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Steirische Sonnenschweine: Tierwohl schmeckt besser

Bio-Freilandbauer Norbert Hackl zeigt auf dem Labonca-Hof, was artgerechte Tierhaltung ist.

Schwein muss man haben, im Leben. Vor allem, wenn man ein Schwein ist. Denn: Nach Herzenslust spielen, selbst nach Futter suchen, sich im Schlamm suhlen und wild herumrennen – das dürfen Schweine in Österreich nur in absoluten Ausnahmefällen. Und zwar so selten, dass man das Leben der Sonnenschweine auf dem steirischen Labonca-Hof streng mathematisch zwar nicht mit einem Sechser im Lotto vergleichen kann, aber ein Fünfer mit Zusatzzahl ist es mindestens.
Auf dem Labonca-Hof leben die Schweine ganzjährig in Freiheit und dürfen ihre natürlichen Grundbedürfnisse ausleben. Foto: Labonca
Denn 98 Prozent der rund 2,8 Millionen konventionell gehaltenen Rüsselträger ergeht es bedeutend anders als Norbert Hackls Freilandschweinen auf seinen rund 250.000 Quadratmetern Weidefläche. Ein typisches Mastschwein bekommt je nach Gewicht zwischen 0,7 und einem Quadratmeter Betonspaltenboden zugewiesen und den Himmel sieht es erstmals auf der Laderampe des Lastwagens, der es zum Schlachthof bringt.
Galoppieren, Suhlen, Nestbauen und Wühlen ... das macht die Tiere im "Reich der Sonnenschweine" glücklich. Foto: Labonca
Alt ist es auch nicht, wenn es sein Schlachtgewicht von mehr als hundert Kilo erreicht hat: mit sechs Monaten stirbt es als Teenager. „Dürfen Schweine glücklich sein?“, fragt sich darum der Bio-Freilandbauer nicht ohne Grund in seinem bald erscheinenden, gleichnamigen Buch über die Schweinemast und Fleischverarbeitung in Österreich. Als Bauernsohn, der auch eine konventionelle Ausbildung gemacht hat, weiß er so viel darüber, dass er längst zum „Auswärts-Vegetarier“ geworden ist. „Die Energie von so einem normalen Stück Fleisch will ich mir gar nicht antun.“ Er war noch ganz anders eingestellt, als er im Jahr 1999 den konventionellen Betrieb von seinen Eltern übernahm. Doch die ethischen Überlegungen seiner Frau Ulrike und die Geburt des ersten von drei Kindern veranlassten die junge Bauernfamilie schon vier Jahre später zur konsequenten Umstellung auf Bio-Haltung. „Für mich war es allerdings viel schwerer als für meine Frau, die alten Denkmuster aus dem Kopf zu kriegen“, gibt Hackl zu. Die Anerkennung für die Pionierleistungen des wandlungsfähigen Landwirts könnte jedoch anderen Kollegen Mut machen: Zahlreiche Auszeichnungen hat er für seine Freilandhaltung bekommen – etwa den Titel „Beliebtester Bio-Bauer der Steiermark“, den ORF-Klimaschutzpreis oder den allerersten österreichischen Tierschutzpreis für einen Bauern. Ganz sicher ist selbst er sich nach 15 Jahren Bio-Schweinehaltung nicht, was Glück für seine sensiblen und verspielten Tiere bedeuten könnte. „Aber Zufriedenheit können wohl alle Individuen empfinden.“ Wie er das bei seinen eigenen Freilandschweinen garantieren will? „Zufrieden sind Tiere immer dann, wenn sie ihr arttypisches Verhalten ausleben dürfen“, erklärt Hackl und gibt ein Beispiel: „Am Tag vor der Geburt will eine trächtige Sau unbedingt ein Nest bauen, weil die Hormone einschießen. Hindert man sie daran, wird sie regelrecht aggressiv.“
Ganz leicht war es nicht, alte Denkmuster aus dem Kopf zu kriegen, erklärt Bio-Freilandbauer Norbert Hackl. Für seine Pionierleistung erhielt der wandlungsfähige Landwirt zahlreiche Auszeichnungen. Foto: Harald Eisenberger
In der klassischen, engen Abferkelbucht ohne Stroh könne das hormongetriebene Tier sein Bedürfnis niemals ausleben. Hackl wundert es daher nicht, dass in der konventionellen Mast ein Käfig benötigt wird, in dem sich die Mutter nicht einmal umdrehen kann – damit sie ihre eigenen Ferkel nicht zerquetscht. Auf seinen Weiden ziehen sich die trächtigen Sauen hingegen am Tag vor der Geburt zurück, bauen in Ruhe ein Nest und lassen auch danach niemanden an ihre Ferkel heran. Gerade im Winter findet auch Hackl hin und wieder ein erdrücktes Ferkel, weil die Tiere sich dicht in die Weidehütten kuscheln. Im Sommer jedoch kaum. „Ich habe bei meiner Rasse allerdings nicht so hohe Abferkelraten wie andere“, sagt Hackl. „Und ich will das auch gar nicht.