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Hilfe tut Not! Wider die Sillianer Schamgrenze

Angst vor Bloßstellung kann selbst niedrigschwellige Hilfe verhindern.

Einladungen anzunehmen, fällt nicht jedem leicht. Besonders dann, wenn der Eingeladene sich durch eine Zusage bloßgestellt fühlen könnte. Weil er etwa als mittellos erscheinen könnte, als arm, als einer, der es aus eigener Kraft nicht schafft. Die Angst vor Bloßstellung kann dann selbst niedrigschwellige Hilfe verhindern. Dabei tut Hilfe not. Besonders wenn das Geld selbst für Lebensnotwendiges wie Nahrung nicht reicht. Weil Schulden drücken, die Familie groß ist oder die Rente klein. Schon Sozialhilfe zu beantragen fällt nicht leicht. Wenn die nicht reicht, dann auch noch Lebensmittelhilfe annehmen, quasi im öffentlichen Raum? Da wo alle irgendwie zusehen können?
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Hilfe annehmen ist eine schwierige Sache. Helfen fällt da leichter. Foto: Rotes Kreuz
Hilfe annehmen ist eine schwierige Sache. Helfen fällt da leichter, auch weil wir im Überfluss Nahrung haben, uns sogar den Luxus leisten, nicht mehr ganz Frisches wegzuwerfen und dabei sorglos zu entsorgen, was für andere essenziell ist. In Melanie Burgmanns Dolomitenstadt-Interview mit Georg Glahn und Stephan Hofmann, die in Sillian nach Lienz und Matrei eine „Team Österreich Tafel“ etablieren wollen, benennen beide den Bedarf nach Hilfe. Sie gingen den Hinweis einer DM-Mitarbeiterin nach, erstellten ein Projekt und suchten nach Unterstützung. Sie selbst erfuhren neben einer mit 9.000 Euro dotierten Auszeichnung für ihr Vorhaben vielfältige Hilfe in Form von Sach- und Dienstleistungen aus dem ganzen Oberländer Umfeld, von Handwerkern, Firmen und Vereinen. Dennoch treibt sie eine Sorge: ob die Betroffenen das Angebot denn auch wahrnehmen, die Schwelle übertreten und so auch über den eigenen, vielleicht zu groß geglaubten Schatten springen? Sicher ist das nicht. Bei der dichten und manchmal lückenlos erscheinenden sozialen Kontrolle in überschaubaren Dorfgemeinschaften kann soziale Hilfe auf der Strecke bleiben. Fast jeder ist schon aktiv oder passiv Teil der Wucht lokalen Tratsches und oft gnadenloser Urteile über Personen und Lebensumstände geworden. Was sich der andere wohl über einen denkt, von einem hält? Ob die Kinder das zu spüren bekommen? Sich mutwillig zum Ziel nicht besonders sozialen Meinungsaustausches zu machen, vermeiden Gemeindebürger aller Schichten, egal ob bedürftig oder nicht. Scham ist ein mächtiges Gefühl, das den Gang über einen ziemlich gut ausgeleuchteten Parkplatz an einem dezentralen Platz in Sillian verhindern kann. Auch wenn auf der anderen Seite Hunger sein Ende finden würde. Stellt sich die Frage, wie nimmt man, wie nehmen wir uns die Angst vor drohender Scham? Geht das von Kirchenkanzeln aus? Mit Postwurfsendungen? Durch Informationsabende, Flyer, Schulbesuche, Altenbetreuung? Vielleicht durch einen Flashmob, in dem alle, die finden, keiner muss sich fürchten, mit einer Wand aus Regenschirmen den Blick von außen verhindern und einen lebenden Paravent bilden? Oder alle, die gerade Zeit haben, stellen sich an und sagen Servus zueinander und wer was braucht, bekommt es, und wer was hat, gibt es ab? Vielleicht schafft eine große Masse an Menschen, dass die, die Bedarf verspüren, sich aufgenommen fühlen und in der Menge Schutz finden. Vielleicht schreckt eine große Menschenansammlung den Einzelnen aber auch ab. Ich weiß nicht, wie das geht. Ich lebe in einer Großstadt, die von ihrer oft gescholtenen Anonymität in solchen Fällen profitiert. Vielleicht aber Sie, geneigter Leser, vielleicht wissen Sie, wie das geht und haben Vorschläge und Ideen. Das Rote Kreuz hat seine Erfahrungen schon gemacht. Dennoch wird die in Sillian neu sein. Vielleicht fallen mit Ihrer Unterstützung ein paar Schamgrenzen, die Hilfe sonst sehr schwer machen.
Ab Samstag, 19. November, 19.00 Uhr verteilt die “Team-Österreich-Tafel-Sillian” erstmals und dann wöchentlich zu dieser Zeit Lebensmittel kostenlos in den dafür adaptierten Räumlichkeiten des „ehemaligen Hallenbades“ in Sillian. Gesucht werden noch ehrenamtliche MitarbeiterInnen. Interessierte können sich gerne unter der Tel. Nr. +43 4852 62321 in der Rotkreuz-Servicestelle Osttirol melden oder ganz einfach in der Rotkreuz-Ortsstelle Sillian, Aue 185 h vorbeikommen.
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

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