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Eine Frage der nationalen Verunsicherung

Heimat kann mutig und zukunftsfroh sein, anders, als man uns glauben machen will.

Zäune bauen, Festungen errichten und sich zurückziehen: so klingt der Tenor der wiederveröffentlichten Meinungen, die für sich in Anspruch nehmen, zu sagen, was „die Mehrheit denkt". Dabei werden Feindbilder generiert und das Versagen staatlicher Institutionen und Organe behauptet, um damit Stimmung zu machen und mit Ziel und Ansage Verunsicherung zu erzeugen.
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Zäune bauen, Festungen errichten, sich zurückziehen? Foto: Martin Lugger
Nationale Antworten auf internationale Probleme geben zu wollen, mag einem durchaus verständlichen Impuls entsprechen, ist aber zum Scheitern verurteilt. Geschichtliche Beispiele für dieses Scheitern gibt es genug, im Gedenkjahr 2015; 25 Jahre nach der Maueröffnung, als innerhalb kürzester Zeit über 1,5 Millionen Ostdeutsche von Ungarn aus über Österreich in die BRD flohen; 70 Jahre nachdem eine internationale Allianz den mörderischen, nationalen Irrsinn der Nationalsozialisten beendete; 100 Jahre nachdem plötzlich auch Osttirol direkt an einer Front lag, die aus nationalen Motiven entstand. Ich bin sehr versucht, auf die Stimmungsmache der nationalen Verunsicherer polemisch zu reagieren. Warum nicht Horst Seehofers Vorschlag richtig ernst nehmen, und Bayern in seiner Gesamtheit einzäunen. Fatalistisch final erscheint mir die Betrachtung des von Victor Orban in Anspruch genommenen „Rechtes auf Nichtveränderung der Ungarn“ unter evolutionären Zukunftsperspektiven. Das von Polens Wahlgewinnerin postulierte „Recht der Polen, sich zu fürchten“ ließe sich mit einem Free-Horror-TV Kanal der öffentlichen Sender Polens befriedigen. Zu der seltsam xenophoben Forderung eines Lienzer Gemeinderatsmitgliedes nach einer Wohnungsvergabe an der Mienenkugel nur an Lienzer Bürger fällt mir hingegen gar nichts ein, außer dass ein Lienzer-Ahnennachweis selbst bei historisch belegter Vorarbeit wohl nur schwer umsetzbar ist. Doch Polemik hilft nichts und niemandem. Sie ist ähnlich hilflos und lachhaft wie die allzu simplen Rezepte der Angstprediger. Die gerade sehr verbreitete Taktik politisch Verantwortlicher, ihre Verantwortung auf den jeweils anderen abzuwälzen und auch schon auf lokaler Ebene das Floriani-Prinzip zur höchsten politischen Tugend zu erheben, stellt auch keine taugliche Antwort dar. Anstatt mit einer klaren Haltung die Werte zu verteidigen, die uns allen angeblich so wichtig sind, passt man sich ideenlos der verunsichernden Panikmache an, und lässt damit die Idee, wir könnten Probleme bewältigen, erst gar nicht aufkommen. All das erscheint wenig hilfreich. Was hilft, ist sich seiner selbst sicher zu sein. Weil wir zu Recht daran glauben dürfen, dass wir Probleme lösen können. Auch, in dem wir an uns glauben. An die Kraft, die eine der reichsten Wirtschaftsregionen der Welt hat. An den Ideenreichtum einer eng vernetzten Welt, in der Beschimpfungen und Vorurteile viel über die aussagen, die sie äußern, und rein gar nichts über die, die damit getroffen werden sollen. Und es hilft, uns nicht einreden zu lassen, wir kriegen das nicht hin. Wer in Permanenz das Scheitern unserer Heimat herbei betet, ja geradezu herbei sehnt, Weltuntergangsszenarien lustvoll heraufbeschwört und Bedrohungen mittels gezielter Verbreitung von Fehlinformationen in dem Raum stellt, der beschädigt unsere Heimat nachhaltig. Die nationalen Verunsicherer quer durch Europa haben die Angst voreinander auf ihre Fahnen geschrieben. Ich glaube nicht an ein Recht auf Furcht. Ich glaube aber sehr an unser Recht auf eine mutige, freie und vor allem besonnene Heimat. 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs, 60 Jahre nach dem Staatsvertrag, jetzt und hier.
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

