

Fragt man Lienzer im Alter von 50 Jahren aufwärts, welchen Film sie bei ihrem ersten Kinobesuch gesehen haben, erinnern sich viele an den Filmtitel oder das Genre, doch fast alle geraten auch ins Schwärmen über jenes Kino, in dem dieses Erlebnis stattgefunden hat: das legendäre Kino Wanner, das sich als märchenhafte Welt mit Zuckerlgenuss bei den Kleinsten einprägte, als Flirtzone bei den damaligen Teenagern und als erstmals richtiges Kinoerlebnis bei den zu Beginn der 1960er Jahre bereits Erwachsenen.
Ein großzügig offener und heller Eingangsbereich bildete den Kontrast zum notwendigerweise dunkleren Vorführraum, der für Lienzer Verhältnisse nicht nur riesig, sondern aufgrund seines ungewöhnlichen Designs bald auch als Veranstaltungssaal beliebt war. Die nette Dame hinter der Theke in der Eingangshalle verkaufte herrlich süßsaure Eiszuckerln, die einem die Zunge aufrauhten, aber wen störte das schon, weiters die giftig grünen Bronchies, die selbige kunterbunt färbten sowie die später zum Kult erhobenen Sportgummis. Auch das gehörte zum Kinobesuch, ehe sich der universal gültige Kino-Popcorngeruch durchsetzte.

Abgerissen, aber nicht vergessen
Wenn sich der schwere Samtvorhang öffnete, hieß es: Film ab! Und die Welt prallte für 90 Minuten an den Außenwänden des Kinosaals ab. Doch das ist Vergangenheit. Das Kino Wanner wurde abgerissen und durch einen nicht nur architektonisch unverzeihlich unbedeutenden Bau ersetzt. Dennoch (oder deswegen) erinnern sich viele Osttiroler an das alte Gebäude des Architektenduos Hans Buchrainer und Otto Gruber, wobei das Wanner bei weitem nicht das einzige Vorhaben war, das sie in Lienz realisierten.

Bis heute prägen die Gebäude der beiden das Bild der Stadt und indirekt so manche Diskussion, etwa jene um die Zukunft des ehemaligen Bundeskonvikts, das ebenso auf Plänen der beiden beruht, wie das „Gym“. Demnächst dürfte ein anderes vom Duo Buchrainer /Gruber gebautes Haus einmal mehr in die Schlagzeilen geraten: der Stadtsaal. Anscheinend gibt es wieder
Überlegungen, den Saal von Seiten der Stadt zu übernehmen. So sehr dieser Raum mit dem Charme vergangener Zeiten seit Jahren ein eher trauriges Dasein führt, so funktionieren auch hier noch die sehr bewusst gesetzten (innen)architektonischen Details. Eine vorsichtige Modernisierung, ohne den Retro-Chic ganz wegzunehmen, könnte sich als spannende Aufgabe für nachfolgende Architekten herausstellen und wäre auch historisch stimmig, hat doch so mancher später in Osttirol tätige Architekt bei Hans Buchrainer und seinem Kollegen Otto Gruber erste praktische Erfahrungen gesammelt, etwa Manfred Machne, Josef Scherzer, Gerhard Gussnig, Helmut Thielmann sowie der international bekannte Raimund Abraham, um nur einige zu nennen. Buchrainers Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass er seine letzte Bürogemeinschaft, jene mit Georg Steinklammer, besonders schätzte. Ihm „vermachte“ er seine Büroausstattung und eine große Anzahl von Plänen, Skizzen und Fotos, die derzeit für ein Buch über Buchrainer und Gruber ausgewertet werden.

