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Foto: Expa/JFK

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Weltflüchtlingstag: Wie gut, dass ich kein Syrer bin!

Über den Versuch, auf einfache Fragen klare Antworten zu bekommen.

Wäre ich Syrer aus Aleppo, mit meiner Familie auf der Flucht, tausende Kilometer von der Heimat entfernt und auf spärlich fließende, teils widersprüchliche Informationen in einer fremden Sprache angewiesen, ich würde vermutlich verzweifeln. Bekomme ich nun Asyl in Österreich oder nicht? Will überhaupt jemand wissen, wer ich bin, woher ich komme und wie es mir bisher erging? Kann mir jemand zumindest eine mittelfristige Perspektive geben, eine Idee, wie es weitergehen könnte? Dürfen wir bleiben, wenn ja, wie lange? Müssen wir gehen? Interessiert sich jemand für die Kenntnisse, die wir haben, für berufliche Qualifikationen, die wir mitbringen? Interessiert sich überhaupt jemand für uns?

In Osttirol lebende Asylwerber berichten immer wieder über langes, zermürbendes Warten auf den entscheidenden Brief, die Einladung zum Erstinterview in Innsbruck. Sie ist Voraussetzung für die Einleitung des Asylverfahrens. Wer kein Erstgespräch geführt hat, dessen Verfahren hat noch nicht einmal begonnen. Wenn man Monate auf die Einladung zu einem Interview wartet, schleicht sich irgendwann das Gefühl ein, man sei vergessen worden, sei praktisch nicht existent für Behörden und Beamte jenes Landes, in dem seltsamerweise nicht Verfolgte sondern Einheimische permanent über Sicherheit nachdenken.

Es gibt viele Menschen in Osttirol, die sich um Flüchtlinge kümmern, mit ihnen reden und ihnen bei der Bewältigung ihres schwierigen Alltags helfen. Die Zivilgesellschaft funktioniert, trotz aller Unkenrufe. Und natürlich sind auch die Helfer mit der Frage konfrontiert: Wann werde ich angehört? Manche leiten solche Fragen weiter, zum Beispiel an die Bezirkshauptmannschaft. Oder an die Medien. Vielleicht findet ja ein Journalist etwas heraus?

Ich hab´s versucht. Hab mich zuerst „umgehört“. Seit Monaten seien keine Osttiroler Flüchtlinge zu Interviews nach Innsbruck geladen worden, hört man, aber Besserung sei in Sicht. Im Zuge der Eröffnung der neuen Polizeistation in Lienz soll ab Anfang Juli ein Beamter künftig regelmäßig vor Ort Interviews führen. Ich versuche das zu verifizieren, schreibe Mails mit klaren Fragen an die Bezirkshauptmannschaft Lienz und die in Tirol für Flüchtlinge zuständige grüne Landesrätin Christine Baur.

Bezirkshauptfrau Olga Reisner antwortet persönlich mit folgendem Wortlaut:

„Ich bedanke mich herzlich für die Anfrage, deren Beantwortung im Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes für Fremden- und Asylwesen liegt. Ich habe mir daher erlaubt, die Anfrage im CC an den zuständigen Leiter des BAF weiterzuleiten. Zutreffenderweise habe ich mich persönlich bemüht mit Herrn HR Mag. Nitzlnader eine Interviewmöglichkeit vor Ort (voraussichtlich ab 1.7.2016 denkbar bei der Polizei vor Ort) zu ermöglichen.“

Die Landesrätin antwortet nicht persönlich, doch ihr Büro schreibt:

„Ich darf mich im Namen von Frau Landesrätin Baur für Ihr E-Mail bedanken. Wie nachstehend bereits von Frau Bezirkshauptfrau angeführt, dürfen wir Sie für die Beantwortung auch an Herrn Mag. Nitzlnader (Leiter des BFA) verweisen.“

Also kontaktiere ich den Herrn Hofrat Nitzlnader und erreiche ihn telefonisch auf einer Zugfahrt. Der Mann ist nett, darf aber nichts sagen. Gar nichts. Obwohl er zuständig ist und sicher etwas weiß. Nur die Pressestelle des Bundesministeriums darf auf Medienfragen zum Thema Flüchtlinge antworten. Ich schicke Herrn Nitzlnader meine Fragen schriftlich, er leitet sie weiter an das Innenministerium in Wien. Hier sind sie:

  • Gibt es derzeit tatsächlich keine Erstgespräche mit Osttiroler AsylwerberInnen?
  • Wenn ja, wie lange dauert dieser Zustand schon? Die Menschen warten täglich auf Post.
  • Wann und in welcher Form wird Abhilfe geschaffen?
  • Stimmt es, dass ab der Eröffnung der neuen Polizeiwache Anfang Juli auch Erstgespräche in Osttirol durchgeführt werden?
  • Stimmt es, dass dafür ein eigener Mitarbeiter verfügbar sein wird?
  • An wie vielen Tagen/Monat werden Interviews durchgeführt?
  • Generell: sind Asylwerber in Osttirol geografisch benachteiligt? Kommen Flüchtlinge in Ballungszentren schneller dran?
  • Aktuelle Statistik: wie viele Asylwerber befinden sich derzeit in Osttirol?
  • Wann ist mit der Zuteilung weiterer Flüchtlings-Kontingente zu rechnen?

Der Sprecher des Bundesministeriums für Inneres heißt Karl-Heinz Grundböck und ist Profi. Er meldet sich umgehend. Nicht mit Antworten, sondern mit der Zusicherung einer Antwort.

Einige Tage später trifft sie ein. Und beantwortet allerhand Fragen, nur nicht die, die ich gestellt habe. Ich erfahre, dass es in Tirol derzeit 5.543 AsylwerberInnen in Grundversorgung gibt, rund 1000 weniger, als es die vereinbarte Quote vorsehen würde. Ich erfahre, dass Asylverfahren im Schnitt 7,5 Monate dauern (wenn sie erst einmal begonnen haben). Und ich erfahre, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „sieben zusätzliche Außenstellen in den Bundesländern zur Bearbeitung laufender Asylverfahren einrichtet. Im Zuge der Erweiterung wird auch in Tirol eine Außenstelle geschaffen, welche im Sommer 2016 ihren Betrieb aufnehmen wird.“ Wo? Das steht nicht im Schreiben.

Ich frage nach. In Osttirol? Antwort aus dem Innenministerium: „Nein für einen zusätzlichen BFA-Standort in Osttirol gibt es aktuell keine Pläne.“

Wie gut, dass ich kein Syrer bin. Ich würde verzweifeln.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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