“ Ferkel dürfen auf dem Labonca-Hof bis zu acht Wochen bei ihrer Mutter trinken und ihnen werden weder der Schwanz abgeschnitten noch die Eckzähne geschliffen. Kastrieren lässt Hackl die männlichen Tiere nicht wie üblich bei vollem Bewusstsein – sondern unter Vollnarkose, von einem Tierarzt. 10 Euro pro Tier muss er für diese Entscheidung bezahlen, und er tut es gern, um den Schweinebabys große Schmerzen zu ersparen. „Hochgerechnet auf 100 Kilo Schlachtgewicht sind das ja nur zehn Cent mehr“, gibt der Bauer zu Bedenken. Aber auch er müsse natürlich betriebswirtschaftlich rechnen und wegen seiner verschiedenen Tierwohl- und Qualitätsmaßnahmen kosten Fleisch oder Wurst vom Labonca-Hof sogar mehr als normale Bio-Produkte. Die Sonnenschweine, Bergschecken-Rinder und Weide-Hühner haben auf dem Labonca-Hof allerdings auch über hundertmal mehr Platz zur Verfügung als sie laut Bio-Zertifizierung müssten. „Ganz ehrlich: Auf 2,3 Quadratmetern fühlt sich doch kein Schwein wohl“, sagt Hackl und ergänzt: „Diese Bewegungsfreiheit kostet uns natürlich auch sehr viel Geld.“
Ferkel dürfen auf dem Labonca-Hof bis zu acht Wochen bei ihrer Mutter trinken. Foto: Labonca
Denn seine Schweine haben einen entsprechend hohen Muskelanteil und müssen für dasselbe Schlachtgewicht viel mehr fressen. Importiertes Soja aus Brasilien kommt Hackl dabei nicht in den Futtertrog. Zusätzlich zum natürlichen Futterangebot der Weide verwendet er nur selbst angebautes Bio-Getreide und von einem befreundeten ökologischen Betrieb noch Kürbis-Ölkuchen. Billiges Getreide sei überhaupt ein wesentlicher Faktor, warum die intensive Schweinemast jemals entstehen konnte, erklärt Hackl. „Es ist gar nicht so lange her, etwa 50 oder 60 Jahre nur, dass moderne Maschinen den Anbau von Futtergetreide so effizient gemacht haben. Früher hätte man niemals so viele Schweine gehalten, weil man das wertvolle Getreide für die Menschen brauchte.“ Das Wachstum der Schweinebestände scheint in Österreich jedoch nicht mehr aufzuhalten zu sein: Allein in den vergangenen zwanzig Jahren hat sich laut Statistik Austria die durchschnittliche Zahl der Schweine pro Halter von 40 auf 118 nahezu verdreifacht – insgesamt stehen 2,3 Millionen von ihnen im Stall. Die Kurve der kleinen Bauern, so wie Hackl einer ist, neigt sich derweil steil nach unten. Automatisierung ist der Motor für diese Entwicklung: Die größten Schweineproduzenten verwenden auf die gesamte Mastdauer gesehen nur etwa eine halbe Stunde menschlicher Arbeit auf das einzelne Tier. Aufgrund ihres vergleichsweise viel höheren Arbeits- und Flächenaufwands müssen Bio-Bauern wie Hackl darum das Besondere bieten und bessere Fleischqualität garantieren, um ihre mickrigen 2,2 Prozent Markanteil auszubauen. Das Fleisch seiner dunkel gescheckten „Schwäbisch Hällischen“, eine alte Rasse, sei mager im Rücken und habe eine hochwertige Fettsäuren-Struktur, sagt Hackl. „Im Stall würden die sofort verfetten.“ Auf der Weide aber brauchen sie mehr als ein Jahr, bis sie schlachtreif sind. Langsam gewachsenes Fleisch enthält auch weniger Wasser und schrumpft darum in der Pfanne nicht sofort zusammen. Neben dem intensiveren Geschmack können selbst Laien dieses Qualitätsmerkmal rasch erkennen. „Unsere Kunden müssen einen echten Aha-Effekt haben. Sonst bekomme ich nicht den Preis dafür, den wir für unsere Haltungsweise brauchen“, sagt Hackl. „Allein von der Anerkennung der Vegetarier kann ich ja nicht leben, obwohl wir sehr gute Gespräche führen.“
Eine selten praktizierte Warmfleischverarbeitung ermöglicht es den Metzgern, auf viele chemische Zusatzstoffe zu verzichten, die sonst in der Wurstherstellung üblich sind. Foto: Roland Wehap
