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Herbergsuche 2014: Wer klopfet an?

Blaupausen und die "Rettung des Abendlandes" in Dresden.

Über Norddeutschland stürmt es. In den Nachrichten hagelt es. Unwetterwarnungen. Mancherorts gibt es „Land unter“. Die Wogen in der See gehen hoch. Das Sturmtief heißt „Engel“. Die Großwetterlage scheint grad so unweihnachtlich wie das am Montag in Dresden abgehaltene „Weihnachtsliedersingen“. Vor verdunkelter Dresdener Semperoper versammelten sich Menschen, die mehr schlecht als recht Lieder singen, deren Melodie, Text und Inhalt ihnen offenbar fremd sind. Dazu wird ein in die Deutschlandfahne und von einer blauen LED-Lichterkette umwickeltes Kreuz in die Höhe gehalten. Befremdlich. Und eigenartig bekannt, wenn auch andernorts.
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Menschen, die mehr schlecht als recht Lieder singen, deren Melodie, Text und Inhalt ihnen offenbar fremd sind. Foto: Reuters/Hannibal Hanschke
Bekannt, wie Wahlplakate der selbstbetitelten sozialen Heimatpartei NPD, auf denen sich Slogans wiederfinden, die ich aus diversen österreichischen Nationalrats-Wahlkämpfen kenne. Vertraut, wie die Parolen der österreichischen Identitäten, die sich als Blaupause der französischen Vorläufer im deutschsprachigen Raum zum Sprachrohr „begründeter Ängste“ aufschwingen wollen, indem sie sie zielgerichtet schüren. Erschreckend simpel, wie ein Spitzenkandidat, der bei Wahlkampfreden das Kreuz schwang, theologisch wenig sattelfeste Interpretationen zum Begriff der Nächstenliebe zum Besten gab und die christlich-jüdischen Traditionen Europas beschwor. Welche Traditionen damit gemeint sind, ist weder im durch die DDR agnostisch geprägten Dresden noch in meiner Heimat zu erfahren. Es ist zu hoffen, dass damit nicht Pogrome, Judenverfolgungen, Religionskriege oder der Holocaust gemeint sind. Klargestellt hat dies noch keiner der selbsternannten Abendlandverteidiger. Aber um Klarheit scheint es auch nicht zu gehen. Ängste vor den Anderen, denen, die einem was wegnehmen wollen, den in Sachsen durch den Solidaritätsbeitrag finanzierten Wohlstand gefährden, die die Dresdener Weihnachtsliedersinger angeblich bedrohen, belügen und bestehlen würden, werden geschürt, und das gemeinsame Fürchten wird gelehrt. Die Parolen dazu kenne ich von grammatikalisch nicht immer einwandfreien Großplakaten, in denen Daham auf Islam den ideologischen Endreim gibt. Diffus sind die Bedrohungsbilder, die in Dresden beschworen werden, eigenartig die Antworten, die auf sie gegeben werden. So wird Vladimir Putin, seines Zeichens KGB-Offizier mit ostdeutscher Vergangenheit, zur Lichtgestalt und zum Garanten von Frieden und Freiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung erklärt, oder eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa gefordert, was für Dresden und Deutschland eine gewaltige Aufstockung der Flüchtlingszuteilungen im Falle einer Umsetzung bedeuten würde. Aber warum das Volk auch mit Details wie Zahlen und Fakten belasten, wenn doch die Stimmung so schön hochkocht. Man wird doch wohl noch zündeln dürfen. Schließlich geht es ja um das Abendland im Ganzen, das vor dem Untergang bewahrt werden soll. Eine der schönsten christlichen, alpenländischen Bräuche, die ich kenne, ist die Herbergssuche. Singende Menschen ziehen von Haus zu Haus. Sie kennen Melodie, Text und den Inhalt, den sie ernst nehmen. Ein Dialog wird geführt, zwischen Menschen, die Herberg suchen, und denen, die welche bieten könnten. Die Geschichte endet für die heilige Familie in einem Stall. Den Part der Verweigerung kann man gerade laut und deutlich in Dresden hören.
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

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