Es riecht vertraut nach frischer Kunst
Es riecht vertraut nach frischer Kunst
Der junge Osttiroler Künstler Kevin Mayr geht mit unbefangener Neugier und traditioneller Technik ans künstlerische Werk. Ab 19. April sind seine Arbeiten in der Galerie der Kunstwerkstatt in Lienz zu sehen.

Er male und zeichne sein ganzes Leben lang, gibt Kevin Mayr zu Protokoll, was für einen gerade einmal Zwanzigjährigen noch wenig und doch auch sehr viel heißen kann. Eine schon seit der Kindheit verspürte und kultivierte Neigung erfordert dauerhafte Bestätigung aus dem familiären und schulischen Umfeld, um schließlich zu einem Berufswunsch zu reifen. Kevin Mayr leistet derzeit seinen Zivildienst bei der Lebenshilfe Tirol. Danach will er studieren: an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er sich schon beworben hat, oder in Karlsruhe, wo ihn die fächerübergreifende Form des Unterrichts fasziniert, die auf der Erkenntnis, „dass Kunst nur im Prozess ihrer Erfindung und Herstellung gelehrt und gelernt werden kann“ gründet.

Damit ist bereits das Spannungsfeld abgesteckt, in dem sich ein junger Künstler heute zurechtfinden muss. Denn wie genau soll der Prozess sich abspielen, zwischen analogem Handwerk und einer künstlerischen Kommunikation, die nahezu unkommentiert, dafür aber fast vollständig in den digitalen Raum emigriert ist? Das Aufnahmeverfahren an einer Kunsthochschule ist ausdrücklich nur mehr per Upload von Arbeitsproben im Ausmaß von einem Gigabyte möglich, die mündliche Zulassungsprüfung erfolgt dann per Zoom-Konferenz. Die Zeiten, in denen man mit einer gigantischen Mappe aus der Provinz in die Großstadt reiste, um seine künstlerischen Versuche vor dem ehrwürdigen Professorenkollegium auszubreiten, in der Hoffnung, damit die Welt zu erobern, dürften unwiderruflich Geschichte sein. Doch ist es die terpentin- und leinölgeschwängerte Raumluft, die den Erzeugnissen der eigenen Kunst noch jahrelang anhaften kann, auch?

Kevin Mayr, ohne Titel
Kevin Mayr, Anastasia

In der Lienzer Kunstwerkstatt-Galerie ist diese Erinnerungsspur jetzt wieder zu riechen. Und es sind Gemälde zu sehen, die man aufgrund ihrer Dimensionierung und des z. T. pastosen Farbauftrages auch als Objekte be-greifen kann. Kevin Mayr macht nicht den Eindruck, als ob ihm die Welt schon gehört. Er muss sie sich erst aneignen und tut dies mit unbefangener Neugier ebenso wie mit der Befragung einer Jahrhunderte alten Tradition. Der suchende Pinselstrich mit Tusche auf Papier oder mit Ölfarben auf Leinwand ist nicht die schlechteste Strategie, um sich auf eine Expedition in das kollektive Unbewusste einzulassen, die am Ende das ganz persönliche Fundstück als Mitbringsel für sein Publikum ans Tageslicht hebt. Aus gestaltlosen Kritzeleien wird am Ende immer Figur. Man merkt den Bewegungen, skurrilen Verrenkungen und lustvollen Deformationen an, dass die Übung Sicherheit gibt und das Potenzial zur Geschichte, zur Bildergeschichte enthält.

Kevin Mayr, Die Schwimmerin von Köln
Kevin Mayr, The End

Zunächst aber dienen die Zeichnung und deren knappe, bisweilen auch ausführlichere Beschriftung mehr der Selbstvergewisserung. „Die Maler tranken die Zitzen der Muse leer“, ist auf einem der Blätter zu lesen, und die damit verbundene Frage, ob in der Malerei nicht schon alles gesagt oder alles Sagbare auch schon gemalt wurde, kann nur stellen, wer den Ernst der eigenen Lage verspürt. Wer den Zweifel an sich und sein Tun heranlässt und Auswege sucht. Intuitiv nennt Mayr, auf seine Vorbilder befragt, Namen, die man mit der Anstrengung, sich aus der kunstgeschichtlichen Krise durch einen originellen Schlag zu befreien, verbindet: El Greco, der sich von Tizian, Parmigianino, der sich von Michelangelo zu emanzipieren und Georg Baselitz, der sich gleich die gesamte abendländische Malerei auf den Kopf zu stellen vornahm.

Die Venus von Kevin Mayr steht nicht auf dem Kopf, sie dreht ihren Beschauern den Rücken zu. Assoziationen zu zwei unumstrittenen Ikonen der bildenden Kunst sind nicht nur gewollt, sie sollen auch durch den Bildtitel auf die richtige Fährte gelenkt werden: Die „Geburt der Venus“ von Botticelli und die Venus von Willendorf, die eine ein Fest für das Auge, die andere eins für die Hand. Beider Geheimnis ist weder in der intellektuellen Allegorie noch in einem wie immer gearteten magischen Kult zu verorten, sondern im sinnlichen Erlebnis, das der Künstler beim Malen oder Skulpieren empfand und das sich im günstigsten Fall durch das Kunstwerk an den Betrachter vermittelt.

Credits

Ein Posting

Anthony Soprano
vor 3 Jahren

Ich freue mich schon und hoffe, dass auch bei geschlossenem Fenster die Tür offen bleibt.

 
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