Sarahs
Sehnsuchtsort
Sarahs Sehnsuchtsort
Wir besuchen eine Familie aus München, die auf der Trelebitschalm im Debanttal auf besondere Art den Sommer verbringt.

Sarah hat sich ihren Traum erfüllt. Bereits als Kind besuchte die gebürtige Osttirolerin den Hirten auf der Trelebitschalm und wünschte sich, irgendwann selbst an diesem Ort zu leben und in dieser winzigen, heimeligen Hütte zu schlafen. „Hier oben fühlt man sich wie in einer Blase, man kann wieder Kind sein, man hat Zeit zu träumen“, schwärmt sie heute.

Die Kindheitserinnerung an diesen Platz ließ sie niemals ganz los. Und dann öffnete sich eine Chance. Plötzlich passte alles zusammen. Ein neuer Hirte für die Trelebitschalm wurde gesucht. Sarah bot an, mit ihrem Freund Janis und Sohn Quirin diese Aufgabe zu übernehmen. Man kann nicht sagen, dass die lokalen Bauern anfangs nicht etwas verwundert waren. Eine 22-jährige Frau ohne Hirtenerfahrung, ein Gitarrenbauer aus der Großstadt und ihr winziger, damals noch nicht einmal ein Jahr alter Sohn – konnte das gut gehen? Sarah, Janis und Quirin überzeugten die Skeptiker. Das war vor drei Jahren.

Die einfache Hütte ist nur zu Fuß erreichbar. Immerhin 300 Höhenmeter wandert man vom Parkplatz Seichenbrunn über einen Waldweg zur Alm. Selbst mit guten Beinen ist man eine knappe Stunde auf dem Weg. Alles, was man den Sommer über zum Leben braucht, wird auf eigenen Schultern hinaufgetragen. Da bekommt der Spruch „Wer es nicht im Kopf hat, hat es in den Beinen“ eine besondere Bedeutung. Besser ein wenig länger nachdenken, als zweimal gehen!

Sarah kennt sich gut mit Wild- und Heilkräutern aus und versucht, die Ressourcen der Natur zu nützen.

Die Einfachheit, die Konzentration auf das Wesentliche – das ist für die junge Familie aus München eine Haltung und kein Verzicht. Sarah, Janis und Quirin leben, wovon andere träumen oder nur reden: So viel wie möglich selbst herstellen, mit wenig zufrieden sein, die Qualität des Einfachen erkennen, auch ohne scheinbar unverzichtbare Konsumgüter das Lebensglück spüren und den kleinstmöglichen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Die Familie – die bald Zuwachs bekommt – folgt diesen Prinzipien nicht nur auf der Alm, sondern aus Überzeugung und so gut es eben geht auch in der Millionenstadt München.

Wenn Sarah nach dem Almsommer wieder zurück in die Metropole zieht, dann hat sie ein Gefühl, das sie sehr schön beschreibt: „Es fühlt sich an, als wenn man ein Kind wäre, das zum Spielen draußen war und nun zurück muss ins Haus.“ Die Umstellung dauere nicht lange, man gewöhne sich schnell wieder an die Stadt, „aber die schöne Zeit auf der Alm klingt nach, bis schließlich die Sehnsucht neu entfacht wird.“

Sarah ist heute 26, hat neben ihrer Krankenpflegeausbildung auch eine Ausbildung zur Yogalehrerin und Bewegungspädagogin absolviert und wirkt geerdet. Wer sie kennt, ist nicht überrascht, dass sie in der Almarbeit mit Kind keine besondere Herausforderung sieht, sondern eine Selbstverständlichkeit. Sie hatte nie den geringsten Zweifel, das zu schaffen.

Der kleine Quirin besucht in München einen Waldkindergarten, verbringt also auch dort viel Zeit in der Natur. Auf der Alm bewegt sich der Vierjährige wie ein Fisch im Wasser. Er erhält viel Liebe und Aufmerksamkeit, auch Freiräume, aber immer mit Bedacht, ihn nicht zu überfordern. Entsprechend locker und selbständig ist der aufgeweckte Knirps unterwegs. Und Janis passt ebenfalls perfekt ins Bild. Er arbeitet im Familienbetrieb als Gitarrenbauer und verwirklicht daneben eigene Kunst- und Designprojekte.

Ein Tag auf der Trelebitschalm

Sarah steht gegen 6.00 Uhr auf. Erst kümmert sie sich um die Tiere direkt bei der Hütte, die Hühner, die sie Anfang des Sommers mit Janis selbst hinauf getragen hat und die Ziegen. Dann badet sie im eiskalten Bach: „Ein herrliches Ritual, das ich mir manchmal sogar in München an der Isar gönne“, lacht sie. Danach wird Feuer gemacht, dann frühstückt die kleine Familie und meist gehen die drei gemeinsam zum Vieh, das um die 400 Höhenmeter über der Hütte grast. Der kleine Quirin legt diesen Weg fast immer auf eigenen Beinen zurück. Er und seine Eltern sorgen für das Wohlergehen der Tiere, bringen Salz und Leck hinauf. Gegen Mittag kehren sie zur Hütte zurück, oder genießen noch etwas Zeit am Trelebitschsee.

