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Franui – Mit Leichtigkeit zum Trauermarsch

Tanz Boden Stücke begeistern Hamburger Publikum mit Klang und Klugheit.

Zu außerordentlicher Alpenmusik lud die Hamburger Elbphilharmonie ein und dazu, am Hamburger Berg unter die Erde zu gehen. Am späten Nachmittag des vergangenen Freitags öffnete das Mojo, ein Club am Anfang der Reeperbahn, seine in den Boden eingelassenen Tore. Nach einem Volkstanzworkshop, der den Dancefloor des Mojo wieder zu einem Tanzboden machte, enterte das Appenzeller Space Schöttel mit dem Hackbrettvirtuosen Töbi Tobler und dem Sänger und Kontrabassisten Ficht Tanner die Bühne. Eine Formation, die mit der Musicbanda Franui neben im Dialekt vorgetragenen Moderationen, großer Spielfreude und ansteckendem Humor auch ein Auftritt bei der Villgrater Kulturwiese vor gut 25 Jahren verbindet. Wer im Publikum glaubte, dass die schweizerdeutschen Ausführungen an Entschleunigung nicht zu überbieten seien, wurde von Andreas Schetts Anmoderation eines Besseren belehrt. Schett rezitiert im Innervillgrater Dialekt, fast schon behäbig, aber wohlüberlegt gesetzt, und weiht die Zuhörer in die Feinheiten der Identität und Eigendefinition der Musicbanda ein, begleitet von Wolfgang Mitterers Soundkollagen und Klängen. Zur besseren Rezeption des mit Sprachverständnis und hintergründigem Humor reichen Vortrags werden links und rechts der Bühne via Monitor Übertitel eingeblendet. „Wenn man einen Trauermarsch viermal so schnell spielt, dann wird er zur Polka. Wenn wir das alle begreifen würden, dann wäre uns sehr geholfen“, ist da zu lesen und zum Beweis startet der exzellent eingespielte Klangkörper der Musicbanda in einen Trauermarsch, der sich wandelt, vor Lebensfreude sprüht und einen ersten Eindruck verschafft, was Schett meint. Vom ersten Moment an nimmt das Publikum das Programm an, der zündende Funke aus Spielfreude und verquer-kluger Weltbetrachtung springt ansatzlos über.
Die von Markus Kraler und Andreas Schett arrangierte und rekomponierte Musik verbindet unter anderem die Tanzmusik Schuberts und Bartóks mit aktuellem Volksmusikklang. Den Tanz Boden Stücken ist eine lange Recherche vorangegangen, die auch zu den Wachswalzen führte, mit denen Béla Bartók Volksmusik in Rumänien und Ungarn aufzeichnete. Eine Tonspur davon, vier rumänische Frauenstimmen, leitet über in den Ringelreigenwatschentanz. Die beiden Komponisten und Arrangeure setzen das große Können aller Ensemblemitglieder wunderbar ein, kongenial begleitet und unterstützt von Wolfgang Mitterer. Den Musikern steht die Spielfreude ins Gesicht geschrieben, und diese Spielfreude eröffnet dem Publikum selbst hochkomplexe Passagen mit bestechender Leichtigkeit. Romed Hopfgartners virtuos eingesetztes Saxophon, Markus Rainers fein ziseliertes Trompetenspiel, das perfekt getimte Zusammenspiel zwischen Johann Eders Bassklarinette und Markus Kralers Kontrabass, die Klangteppiche der Harfe Angelika und des Hackbretts Bettina Rainers, die Tuba des brillianten Andreas Fuetsch in Verbindung mit Markus Senfters Posaune, die Violine von Nikolai Tunkowitsch zusammen mit Andreas Schetts Trompete und musikalischer Leitung ergeben einen derart bestechenden Klang, dass sich das schon lange Bandbestehen fast von selbst erklärt. Wolfgang Mitterers Charakterkopf und –spiel fügt sich nahtlos in das ausgewogene Team ein. Besonders eindrucksvoll, still und klangvoll zeigt das Ensemble sein Können bei dem von Richard Strauss aufgezeichneten Kupelwieser-Walzer, der von Franz Schubert für die Hochzeit seines Freundes, des Malers Leopold Kupelwieser, komponiert wurde und in der Familie nur durch mündliche Überlieferung weitergegeben wurde. Auch eine Geschichte, die sich aus dem Mund Andreas Schetts zu hören lohnt. Die Gesangspassagen der Musicbanda tragen das ihre dazu bei, das Publikum in den Bann einer vielfältigen, musikalischen Reise zu ziehen. Eine Reise, die Andreas Schett in seinen Erzählungen die Väter von Franui nach der großen Wirtshausschlägerei im Gasthof Raiffeisen antreten lässt. Und an deren Ende es vorbei ist mit der gesetzten Entschleunigung, sondern ein rasanter Word-Rap aus innervillgraterischer Konjugation von „Hätte ich nur getan“ steht. Mindestens viermal so schnell, wie das einleitende "Grias Enk" am Konzertbeginn. Als Zugabe beschließt die Musicbanda ihren Vortrag mit einem Trauermarsch, ihrem schönsten, wie Andreas Schett sagt, der zusammen mit beeindruckenden Musikern nicht nur dem Rezensenten einen mehr als vergnüglichen Abend bereitet hat. Den Abschluss der Konzertreihe im Rahmen des Alpenmusikfestivals an diesem Freitag bildete das Jazztrio Rom Scharer Eberle. Das Osttiroler Publikum wird sich im Jänner 2016 einen eigenen Eindruck von den „Tanz Boden Stücken“ machen können, Geschichten über Ausservillgrater Sternsinger, Polizeiprotokolle, Grundausstattungen von Ford Escorts, die Namenswurzeln gekrönter Häupter und vieles mehr hören, vor allem aber Musik, die die Gedanken zum Tanzen bringt. Fotos: Claudia Höhne / Marcus Kiniger
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

Ein Posting

Stadtkultur Lienz
vor 9 Jahren

Für alle, die neugierig auf diese Produktion geworden sind:

Das Programm "Tanz Boden Stücke" mit Franui und Wolfgang Mitterer gibt es am 30.01.2016 im Lienzer Stadtsaal zu hören, zu sehen und zu erleben!

Danke Markus Kiniger für den tollen Bericht!

 
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