Der Schmetterlingseffekt: Manche Tierarten lassen sich als Flagship-Arten besser verkaufen als andere. Geholfen wird dadurch allen. Foto: Land Tirol/Michaeler

Der Schmetterlingseffekt: Manche Tierarten lassen sich als Flagship-Arten besser verkaufen als andere. Geholfen wird dadurch allen. Foto: Land Tirol/Michaeler

Schmetterlingseffekt: Wie einzelne Arten andere retten
Schmetterlingseffekt: Wie einzelne Arten andere retten
Rettet man eine niedliche Maus vor dem Aussterben, schützt das vielleicht auch unscheinbare Käfer. Die Biodiversitätskrise ist hochkomplex – und sie ist längst da. Doch wir können sie noch bessern.

Etwa hundert Artgenossen soll die Bayrische Kurzohrmaus geschätzt noch haben. Hundert Kurzohrmäuse, die alle im Gebiet rund um den Achensee leben. Stirbt das kleine Nagetier im Tiroler Unterland aus, wäre es eine von den 150 Tier- und Pflanzenarten, die derzeit weltweit an einem Tag aussterben und damit unwiederbringlich verschwinden. Mit ihren hundert Mitstreitern ist die Bayrische Kurzohrmaus sogar bedrohter als der Tiger, der Schneeleopard oder der Panda.

Das Artensterben findet direkt vor unserer Haustüre statt: 39 Prozent aller Tierarten in Österreich sind gefährdet, jedes zweite Wirbeltier ist bedroht. Die Gründe dafür sind klar auf den Menschen zurückzuführen, so der Landschaftsökologe Johannes Rüdisser von der Universität Innsbruck: „Es ist natürlich, dass Tiere aussterben und auch wieder neue dazukommen, aber im Moment ist die Aussterbensrate um das Hundert- bis Tausendfache erhöht. Die einzige Ursache sind wir Menschen. Wir brauchen zu viel Platz.“

Johannes Rüdisser ist Landschaftsökologe und Mitglied des österreichischen Biodiversitätsrates.
Foto: Universität Innsbruck

Zu viel Platz zum Produzieren von Lebensmitteln, zu viel Raum zum Leben und Wohnen, zu viele Verbauungen und Begradigungen entlang von Fließgewässern. Aber nicht nur so drängen wir die tierischen Erdbewohner zurück. Auch der Klimawandel setzt sie unter Druck: „Bei einer Zunahme von zwei Grad Celsius wird die Baumgrenze in wenigen Jahrzehnten an die 400 Meter nach oben steigen. Sie wird bis in die Gipfelregionen reichen – beziehungsweise darüber hinaus. Damit geht zum Beispiel der Lebensraum für Alpenschneehühner verloren oder ist auf sehr kleine Bereiche eingeschränkt“, erklärt Reinhard Lentner von der Universität Innsbruck, der an einem Schneehuhn-Monitoring in Tirol beteiligt war. Selbige Problematik betreffe auch alle anderen Arten, die sich in hochalpinen Regionen wohlfühlen, wie etwa den Schneehasen oder den Schneesperling.

"Der Artenschutz ist eine der Hauptaufgaben eines zoologischen Gartens."
André Stadler, Zoodirektor Alpenzoo

Was es für das Ökosystem und uns Menschen bedeutet, wenn einzelne Tierarten aussterben, ist noch nicht restlos geklärt: „Nur, weil wir nicht verstehen, was deren Sinn ausmacht, heißt das nicht, dass es keinen gibt. Die Natur erfindet nichts, was keinen Sinn macht“, erklärt der Direktor des Innsbrucker Alpenzoos, André Stadler. Jedes Tier spiele seinen Part im feinen Uhrwerk unseres Ökosystems. Im Innsbrucker Alpenzoo setzt man sich für bedrohte Tierarten ein, wie etwa für die eingangs erwähnte Kurzohrmaus. Nach der Aufzucht im Zoo werden die kleinen Nagetiere wieder ausgewildert. „Der Artenschutz ist eine der Hauptaufgaben eines zoologischen Gartens“, so Stadler.

"Die Natur erfindet nichts, was keinen Sinn macht", so der Zoodirektor des Innsbrucker Alpenzoos, André Stadler.
Foto: Target Group/Franz Oss
Im Innsbrucker Alpenzoo werden Bayrische Kurzohrmäuse aufgezogen und im Anschluss wieder ausgewildert.
Foto: Nadja Hattinger, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Das Artensterben ist aber nur die Spitze des Eisberges, weiß Johannes Rüdisser: „Bevor es zum Aussterben einer Art kommt, passiert ganz viel im Vorfeld. Wir sehen auch bei Arten, die nicht unmittelbar gefährdet sind, dass sie in ihren Beständen massiv zurückgehen.“ Das kann unser Ökosystem in eine extreme Schieflage bringen. Am einfachsten erklärbar ist das am Beispiel bestäubender Insekten: „Hier ist nicht nur wichtig, welche seltene Art das macht, es geht vor allem darum, dass genug Individuen da sind, die beispielsweise Obstbäume bestäuben können.“ Verringern sich die Insektenbestände, gibt es nicht nur weniger Bestäuber für die Lebensmittelproduktion, die Tiere fehlen auch als Nahrung für andere Tierarten, wie zum Beispiel Vögel, Amphibien oder Fledermäuse.

