nähe des Mitterkarjochs, 2.410 Meter

Dieser Ausdruck geht auf einen Mann namens Mihaly Csikszentmihalyi zurück. 1975 beschrieb er das Flow-Erlebnis: Sorgen um sich selbst verschwinden, das Gefühl für Zeitabläufe ist verändert, man verspürt Mühelosigkeit, Handlung und Bewusstsein verschmelzen und man geht völlig in der Tätigkeit auf. Diese konzentrierte Wahrnehmung und höhere geistige Leistung gehen damit einher, dass Bereiche des frontalen Gehirns nach einiger Zeit deaktiviert werden. Kurz: Wenn wir nicht bei den Dingen sind, dann sind wir nicht bei uns selbst. Man ist nicht mehr fähig, sich als von der Natur oder vom Rest der Welt getrenntes Wesen zu sehen.

Und so wandern wir dahin, eins mit der Natur und kommen am Ende des Tages zur Porzehütte, wo wir auf der Terrasse gut müde die Abendsonne genießen, jausnen und rosarote Wölkchen im Sonnenuntergang beobachten.

Abgrund / Idylle

Der weitere Weg ist gesäumt von einer Vielzahl prächtiger Alpenblumen in so kräftigen Farben, dass man tatsächlich an ihrer Echtheit zweifeln könnte.

Wir besteigen den höchsten Punkt des Karnischen Höhenwegs, die Pfannspitze mit 2 678 m und ruhen uns beim Obstansersee aus. Neben den beeindruckend statischen Bergriesen bietet das Wetter Festschauspiele am Himmel. Nebelschwaden kriechen aus dem Tal herauf, zerreißen und zerfließen an den spitzkantigen Gipfeln, um sich anderen Orts neu zu formieren. Licht -und Schattenspiele beleuchten und setzen in Szene. Ein Eldorado an Motiven, das jedes Fotografenherz höher schlagen lässt.

Die Große Kinigat (ital. Monte Cavallino), 2.689 Meter, ist der dritthöchste Berg des Karnischen Hauptkamms.

Aber die nächsten zwei Tagesetappen erinnern uns auch immer wieder daran, dass wir uns entlang der einstigen Front des Gebirgskriegs bewegen. Überreste alter Stellungen, zu Bunkern ausgehöhlte Felskavernen und Soldatenfriedhöfe erinnern an die schrecklichen Zeiten zwischen 1915 und 1918. In den 70er Jahren wiederhergestellt und zu begehbaren Wegen verbunden, finden sich dort nun bergbegeisterte Menschen aus aller Herren Länder. Heute heißen sie „Friedenswege“/„Le vie della pace“, zu denen auch der Karnische Höhenweg zählt. „Wege, die einst Fronten trennten, sollen uns heute verbinden.“

Credits
  • Autorin: Margit Steidl
  • Fotografie: Sabine Hoffmann

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