Zwei unterschiedliche Traditionen und eine Begegnung der anderen Art. Fotos: Dolomitenstadt/Wagner

Zwei unterschiedliche Traditionen und eine Begegnung der anderen Art. Fotos: Dolomitenstadt/Wagner

Wenn Wandergesellen auf Krampusse treffen
Wenn Wandergesellen auf Krampusse treffen
Für die, die sie zum ersten Mal sehen, sind sowohl die einen, als auch die anderen ziemlich exotisch. Und ihr Aufeinandertreffen in Dölsach ist nicht nur äußerst fotogen, sondern auch höchst interessant.

Denn die Wandergesellen aus Deutschland verbindet mehr mit den Krampussen aus Osttirol, als man meinen möchte, auch wenn sie grundsätzlich natürlich nichts miteinander zu tun haben.

Doch schon beim Fotografieren wird klar, dass beide Gruppen niemals ohne ihre komplette Ausstattung vor die Kamera treten würden. Kein Krampus lässt sich etwa ohne seine Glocken ablichten. Mit Fell, aber ohne Larve schon gar nicht. Bei den Wandergesellen verhält es sich ähnlich. Ihre Kleidung ist weit mehr als nur ein Outfit für sie. Sie ist Tradition – und eine, die Hunderte von Jahren zurückreicht und dadurch genauso stolz getragen wird wie die schweren Felle, die riesigen Glocken und die oft selbst geschnitzten Larven der Krampusse.

Von zehn Wandergesellen, die in den letzten Wochen in Dölsach waren, sind an diesem Abend noch vier in der Werkstatt von Michael Halbfurter. Sie haben dort, obwohl sie tagsüber als Zimmerer in Hannes Weingartners Betrieb arbeiteten, abends ihre eigenen Krampuslarven geschnitzt. Alle vier kommen aus Deutschland, alle vier gehören dem Rolandschacht an und alle vier tragen deshalb „mit Stolz und Lust die blaue Ehrbarkeit auf ihrer Brust.“

Michael Halbfurter und die vier Wandergesellen mit ihren selbst geschnitzten Krampuslårven.
Ein Tuch sagt mehr als tausend Worte! Zur „blauen Ehrlichkeit“ gehören auch die schmale, gehäkelte Krawatte samt goldener Handwerksnadel.

Die blaue Ehrbarkeit ist eine schmale, gehäkelte Krawatte, an der eine goldene Handwerksnadel, die ihre Zunft darstellt, befestigt ist. In früheren Zeiten unterschieden sich die ehrbaren Meister und Gesellen auf Wanderschaft durch dieses schmale Band einerseits von den Vagabunden, andererseits – durch die vorgegebene Farbe – auch untereinander. Rechtschaffen müssen sie auf jeden Fall auch heute noch sein, denn kein Wandergeselle darf auf Wanderschaft gehen, wenn er Schulden, Vorstrafen oder auch nur eine Frau oder Kinder zuhause hätte.

Deswegen tragen sie wohl auch den schwarzen Herrenhut. Er ist ihr Symbol für Freiheit. Und frei von allen Bindungen sind sie tatsächlich. Wandergesellen reisen ohne jeglichen Besitz. In dem Moment, in dem sie von zuhause aufbrechen, dürfen sie nur 5 Euro bei sich tragen. Sie dürfen zwar Stift und Papier besitzen, aber kein Handy. Und das für die nächsten drei Jahre und einen Tag, denn so lange sollte ihre Wanderschaft dauern. Brechen sie vorzeitig ab, so werden sie aus ihrem Schacht und damit aus dieser lebenslangen Verbindung, die auf Treue, Freundschaft und Brüderlichkeit setzt, ausgeschlossen.

Früher wurde ihnen im Fall eines Ausschlusses auch der Ohrring entrissen, was zum Begriff „Schlitzohr“ führte. Ansonsten diente der Ohrring, der oft aus Gold war, hauptsächlich als Absicherung für ein etwaiges Begräbnis. Das ist heute nicht mehr ganz so der Fall. Heute haben Wandergesellen eine normale Versicherung – auch bei ihren Arbeitgebern. Schließlich sind sie keine Hilfskräfte, sondern Fachkräfte auf Zeit. Allzu lange können sie nämlich nicht an einem Ort bleiben. „Sobald der Hund des Nachbarn nicht mehr bellt und der Briefträger uns grüßt, sollten wir weiterziehen“, sagt dazu Martin Baur, ein gelernter Zimmerer aus dem Schwarzwald. Er ist nun schon seit eineinhalb Jahren unterwegs.

Die Beweggründe des 22-Jährigen für diese Wanderschaft decken sich mit jenen der anderen. „Es geht darum, berufliche und persönliche Erfahrungen zu sammeln, Menschen kennen zu lernen, Bräuche wie diese Krampus-Tradition zu erleben, Freundschaften zu bilden.“ Diese Freundschaften halten dann auch ein Leben lang, betonen alle vier, denn der Rolandschacht – genauso wie alle anderen Verbindungen – ist ein riesiges Netzwerk aus Gleichgesinnten in ganz Europa. Eigentlich inzwischen schon weltweit.