Ist die biologische Vielfalt groß, ist das eine Rückversicherung gegen den Klimawandel und andere Veränderungen des Lebensraumes: Gibt es von einer Tierart viele verschiedene Individuen und Gruppierungen, können sich einzelne von ihnen möglicherweise besser auf bestimmte Bedingungen spezialisieren als andere, was das Fortkommen der Art sichert. Biodiversität ist der Überbegriff, der sowohl die Artenvielfalt als auch die Vielfalt innerhalb der einzelnen Art umfasst.

„Bevor es zum Aussterben einer Art kommt, passiert ganz viel im Vorfeld."
Johannes Rüdisser, Ökologe

Und: So wie das Artensterben die Spitze des Biodiversitäts-Eisberges ist, so kann dieses Phänomen umgekehrt genutzt werden, um die Biodiversität zu erhalten: „Seltene Arten, die vom Aussterben bedroht sind, kann man als sogenannte Flagship-Arten nutzen. Wird deren Lebensraum unter Schutz gestellt, werden gleichzeitig auch andere Arten mitgeschützt“, erklärt André Stadler. Zum einen genießen dann Arten einen naturnahen Lebensraum, die zwar ebenfalls gefährdet sind, sich allerdings nicht so gut als Flagship-Arten verkaufen lassen: Vermeintlich langweilige kleine schwarze Käfer beispielsweise. Gleichzeitig schafft man Platz für andere Tierarten, die in ihren Beständen bereits rückläufig sind.

Schützt man den Lebensraum von Flagship-Arten wie dem Alpenschneehuhn oder dem auffälligen Alpenbock (im Bild), profitieren auch andere Tierarten davon.
Foto: Peter Krimbacher, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Solche artenreichen und naturnahen Schutzzonen auszuweisen, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Artenvielfalt. „Es ist immer leichter etwas zu erhalten, als es dann wiederherzustellen“, erklärt Rüdisser. Landwirtschaft sollte so betrieben werden, dass sie Artenvielfalt ermöglicht, in Siedlungsräumen sollte man heimische Pflanzen setzen, Dächer begrünen und Gärten und Parkanlagen naturnah bewirtschaften, um so Lebensraum für Tierarten zu schaffen: „Wir müssen die Biodiversitätskrise ernst nehmen, ein Bewusstsein dafür auch in der Bevölkerung schaffen und gegensteuern, dann kann sich die Situation auch wieder verbessern.“

Effektiv gegensteuern könne man aber erst, wenn man über den tatsächlichen Stand um die Biodiversität Bescheid wisse. Das ist in Österreich nicht so einfach, weil Naturschutz Ländersache ist und nicht vom Bund einheitlich geregelt wird. Einen ersten Überblick verschaffen Monitoringprogramme, die zum Teil auch vom Biodiversitätsfonds des Bundes gefördert werden. Wer sich persönlich für die Biodiversität und den Artenschutz einsetzen möchte, kann etwas tun. Sei es, selbst seltene oder gefährdete Arten in der Natur zu beobachten. Oder aber, den eigenen Garten oder Balkon so gestalten, dass sich dort kleine Tiere wieder wohlfühlen können.

Vielfalt vielfältig unterstützen

Monitoring für Bergaffine
Im Projekt „Vielfalt bewegt!“ geht es darum, Arten zu beobachten, die im hochalpinen Raum leben. Ziel ist es, geeignete Strategien zu entwickeln, um deren Lebensraum zu erhalten. Dafür sucht der Alpenverein bergaffine Naturbeobachterinnen. Expertinnen haben 20 Tier- und Pflanzenarten auserkoren, die auf der Webseite des Alpenvereins registriert werden können. Welche Tierarten es neben dem Alpensalamander, dem Steinadler und dem Schneefinken im hochalpinen Raum zu entdecken gibt? Diese und mehr Informationen gibt es auf der Webseite des Alpenvereins.

Viel-Falter-Monitoring
2018 startete die Universität Innsbruck ein Pilotprojekt, das auf ganz Österreich ausgeweitet wird: Engagierte Freiwillige beobachten gemeinsam mit Forschenden Schmetterlinge im systematischen Viel-Falter Tagfalter-Monitoring. Die Insekten kommen vom Tal bis zum Gipfel in den unterschiedlichsten Lebensräumen vor und können Aufschluss über den Zustand unserer Ökosysteme geben. Wie viele Schmetterlingsarten gibt es bei uns eigentlich? Wie reagieren sie auf Veränderungen ihrer Umwelt? Und warum ist es so wichtig, sie zu zählen? Mehr Informationen und einen Online-Kurs gibt es auf der Webseite des Viel-Falter-Monitorings.

Dieser Beitrag ist auch in der März-Ausgabe des 20ers – Die Tiroler Straßenzeitung zu finden. Neben dem Artenschutz widmet sich das spannende Printmagazin auch anderen großen Themen: Ivona Jelčić und Alexandra Keller gehen unter dem Titel „Versiegelt und verloren“ dem Flächenfraß nach, Chefredakteurin Rebecca Sandbichler spricht mit dem Forscher Michael Köpke über den Traum des CO2-neutralen Fliegens. Ab heute, 4. März, gibt es den neuen 20er auf den Tiroler Straßen – auch in Lienz: Beispielsweise vor dem MPreis in der Beda-Weber-Gasse und vor dem Hofermarkt in der Kärntnerstraße, immer im Solali in der Schweizergasse.

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