Hier fühlen sie sich wohl: Sarah, Janis und Quirin verbringen ihre Zeit am liebsten in der freien Natur.
Janis und Quirin vor dem Pizzaofen. Janis hat ihn selbst gebaut.

Dann wird gekocht. Auch da versucht Sarah, die sich mit Wild- und Heilkräutern auskennt, so gut wie möglich die Ressourcen der Natur zu nützen. Sie und Janis sammeln und verarbeiten unter anderem Go-pritz (Alpen-Liebstöckl), Frauenmantel, wilden Thymian, Brennnessel oder die wilde Karotte zu leckeren Krapfenfüllungen, Tees und anderen Köstlichkeiten. Aus Gopritz und Zirbenzapfen wird beispielsweise in mehreren Arbeitsschritten, die viel Geduld verlangen, ein leckeres Pesto gezaubert! Manchmal gibt es Kaiserschmarren oder Waffeln mit selbst gesammelten Schwarzbeeren. Brot backen die drei immer selbst. Zudem hat Janis, der ein ideenreicher und geschickter Handwerker ist, einen Pizzaofen gebaut, mit dem man im Freien herrliche Pizza backen kann!

Die Werke von Janis und seinen stylischen Pragmatismus findet man rund um die Hütte. Selbstgeschnitztes und Erfundenes wohin man blickt, Tische, Stühle, Spielzeug für Quirin, einen Segelflieger – alles trägt die Handschrift des Designers. Sogar eine Badewanne hat Janis gebaut. Sie wird mit Wasser gefüllt, das auf dem Pizzaofen erwärmt wird. Entspannend und exklusiv: Ein nächtliches Bad unter dem Sternenhimmel!

Am Nachmittag widmet sich Janis seinen Ideen  oder erledigt Arbeiten rund um die Hütte. Brennholz hacken zum Beispiel. Sarah kümmert sich um den Haushalt, den kulinarischen Teil des Almlebens oder verarbeitet gesammelte Heilpflanzen. Sie liest viel, schreibt ihre Gedanken und Träumereien auf. Sie sagt: „Auf der Alm hat man die Möglichkeit, auch einmal erfolglos einer Idee nachzugehen. Man muss nicht immer ein gutes Ergebnis erzielen.“ Das Paar liebt Geräte, die ohne Strom funktionieren, wie die alte Kaffeemühle oder die Handgetreidemühle. „Hier oben bestimmt die Natur deinen Rhythmus und jede Arbeit erscheint sinnvoll.“ Sarah schätzt das, ebenso wie die Stille. Obwohl sie, Janis und der kleine Quirin als Familie auf der Alm sind, sei eines wichtig: „Man kann auch einmal mit sich allein sein.“

Sarah auf dem Weg zum Vieh. Sie ist fast immer barfuß unterwegs.
Bald kommt der Herbst und die Almfamilie muss sich von ihrem Domizil im Debanttal verabschieden. Bis zum nächsten Sommer.

[Ramona zu Besuch auf der Trelebitschalm] Ich habe das Trio am Ende des Sommers besucht. Da es keinen Handyempfang auf der Trelebitschalm gibt, komme ich unangemeldet. Sarah und Quirin stehen am Balkon der Hütte, die malerischer nicht sein könnte. Janis ist bereits zum Vieh aufgebrochen.

Die Kühe sollen heute, es ist bereits Ende August, von der Hochalm abgetrieben werden. Damit steht viel Arbeit an, doch Sarah nimmt meinen Besuch nicht nur gelassen, sondern empfängt mich herzlich. Ich begleite sie und Quirin zum Vieh. Beide nehmen sich einen Hirtenstock. Sarah ist fast immer barfuß unterwegs.

Von weitem sehen wir Janis, der die Kühe bereits auf den etwas tieferen Almboden treibt, über eine Bergkante kommen. Wir müssen uns aufteilen und versuchen, die Kühe bis zur Hütte zu bringen, was uns an diesem Tag nur zum Teil gelingt. Die Tiere haben nicht unbedingt Lust abzusteigen.

Die Zeit scheint ihnen wohl noch nicht ganz reif für den Weg hinunter ins Tal, aber die Natur gibt ungefragt den Rhythmus vor. In ein paar Tagen wird es Herbst werden, auf der Trelebitschalm.

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