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Neue Serie: Willkommen in Bolivien!

Knapp die Hälfte der Menschen in Cochabamba lebt im armen Süden der Stadt.

Hohe Zäune sollen Eindringlinge fernhalten aber auch zeigen, wer hier Zutritt hat und wer nicht gerne gesehen ist. Fotos: Sarah
Hohe Zäune sollen Eindringlinge fernhalten aber auch zeigen, wer hier Zutritt hat und wer nicht gerne gesehen ist. Fotos: Sarah Kollnig
Als ich im Februar 2010 erstmals in der Stadt Cochabamba ankam, landete ich nachts auf dem Flughafen der Stadt. Meine Gastfamilie holte mich ab. Auf der Fahrt dachte ich mir: „Mein Gott, wo bin ich da gelandet?“ Es sah nämlich aus, als stünden rechts und links der Straße lauter zerbombte Häuser. In den nächsten Tagen erkannte ich: Die Häuser waren nicht zerstört, sondern warteten auf ihre Fertigstellung. Jedes Mal, wenn die Verwandten Geld aus den USA oder Europa schicken, wird ein Stückchen weiter gebaut. Heute, fünf Jahre später, werde ich am Flughafen von meinem Freund empfangen. Und wieder schlägt mir die bolivianische Realität ins Gesicht. Ein hoher Zaun trennt das Haus der Familie meines Freundes von der Straße. Die Nachbarhäuser sind von hohen und mit Glasscherben besetzten Mauern umgeben. Hinter jedem Tor bellt ein Hund. Doch die Sicherheitsvorkehrungen in dieser Nachbarschaft sind noch relativ gemäßigt.
Wenn Geld vorhanden ist, wird weitergebaut.
Wenn Geld vorhanden ist, wird weiter gebaut.
Meine Schwiegermutter wohnt in einem Wohnblock, zu dem Außenstehende nur mit Ausweis Zutritt haben. Ein Wächter kontrolliert den Zugang zu den Wohnblöcken Tag und Nacht. Es gibt in Cochabamba einige bewachte Wohnanlagen. Hier wohnt die obere Mittelschicht. Die ganz Reichen wohnen auf den Hügeln im Norden der Stadt. Die Hügel im Süden der Stadt hingegen sind von den Ärmsten besiedelt. „Loteadores“, Immobilienspekulanten, verkaufen den Menschen, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollen, Grundstücke im Süden der Stadt – zu überhöhten Preisen und ohne legale Papiere. So entstehen illegale Siedlungen. Ungefähr die Hälfte der Menschen in Cochabamba lebt im armen Süden der Stadt. Da die Siedlungen im Süden illegal sind, garantiert niemand die Sicherheit der Menschen dort. Oft werden sie am helllichten Tag ausgeraubt. Deswegen haben sich die Menschen organisiert. Was im Norden der Stadt hohe Zäune und bezahlte Wächter erledigen, machen die Menschen im Süden selber. Dabei kommt es oft zu Vorfällen, bei denen Übeltäter öffentlich gelyncht werden – eine Maßnahme von verzweifelten Menschen ohne Polizeischutz.
Viele Kleinsiedlungen sind von hohen Zäunen und Mauern umgeben.
Viele Kleinsiedlungen sind von hohen Zäunen und Mauern umgeben.
Im Norden wie im Süden der Stadt haben die Menschen Angst – voreinander. „Wenn ich aus dem Haus gehe, wer weiß, ob ich wieder zurückkomme“, sagt meine Schwiegermutter. Diese Angst bewirkt, dass die Menschen sich im Alltag kaum außerhalb ihrer Wohngegend bewegen. Sie bleiben hinter ihren hohen Zäunen und von ihren Wächtern beschützt. Die Angst bewirkt auch, dass gesellschaftliche Trennungen bestätigt und verstärkt werden: Die Menschen im Süden sind überwiegend indigen, sie identifizieren sich als von Urvölkern abstammend, die Menschen im Norden hingegen betrachten sich nicht als indigen. Es sind diese gesellschaftlichen Trennungen und Ungleichheiten, die der tiefere Hintergrund der alltäglichen Kriminalität und Angst sind.

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