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„Sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Neue religiöse Bewegungen sind in Bolivien im Vormarsch.

Zahl und Einfluss der Freikirchen haben in Boliven und generell in Lateinamerika stark zugenommen. Fotos: Sarah Kollnig
Zahl und Einfluss der Freikirchen haben in Boliven und in ganz Lateinamerika stark zugenommen. Fotos: Sarah Kollnig
Die Tante meines Freundes steckt in Problemen. Ihr wohlhabender Mann hat sich von ihr getrennt, nachdem seine Frau all ihr Vermögen ihrem Pastor vermacht hat. Zur gleichen Zeit müssen wir beobachten, wie meine Schwägerin den Bruder meines Freundes, einen gut verdienenden Bankangestellten, dazu überredet, jedes Monat ein Zehntel seines Gehalts an die Gemeinde der Adventisten zu überweisen. Sie will außerdem die ganze Familie dazu bringen, von Schweinefleisch abzusehen, generell nur mehr vegetarisch zu speisen und keinen Alkohol mehr zu konsumieren. „Diese Exzesse der Ungläubigen!“, meint sie, die Augen zum Himmel gerichtet. Es ist kein Zufall, dass wir in der nächsten Familie Anhänger von neuen religiösen Bewegungen haben: Gut ein Viertel der bolivianischen Bevölkerung gehört mittlerweilen diesen neuen Glaubensgemeinschaften an. Die Adventisten und die Zeugen Jehovas sind wohl die größten dieser Gruppierungen, aber mittlerweile findet man fast an jeder Straßenecke ein Lokal einer religiösen Bewegung, die sich von „Haus Gottes“ bis zu „Flügel des erleuchteten Fisches“ nennen. Diese neuen Glaubensgemeinschaften sind volksnah und sehr aktiv in der Gewinnung neuer Mitglieder. Die Pastoren stammen aus der unmittelbaren Umgebung der Menschen und wissen, wonach sich die Leute sehnen. Oft gewinnen sie Menschen in Krisensituationen für sich. In El Alto, einer Millionenstadt, die von Migranten aus dem ländlichen Raum gegründet wurde, ist die Zahl neuer religiöser Bewegungen besonders groß. Sie bieten den Migranten in einer völlig neuen Umgebung eine Gemeinschaft, in der sie Halt finden.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeindemitglieder wird auch über T-Shirts und andere Marketingmaßnahmen gestärkt.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeindemitglieder wird auch über T-Shirts und andere Marketingmaßnahmen gestärkt.
Soziologen meinen auch, dass die neuen religiösen Bewegungen Funktionen übernehmen, die der bolivianische Staat nicht oder nur unzureichend erfüllt. Die größeren Institutionen, wie die Adventisten, betreiben Kinderbetreuungsstätten, Schulen und sogar Universitäten. Sie geben den Armen zu essen. Als Gegenleistung dafür verlangen sie zumindest ein Zehntel des Einkommens ihrer Gläubigen. Die Pastoren der neuen religiösen Bewegungen vermitteln den Menschen ein sehr konservatives Weltbild. Sie bringen auch neue Konzepte nach Bolivien, wie die Abstinenz von Alkohol und vegetarische Ernährung. Und es scheint, dass sie ihren Mitgliedern eine starke Unterscheidung zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ eintrichtern – ein Vorgehen, das Menschen von ihren Familien trennt und in einem ohnehin schon gespaltenen Bolivien gesellschaftlich kontraproduktiv ist.
Manche Kirchen und Gruppierungen tragen Fantasienamen wie "Das Licht der Welt".
Manche Kirchen und Gruppierungen tragen Fantasienamen wie "Das Licht der Welt".

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