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„Heimat ist nicht in Granit gemeißelt.“

Sarah Kollnig über das Leben in Schweden und die Konstruktion der Heimat.

Cesar und ich, wir leben jetzt in Schweden. In der Universitätsstadt Lund, einem kleinen, idyllischen Städtchen mit einem regen intellektuellen Leben und einer jungen, internationalen Studentenbevölkerung. Cesar mag den Winter. Es ist dunkel, zwischen vier Uhr nachmittags und neun Uhr morgens, und es ist kalt und regnerisch. Schnee fällt nur sehr selten. Er liebt die Dunkelheit, die Kälte, den Regen. Damit haben wir die erste Hürde zur Integration in Schweden schon überwunden. Seit ein paar Wochen besuchen wir einen Schwedischkurs. Während Cesar sich an die schwedischen Vokale gewöhnt, kämpfe ich damit, mich nicht mit meinem deutschsprachigen Kollegen anzulegen, der das Schwedische als Stiefschwester des Deutschen ansieht. „Man sagt doch Ko-pen-ha-gen und nicht Schöpenhamn!“ Ja, es ist schwierig, sich einzugewöhnen. Aber die Situation in Schweden ist für Migranten sehr viel besser als in anderen europäischen Ländern. Cesar bekommt bei der Arbeitssuche Unterstützung von einer freundlichen Beamtin am Arbeitsamt, die ihn gleich mit du anspricht und ihm vorerst auf Englisch erklärt, was bei der Jobsuche zu beachten ist. Ich erinnere mich daran, dass ich in Bolivien von den Migrationsbeamten wie eine potentielle Schwerverbrecherin behandelt wurde. Was wollen Sie hier? Wann verlassen Sie das Land wieder? Nun sind die schwedischen Einwanderungsgesetze ja auch nicht mehr so leger wie sie früher einmal waren. Wir mussten darum kämpfen, für Cesar eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Doch das Verfahren war schnell, und wir wurden immer freundlich behandelt.
Unser Lieblingscafé in Lund. Fotos: Sarah Kollnig
Am Flughafen von Kopenhagen, Kastrup, steht ein Grenzzaun. Dort werden die Dokumente der Reisenden kontrolliert, bevor sie nach Schweden weiterreisen können. Schweden hat auch seine Grenzen dichtgemacht. Undokumentierte Migranten dürfen nicht mehr ins Land. Doch die Hunderttausenden, die Schweden aufgenommen hat, werden gut integriert. Wenn sie nicht abgeschoben werden. Es ist ein Glücksspiel, davon abhängig, wie die schwedischen Behörden die Sicherheitslage im Heimatland der Migranten einschätzen. Wir gehören zu den Privilegierten, denen alle Integrationsprogramme offenstehen. Menschen wie Cesar werden in Schweden als „Neuangekommene“ bezeichnet. Und er wird auch so behandelt. Wir besuchen jeden Samstag ein Sprachcafé, in dem mit Muttersprachlern Schwedisch, Englisch, und eine Reihe anderer Sprachen geübt werden können. Die Vielfalt der Menschen, die sich hier treffen, ist enorm. Im Schwedischkurs und im Sprachcafé haben wir Kollegen aus der ganzen Welt. Wenn man die Hürde der Einwanderungsformalitäten überwinden kann, stehen einem in Schweden viele Möglichkeiten offen. Wird Schweden unsere neue Heimat werden? Wir genießen die Freiheit hier, so zu sein, wie wir wollen. In der Studentenstadt Lund kann man am helllichten Tag im Entenkostüm durch die Straßen spazieren, das stört niemanden. In unserem Lieblingscafé treffen sich Alte, Junge, mit Tätowierungen geschmückt, im Designeranzug – alles egal. Da können sich zwei Jungs auf der Straße küssen und händchenhaltend dahin schlendern – ganz in Ordnung. Die Schweden geben sich gerne als weltoffen und tolerant. Und auch wenn das nicht die ganze Wahrheit ist, so genieße ich es doch, meinen Chef, den Universitätsprofessor, mit „Hallo Kalle, wie geht’s dir?“ begrüßen zu können.
Die markante Kathedrale von Lund.
Da kommt mir Osttirol manchmal so eng vor. Zwischen den hohen Bergen verirrt sich das Denken oft in den engen, dunklen Tälern. Da ist Cesar ein Ausländer, kein Neuangekommener. Wenn wir zu Besuch sind und dann zum Musikantenhoagascht gehen, da frage ich mich, ist das meine Heimat? Junge Menschen in Lederhosen und kariertem Hemd spielen traditionelle Weisen. Da sitzen die Menschen beieinander, Nachbarn in der gleichen Straße, und schunkeln mit. Da gibt es Almdudler, Gösser und Bratwürstel. Die Musik und die Speisen kenne ich seit meiner Kindheit. Aber nun, da ich mit Cesar hier sitze, fällt mir auf, dass mein Mann so fremd dasteht in der weißhäutigen, deutschsprechenden Menschenmenge. Da wird gesungen und gelacht, und Cesar schunkelt mit, aber wird er je eine Heimat in Osttirol finden? „Integriert“ sein, wie man so sagt? Cesar mag die Osttiroler Berge, das Essen, und freut sich, wenn ihn die Verkäuferinnen in der Lienzer Innenstadt für einen Italiener halten. Ist das Heimat? Ich bin mir sicher, dass Heimat nicht in Granit gemeißelt ist, kein „Da bin i her, da ghör i hin!“ Heimat ist, für mich, wo ich ich selber sein kann, wo Cesar er selbst sein kann. Wo wir Menschen mit offenen Armen treffen, die uns für einen Moment vergessen lassen, dass es die Anhänger der radikalen Rechtsparteien bitterernst mit ihren Parolen meinen. Und da kann Heimat dann überall sein, nicht an einem bestimmten Ort, sondern in einer Situation und zu einem Zeitpunkt, wo einfach alles passt. Und das bedeutet auch, dass Heimat nicht für immer ist. Sie ist eine Konstruktion, an der Cesar und ich arbeiten.
Die Osttiroler Humanökologin Sarah Kollnig ist an einer Schwedischen Universität beschäftigt und schrieb für dolomitenstadt.at eine Kolumne aus Bolivien, wo sie für ihre Doktorarbeit das Ernährungssystem der Stadt Cochabamba erforschte. Nun lebt sie mit ihrem Partner wieder in Schweden.

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