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Marschmusik im Sog der Nazi-Propaganda

Eine Ausstellung in Lienz kratzt an Tiroler "Säulenheiligen" wie Sepp Tanzer.

Es waren nicht allzu viele Besucher gekommen, zur Eröffnung der Ausstellung "Tiroler Musikleben in der NS-Zeit" in der Spitalskirche Lienz. Das offizielle Lienz wurde von Bürgermeisterin Elisabeth Blanik vertreten, die das Publikum aufforderte "hinzuschauen, zu lernen und Schlüsse zu ziehen". Die ÖVP schickte Gemeinderat Kurt Steiner – "Ich kann laut singen, aber kein Instrument" – und Blasmusik-Urgestein Klaus Köck begrüßte stellvertretend für den Tiroler Verband die Macher der Ausstellung und auch einige Kapellmeister, die er im Publikum entdeckte. Köck erinnerte an den Beginn der Aufarbeitung der blasmusikalischen NS-Vergangenheit. Das ist noch nicht lange her. Erst 2011 brachte eine CD-Reihe über Tiroler Komponisten jenen Stein ins Rollen, der am Ende zumindest zwei Säulenheilige der Tiroler Blasmusik als glühende Nazis und Antisemiten entlarvte, Josef Eduard Ploner und dessen Schüler und späteren Gaumusikleiter Sepp Tanzer. Ploner war in Lienz vor zweieinhalb Jahren schon einmal Thema, damals bewirkte der Historiker Meinhard Pizzinini, dass die Eduard-Ploner-Straße in Prof. Ploner-Straße rückbenannt und ausdrücklich dem Archäologen Innozenz Ploner gewidmet wurde.
Optisch besteht die Ausstellung – die bereits in Innsbruck und Imst gezeigt wurde – aus zwei aufgeschichteten "Karton-Wolken", Pappkartons, an die diverse Texte, Zeitungsausschnitte, Notenblätter und Faksimiles geklebt sind, die Einblick in die Musik- und Gedankenwelt vor allem Ploners und Tanzers geben. Ausgangs- und Endpunkt der als Rundgang konzipierten Dokumentesammlung ist die Gegenwart, "in der wir mit dem Fortwirken, mit geschönten Biografien und mit einer 'vergesslichen' Musikgeschichte konfrontiert sind", wie die Ausstellungsmacher unterstreichen. Franz Gratl vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und Matthias Breit führten das Publikum kurz ein und verwiesen vor allem darauf, dass die Vernissage erst der Auftakt für eine Reihe von Veranstaltungen in Lienz ist, die das Tiroler Musikleben in der NS-Zeit kritisch reflektieren und vor allem auch Schülern Wissen und Orientierung bieten sollen. Komponisten wie Sepp Ploner und Sepp Tanzer sind ja nach wie vor Gallionsfiguren der Marschmusik. Tanzers "Standschützenmarsch", den er 1942 seinem Förderer und Freund Gauleiter Franz Hofer "in Dankbarkeit" widmete, findet sich im Repertoire praktisch jeder Kapelle und mit ihm das ideologisch eindeutige "Hellau-Lied" im Trio des Marsches, das heute manchmal verschämt weggelassen wird und ein beliebtes HJ-Abschlusslied bei Aufmärschen war. Spektakulärste Aufmarschveranstaltung der unter Gauleiter Hofer in den NS-Standschützenverband eingegliederten Musikkapellen war übrigens das "Tiroler Landesschießen", zu dem neben zigtausenden Besuchern auch hochrangigste Nazi-Bonzen anreisten. In der Spitalskirche sind auch Filmdokumente von dieser Veranstaltung zu sehen. Nächstes Highlight im Veranstaltungszyklus: Hörabend "Musik und Widerstand" am 28. Februar um 20.00 Uhr in der Spitalskirche Lienz. Zu hören sind drei Kompositionen von Peter Zwetkoff und Bert Breit. Beide Komponisten waren als Jugendliche Gegner des NS-Systems. Nach dem Hörabend besteht die Gelegenheit, die Ausstellung anzusehen und mit den Ausstellungsmachern ins Gespräch zu kommen.
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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