Eine kurze und intensive Zusammenarbeit
Die Geschichte des Architektenduos geht auf die gemeinsame Schulzeit in den 1930ern und das anschließende Studium in Graz zurück. Hans Buchrainer kam 1949 nach Lienz, um die Hochbauabteilung beim Baubezirksamt Lienz zu übernehmen. Schon bald begann er, nebenbei als Architekt zu arbeiten und entschloss sich 1954, die Amtstechnikerstelle aufzugeben. Von Anfang an war er bei Wettbewerben erfolgreich und hatte bald mehr zu tun, als er bewältigen konnte. Auf der Suche nach einem geeigneten Partner kam ihm sein Freund Gruber in den Sinn, was er in seinen Aufzeichnungen so formulierte: „1956 machte ich ihm den Vorschlag zu mir nach Lienz zu kommen, da wir ja so viele Jahre gemeinsam verbracht hatten. Otto war gleich dafür und so kam es in aller Kürze zu unserer gemeinsamen Zusammenarbeit.“
Diese schien gesegnet, Preise und Aufträge reihten sich aneinander, darunter so renommierte Projekte wie die Olympiaeishalle in Innsbruck und die Sprungschanze am Berg Isel, oder vorher der erste Preis für die Kirche zur Heiligen Familie in Lienz sowie für das Bundeskonvikt und das Gymnasium. Neben den prämierten Objekten entstanden unter anderem die Krankenpflegeschule, das Rotkreuzheim, die Berufsschule und die Michaelskapelle auf dem Zettersfeld. All dies Bauten, die das Stadtbild mit ihrer Klarheit beeinflussten. Dass Architektur in Osttirol damals aus ihren regionalen und überlieferten Beschränkungen auszubrechen begann, dürfte den beiden Architekten geschuldet sein.
Nur viereinhalb Jahre währte die fruchtbare Zusammenarbeit mit Otto Gruber. Am 11. August 1960 kam es auf der Rückfahrt von einem Arbeitstermin in Innsbruck zu einem Autounfall. Gruber verstarb noch an der Unfallstelle. Fassungslos notierte Buchrainer: „Warum Otto sterben musste, während den anderen vier Autoinsassen (...) überhaupt nichts passiert ist, konnte niemand begreifen.“ Junge Architekten halfen, die damals aktuellen Projekte im Gruberschen Sinn umzusetzen, etwa den Bau der Kirche zur Heiligen Familie.


Gerade dieser zeigt trotz einer eher unglücklichen späteren Adaptierung so einige Besonderheiten des typischen Stils von Gruber/Buchrainer. Manches wird erst auf den zweiten oder dritten Blick offenbar, anderes – auch das zieht sich durch ihre Geschichte – war den Bauherren von Anfang an zu radikal, sodass es nie umgesetzt wurde, wie der ursprüngliche Glockenturm, der stark an Le Corbusier erinnerte, oder der zweite Entwurf, der die Glocke nahezu frei schwebend zeigte und der Katholischen Kirche im wahrsten Sinne zu offen gewesen sein dürfte. Auch das Kreuz am Turm musste gedreht werden, war es doch im Entwurf der beiden Architekten provokant verkehrt herum (quasi liegend) und damit wie über den Köpfen der Menschen schwebend verankert gewesen.
Jeder Bau der Architektengemeinschaft weist solche Einzelheiten auf, die dem ungenauen Auge zunächst entgehen. Die Schlichtheit des Stils lässt den Detailreichtum vermeintlich verschwinden. Dabei war den beiden stets auch die klare Planung der Innenausstattung wesentlich. Nichts sollte dem geschmacklichen Zufall der Besitzer überlassen bleiben. Das galt für die geplanten Einfamilienhäuser ebenso wie für die Wohnanlagen, Krankenanstalten, Hotels, Sport-, Kultur-
und städtischen Bauten. Laut Angaben Buchrainers arbeitete er im Laufe seines Berufslebens an über 700 Projekten.

Die späten Jahre und falsche Partner
In späteren Jahren geriet so manches Vorhaben zum Desaster, insbesondere die Bauten an einer Hotelkette namens Jotel und mehrere Projekte in Saudi-Arabien und Syrien. Schuld daran war nicht im geringsten die Architektur Buchrainers, die stets richtungsweisend blieb, sondern eher sein Vertrauen in so manchen dubiosen Geschäftspartner. Eine „schillernde Seifenblase“ nannte er jene Pläne, die sein Vermögen völlig vernichteten, später.
Laut Angaben Buchrainers arbeitete er im Laufe seines Berufslebens an über 700 Projekten.
Am 21. Jänner 1999 wurde durch einen Hörsturz das Ende von Buchrainers Tätigkeit eingeleitet. Er ertaubte beidseitig, erhielt zwar ein Implantat, doch blieb schwer eingeschränkt. Als im Dezember des gleichen Jahres eine Magenoperation folgte, zog sich Hans Buchrainer aus dem Berufsleben zurück. In seine Aufzeichnungen schrieb er lapidar: „So gingen also 50 Jahre Architekturschaffen mit viel positiven aber auch viel negativen Seiten zu Ende.“
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er mit seiner Gattin in einem Gebäude, das er selbst entworfen hatte: dem Altersheim in Lienz.
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