Überall gibt es Anlaufstellen und Stammtische. Der nächste in der Umgebung von Osttirol ist in Irschen. Er findet, falls Wandergesellen des Rolandschachtes in der Nähe sind, jeden Samstag um 8:00 Uhr statt. Organisiert wird er von einem ehemaligen und inzwischen sesshaft gewordenen Wandergesellen aus der Schweiz. Diese gegenseitige Hilfe ist ebenfalls Teil der Philosophie der Wandergesellen. So wird auch jeder, der sich auf Wanderschaft begibt, am Anfang von einem bereits erfahrenen Wandergesellen, dem sogenannten „Exportgesellen“, abgeholt und in den ersten Wochen begleitet. Auch gibt es immer und überall Treffpunkte, um sich auszutauschen, um Hilfe oder Tipps zur Weiterreise oder zu möglichen Arbeitsplätzen zu bekommen, denn den eigenen Heimatort muss man in diesen drei Jahren in einem Umkreis von 60 Kilometern meiden.

Die Arbeit in dieser Zeit sollte auch nicht nur dazu dienen, das Leben zu finanzieren, sondern sollte vor allem eine berufliche Weiterbildung sein. Früher wurde man dadurch vom Gesellen zum Meister. Dass dabei Regeln einzuhalten waren, spiegelt wiederum die Kleidung wider. Die acht Knöpfe an der Weste stehen für den Acht-Stunden-Tag, die sechs Knöpfe an der Jacke für die Sechs-Tage-Woche, die drei Knöpfe an einem Ärmel für die drei Jahre Lehre, die drei am anderen Ärmel für die drei Jahre Wanderschaft. Die zwei Reißverschlüsse im Schritt der Hose stehen allerdings ausnahmsweise für nichts und dienten nur dazu, die Hose möglichst schnell auszuziehen – vor allem dann, wenn man ins Wasser fiel. Das erzählt Till Suhr aus Hamburg und hat auch gleich eine Erklärung dazu, die direkt von dort kommt. In Hamburg gab es nämlich immer schon viele Schiffszimmerer – und die fielen wohl ab und zu ins Wasser und mussten sich dann schnell der schweren Cordhose entledigen, um sich zu retten.

Wasser war anscheinend auch der Grund für den ausgeprägten Schlag der Hosen, denn dadurch konnte man sie besser hochkrempeln, wenn man durch Wasser waten musste. „Ansonsten ist die Kluft aber nicht sehr praktisch“, meint Alexander Bitzer, der nun schon seit einem Jahr unterwegs ist, „denn im Sommer ist sie zu heiß und im Winter zu kalt.“ Vor allem hier in Dölsach, als wir bei Minusgraden zum Treffpunkt der Krampusse gehen. Die deutschen Wandergesellen werden dort aufs Herzlichste begrüßt. Die Dölsacher Krampusse und sie kennen sich schon bestens. Und sie mögen sich anscheinend. Kein Wunder – sie haben schließlich auch Einiges gemeinsam. Ihre Wertschätzung von Traditionen, gutem Handwerk, Männerfreundschaften und Stammtischen, zum Beispiel. Und hinter einigen Tischen saßen sie ja auch schon gemeinsam – beim Tischziachn in den anderen Gemeinden. So etwas verbindet. Sehr sogar.

Ein wenig traurig ist es da schon, dass der Hund des Nachbarn nicht mehr bellt und der Briefträger schon täglich grüßt. Gott sei Dank haben sie als Erinnerung an Dölsach ihre Krampuslarven. Die können sie zwar jetzt auf die weitere Wanderschaft nicht mitnehmen, denn die haben eindeutig nicht Platz in ihrem Stofftuch, dem Charlottenburger oder Charlie, in dem sie ihre wenigen Habseligkeiten transportieren, aber sie werden sie mit der Post nach Deutschland schicken. Und dort werden sie dann wohl für einige Geschichten sorgen – dann, in ein paar Jahren.

Bis dahin alles Gute auf der Reise!

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4 Postings

bergfex
vor 4 Jahren

Ich finde den Artikel top. Kenne solche "Gesellen" schon länger.

 
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Senf
vor 4 Jahren

eine tolle und interessante geschichte, danke frau ebner. mir gefällt, dass die wandergesellen in osttirol so herzlich aufgenommen wurden. vielleicht sollte man den briefträger und haushunde austauschen, die zimmerei weingartner hätt sicher freude damit.

 
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Edi1913
vor 4 Jahren

des hent foschingslorvn.

 
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wiederdahoame
vor 4 Jahren

Danke für diesen sehr informativen Artikel! Ich habe einen der jungen Herren zufällig gesehen und mich schon im Internet schlau gemacht, was es mit dem Wandergesellen auf sich hat. Super, dass es heute noch junge Männer gibt, die sich auf dieses Abenteuer einlassen!

 
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