5 Postings

nanny
vor 8 Jahren

Wirklich schöner - auch sprachlich schöner, heute selten geworden - Kommentar, Herr Kiniger. Um über 30 Jahre älter als Sie habe ich natürlich einiges "im Gedächtnis", dass mich z. B. das Wort Disposition von jungen dynamischen Männern (sie stellen, wenn man Fernsehbildern trauen kann, ja das Hauptkontingent) für "Lebensraum schaffen" etwas differenzierter sehen lässt. Wenns eng wird. Menschen sind auf Selbsterhalt angelegt, Rücksichtnahme ist an zweiter Stelle, schon gar, wenn man aus Gegenden kommt, wo Rücksichtnahme auch lebensgefährlich sein kann. Ich hoffe, und das hoffe ich sehr, dass ich alles zu schwarz sehe. Meine Generation muss es ja nicht mehr "ausbaden", wenns schief geht - wir sind bei den Auswirkungen (dauert ja alles etwas) schon "abgetreten" :-).

 
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Marcus G. Kiniger
vor 8 Jahren

Liebe User,

freut mich, dass gesprochen wird. Nannys Fragen kann ich gut nachvollziehen. Und auf einige hätte ich selbst gerne eine möglichst schnelle Antwort. Die Frage nach der "Disposition" der Ankommenden hinsichtlich ihrer Lernfähigkeit gehört nicht dazu. Menschen, die unter widrigsten Bedingungen ihr Leben riskieren, um es zu retten, und es bis hierher geschafft haben, haben definitiv schon bewiesen, dass sie extreme Lernfähigkeit, Disziplin und Willen aufbringen. In jedem Fall genug, um Deutsch zu erlernen.

Dieser schon unter Beweis gestellte Wille zur Überwindung größter Hürden, der weit über das hinausgeht, was wir uns selbst zuzumuten bereit sind, stimmt mich ziemlich zuversichtlich. Am Integrationswillen der Ankommenden werden wir nicht scheitern. An unserem Willen, diese Integration zu zulassen, habe ich aber so meine Zweifel. Einer der neuen Führungsgestalten der deutschen AfD hat in schonungsloser Offenheit klar gemacht, wie es da um ihn steht. "Wir wollen gar nicht, dass sich diese Menschen integrieren." Die wohlfeilen Worte österreichsicher Politiker, dass ja der gut integrierte Ausländer ja auch ein guter Ausländer sei, steht eine Integrationsverhindernde Realpolitik der vergangenen Jahrzehnte entgegen.

Auf der anderen Seite aber gibt es viel Grund zur Hoffnung. Durch die intensive Hilfeleistung der vielen Freiwilligen, ehrenamtlichen und professionellen Helfer passiert gerade etwas, was wir in der Vergangenheit zu tun vergessen haben: Wir lernen einander kennen. Mir widerfährt das gerade nicht nur mit Flüchtlingen, sondern auch mit den Nachbarn in unserem Haus, weil wir Räder sammeln, um sie zu spenden. Andere spenden Zeit, Nähe, Deutschunterricht, Malutensilien für Kinder wie Erwachsene, organisieren Beschäftigungsmöglichkeiten, suchen Jobs, zeigen die Natur, die uns umgibt, erklären, wie wir so miteinander umgehen.

