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„Physik hat auch etwas Philosophisches für mich“

Martin Niederwieser studiert Physik an der Fakultät der Naturwissenschaften in Graz.

Jemanden zum Interview zu bitten, den man selber nicht kennt, hat stets seinen Reiz. Ist die Person nervös, antwortet sie ausführlich oder doch nur mit dem Nötigsten? Das alles sind Fragen, die sich Redakteuren im Vorfeld eines Gesprächs stellen. Jedenfalls sollte man auf alles vorbereitet sein. In einem Lokal in der Lienzer Innenstadt sitzt mir dieses Mal ein großgewachsener, junger Mann gegenüber. Martin Niederwieser aus Tristach − früher lebte er in Assling − studiert im dritten Semester Physik an der Fakultät der Naturwissenschaften (NAWI) in Graz. Nach der Hauptschule entschied sich der heute 20-Jährige für den Musikzweig im BORG Lienz. Dort erlernte er das Gitarrespielen, das bis heute seine große Passion geblieben ist. Aber auch die Physik hat es ihm angetan, er habe sich im Unterricht stets leicht getan. Zur Entscheidung für das Physikstudium haben ihn besonders sein Interesse und die Herausforderungen des Gebietes getrieben. "Mein Studium wird als sehr anspruchsvoll gehandelt. Dennoch − ich wollte immer wissen, wie ganz alltägliche Dinge funktionieren. Wie bleibt ein Fahrrad beim Fahren im Gleichgewicht oder warum gibt es einen Regenbogen? Das hat auch etwas Philosophisches für mich." Die Mindeststudienzeit beträgt drei Jahre bis zum Bachelor und weitere zwei zum Master. Martin lässt mich aber wissen, dass Physikstudenten häufig länger bräuchten. Wie steht er dazu? "Meiner Meinung nach ist alles Kopfsache. Prinzipiell kann es echt jeder schaffen, auch wenn man nicht sonderlich begabt ist." An der NAWI wird alles von Grund auf gelehrt. Man müsse eben jeden Tag üben, wie man es auch mit einem Instrument tut. Das sei so ziemlich das Selbe, vergleicht er. Meine nächste Frage führt uns ins Berufsfeld eines Physikers. Ich bekomme erklärt, dass es viele verschiedene Bereiche gibt, auf die man sich im Masterstudium spezialisieren und später darin tätig sein kann. Martin zeigt sich besonders interessiert für die Kernfusion als mögliche Energie der Zukunft. Weitere gefragte Fachgebiete sind unter anderem Festkörperphysik oder auch die Meteorologie und Astrophysik. Er legt sich heute aber noch nicht fest, in welche Richtung es ihn wohl verschlagen mag. Zunächst möchte er sein Leben in Graz genießen. Ein Grund, in die steirische Hauptstadt zu ziehen, war sein älterer Bruder, der schon einige Jahre dort lebt. "Sonst war es eigentlich gar nicht wirklich überlegt, ich bin einfach gegangen", lacht Martin. Dass der Umzug auch ein wenig chaotisch abgelaufen ist, verheimlicht er mir nicht. Aber warum nicht Innsbruck oder Wien? "Von Innsbruck hat man immer das Bild im Kopf, dass es so ist, wie hier zuhause in Osttirol. Graz hat ein ganz anderes Flair. Und die Bundeshauptstadt wäre mir für den Anfang (des Stadtlebens) zu groß." Am meisten schätzt er den Stammtisch im Theatercafè der Murmetropole, den er gemeinsam mit seinem Bruder und den neuen Freunden nahe der Technischen Uni teilt. Als er mir davon erzählt, leuchten seine braunen Augen auf. "Eine Jazzbar, in der Studenten der Kunstuni aufspielen − das sind Musiker auf total hohem Niveau!", zeigt sich der Hobbymusiker begeistert. Martin sieht das Musizieren auf seiner Gitarre als Ausgleich zum Studium. Wenn er spielt, dann nicht nach Vorgaben oder Noten. "Ich improvisiere, ganz ohne Zwang. Das ist meine Art abzuschalten, so wie es für andere Meditation ist." Täglich widmet er sich um die zwei Stunden seinem Instrument. Er gibt auch zu, dass er dabei gerne mal die Zeit vergisst. "Manchmal ist dann die gesamte Zeiteinteilung irgendwo", schmunzelt er. Seit seinem Umzug in die Steiermark ist ein weiteres Hobby dazugekommen. Zur Literatur hat ihn ein geschenktes Buch von Hermann Hesse gebracht. Inzwischen finden sich auch philosophische Bücher in seinem Besitz. "Mich fasziniert, wie man sich persönlich selber mit solcher Literatur formen kann. Man muss aber auch immer hinterfragen, was man da liest. Ich versuche, aus allem etwas für mich selber herauszuholen."
Martin Niederwieser, porträtiert von Linda Steiner.
Der Abschied von daheim ist Martin nicht schwer gefallen. Es ging ihm immer darum, auf eigenen "Haxen" zu stehen. "Ich kann auch nicht behaupten, Heimweh gehabt zu haben. Ich wollte weg und war motiviert, etwas Neues zu machen, mein eigenes Leben zu leben." Heimatbesuche werden nur in den Ferien getätigt. Dafür hat er beim Heimkommen ein Ritual für sich gefunden, um die Hektik der Stadt zu vergessen: Jedes Mal fährt er eine Höhenstraßen-Runde, vorbei an seiner ehemalige Heimatgemeinde Assling. "Da gibt es ein gewisses Bankl. Ich setze mich dann kurz hin und schaue in die Gegend. In diesem Moment lernt man dann wieder zu schätzen, wo man herkommt." "Martin, was fehlt in Osttirol?" Er braucht nicht lange, um zu antworten. "Es gibt einfach wenig für junge Leute, besonders für´s Ausgehen. Man muss die Jugendlichen unterhalten, sonst kommen sie auf dumme Gedanken." Er spricht die Bemühungen an, die zwar gemacht werden, dennoch müsste mehr umgesetzt werden. Zum Schluss − die Rückkehr nach Osttirol: Ja oder nein? "Die Frage ist, ob es jemals Arbeit für einen Physiker in Osttirol geben wird. Am ehesten würde mir jetzt die Firma Durst als Arbeitgeber einfallen. Aber es hängt auch immer davon ab, wen man im Leben trifft, mit wem man einmal zusammen ist und wohin man dann auch gemeinsam will. Für ein Familienleben würde sich Osttirol natürlich anbieten. Also am liebsten zentral und nicht irgendwo am Berg", lacht der Student. Auf meine Nachfrage schätzt er sich als Familienmensch ein und verrät, es sei eines seiner Ziele, einmal Familie zu haben. "Was schlussendlich passiert, kann heute natürlich noch keiner sagen." Im Anschluss an das Interview haben wir uns noch eine ganze Weile unterhalten und buchstäblich über Gott und die Welt gesprochen. Um auf die Frage zu Beginn zurückzukommen: Die Anspannung beider legte sich nach wenigen Minuten und so wurde es ein lockeres und angenehmes Gespräch mit einem aufgeschlossenen und enthusiastischen Physikstudenten. Vielen Dank dafür.
In der Serie „Heimweh?“ porträtieren wir junge Menschen aus Osttirol, die außerhalb des Bezirkes studieren oder eine andere Ausbildung absolvieren.

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