Trotz all dieser Hilfe gibt es noch ausreichend Probleme. Ohne Frage. Bedrohlich für uns alle, für uns, die wir als erster da waren (ein Umstand aus dem nicht nur Kleinkinder Rechtfertigungsketten zu bilden in der Lage sind), und die, die gerade erst kommen, ist der Reflex, ein Problem erst gar nicht angehen zu wollen, weil es so unglaublich groß, furchterregend und damit unbewältigbar erscheint. Beobachte ich die panikartigen Aussagen mancher, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass genau das erreicht werden soll. Wir haben in der Hand, ob wir das zulassen.

In Wohnbaufragen kommen gerade Sachen in Bewegung, die nicht nur für akut Wohnraum-Bedürftige von Vorteil sein werden. Der überbordende Vorschriftendschungel, der die Errichtung von Wohnraum zu leistbaren Preisen nur noch schwer möglich gemacht hat, könnte unter den Notwendigkeiten eines akuten Bedarfs auf ein erträgliches Maß herunter gesetzt werden.

Mich zum Propheten wirtschaftlich rosiger Perspektiven zu machen, steht mir nicht zu. Aber worauf wir vertrauen dürfen, ist der Wille all dieser Menschen, etwas zu tun, nicht von Almosen abhängig zu sein, sondern selbstwirksam eine Existenzgrundlage zu schaffen. Ob sie die Chance dazu erhalten, liegt bei uns. Ob wir die dafür erforderliche Disposition mitbringen? Ich hoffe schon.

Unsere Wohlfahrtsgesellschaft, in der wir uns eine Vollversicherungsmentalität angeeignet haben und das Leben von der Wiege bis zur Bahre im Sinne einer "Lebensplanung" vorbestimmt zu sein schien, wird sich ändern. Wenn wir uns gut genug kennen und unserer Selbst deshalb sicher sein können, muss das nicht von Nachteil sein. Vor einer ungewissen Zukunft jetzt schon in Schreckstarre zu verfallen, wird aber auf keinen Fall helfen.

 
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nanny
vor 8 Jahren

Habe mir das Lied angehört lieber Zwetschgnkrampus, nett. Aber leider ist das halt nicht das ganze Problem. Stichworte: Integration mit Spracherwerb und Berufseingliederung. Gehört ja schon eine gewisse Disposition der zu Integrierenden dazu, sowas zu schaffen. Die meisten haben sie? Und wird es bei einer ohnehin angespannten Arbeitsmarktlage auch genügend Jobs geben? Wohnungen auf einem angespannten Markt für preiswerte und trotzdem "brauchbare" Wohnungen wären nötig. Zu lösen? Gesundheitsstrukturen, Bildungsstrukturen - können sie alles leisten? Viele Zuwanderer wollen Familie nachholen, oder werden auch hier zu Großfamilien. Alles machbar für unsere Strukturen? Und das größte Problem: in weiterer Zukunft kein Ende des Zuzugs abzusehen - wirklich bis ins Unbegrenzte zu schaffen? Dazu kommt, dass viele europäische Staaten sich schlicht weigern, etwas zur Problemlösung beizutragen, und alles an einigen "hängen bleibt". Wir gehören dazu.

 
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Zwetschgnkrampus
vor 8 Jahren

Für dich liebe @nanny und alle anderen die sich fürchten: https://www.youtube.com/watch?v=HvPyo0W-0v0

 
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nanny
vor 8 Jahren

Guter Artikel. Aber ein Problem bleibt es. Im Unterschied zu früheren Flüchtlingsströmen sind es jetzt Menschen mit - großteils - völlig anderem kulturellen Hintergrund, anderen Vorstellungen von Familie, Gesellschaft, Strukturen eines Staates usw. Und es ist eine relativ großer Zahl von Flüchtlingen und das in relativ kurzer Zeit. Und kein Ende des Zuzugs abzusehen. Keine Ahnung, wie das verkraftet werden kann. Daher ist Verunsicherung wohl nicht ganz unbegründet.

 
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