Hackl bekommt für einen Fleischproduzenten tatsächlich überraschend viel Respekt von Tierfreunden. Zwar streichelt auch er seine Schweine nicht zu Tode – aber mit Österreichs erstem Weideschlachthaus kommt er ziemlich nah dran. Eine kleine Ungenauigkeit im Schlachthygiene-Gesetz brachte Hackl im Jahr 2012 auf die Idee, dass er mit einem Schlachthaus auf der eigenen Weide seinen Tieren viel Stress und Todesangst nehmen könnte. „Für jeden Schlachthof ist ja ein Wartebereich vorgeschrieben. Aber es steht nirgends, dass das ein fester Stall sein muss. Eine Warte-Weide ist genauso erlaubt“, sagt Hackl. Der Vorteil: Die Schweine können bereits Wochen vor dem Tag X auf die 8.000 Quadratmeter große Warteweide gebracht werden, deren Futterbereich direkt an das Schlachthaus mit der Weiterverarbeitung und der Kühlung grenzt. So ist es Labonca auch möglich, das noch warme Fleisch zu besonderen Wurstprodukten zu verarbeiten. Diese selten praktizierte Warmfleischverarbeitung ermöglicht es den Metzgern, auf viele chemische Zusatzstoffe zu verzichten, die sonst in der Wurstherstellung üblich sind. Und weil Hackls Tiere beim Schlachten keinen Stress empfinden, könne man sein Freiland-Schweinefleisch zum Beispiel auch wochenlang reifen lassen, was einige dry-age-Fans schon getestet haben. „Die wenigsten wissen ja, welche chemischen Prozesse beim normalen Schlachtprozess ablaufen“, sagt Hackl. „Großer Stress braucht im Körper wertvolle Glykogene auf. Diese fehlen später wiederum den Milchsäurebakterien, die das muskulöse Fleisch zart machen würden.“ Stress entstehe fast automatisch, wenn man Tiere in Gruppen auf einen LKW verladen müsse, sagt Hackl. „Die übliche Schlachtung ist für das Tier eigentlich ein Wahnsinn.“ Schlimm seien nicht nur die Transporte, die in der Bio-Haltung immerhin nur vier Stunden dauern dürfen. „Aber mit hunderten anderen Tieren an einen fremden Ort gebracht zu werden, wo es laut ist und nach Blut riecht, ist für Schweine unglaublich belastend“, sagt Hackl. „Die Begasung mit Co2 ist außerdem grausam, da kämpft das Tier mindestens 25 Sekunden gegen das Ersticken.“
Auch sie haben einen Platz auf dem Labonca-Hof: Vertreter der gefährdeten Rinderrasse „Ennstaler Bergschecke". Foto: Labonca
Das beste Argument für sein Weideschlachthaus ist darum sicherlich, dass die Schweine es gar nicht als Ort des Todes wahrnehmen, findet Hackl. „Sie gehen völlig angstfrei in die Nähe zum Fressen“, sagt er. An seinem letzten Tag betäubt der Schlachter jeweils ein einzelnes Tier mit der Elektrozange, oft am Futtertrog oder sogar im Schlaf. „Natürlich ist das eine ziemlich linke Tour, aber so bekommt das betreffende Tier wirklich überhaupt nichts mit“, sagt Hackl. „Würden wir uns das nicht auch für den eigenen Tod wünschen?“ Sein modernes Weideschlachthaus finanzierte der findige Vermarkter damals übrigens hauptsächlich mit so genannten „Genussscheinen“. Für 1000 Euro konnten sich Kunden jährliche Labonca-Lieferungen im Wert von 130 Euro auf zehn Jahre lang zusichern. Das entspricht einer Mehrleistung von 5,2 Prozent im Jahr. Rechtlich gelten limitierte Genussscheine nicht als Bankgeschäft, sondern als rabattierter Vorauskauf. Das Geld ist dabei gebunden – in saftigen Huftsteaks oder edler Salami. 300 Kunden waren sich offenbar sicher, nicht demnächst zum Veganismus überzugehen: dank ihres Vertrauens konnte Hackl einen Gutteil der benötigten Investitionen von 350.000 Euro auf diese Weise vorfinanzieren. Sicherlich half es ihm, dass zu den ersten Investoren Prominente Genießer wie Josef Zotter oder Sarah Wiener zählten. Dem Kurier sagte die Star-Köchin damals: „Ich unterstützte das Projekt, weil ich glaube, dass unsere Gesellschaft von Solidarmodellen dieser Art sehr profitiert.“ Nach seinem großen Erfolg mit dem Weideschlachthaus bietet Hackl darum auch weiterhin solche Genussscheine an: Einerseits um sein Weideschlachthaus, aber auch zum Beispiel die Haltung der gefährdeten Rinderrasse „Ennstaler Bergschecke“ weiter auszubauen. Denn für einen Bauer mit Visionen gibt es immer was zu tun.
„Neue Wege“ ist eine Kurzserie auf dolomitenstadt.at im Rahmen des Prozesses „Vordenken für Osttirol“. Bis zum Herbst 2018 zeigen wir anhand von ausgewählten Beispielen aus ganz Österreich, wie durch verschiedene Modelle der Bürgerbeteiligung regionale Problemstellungen auf innovative Art gelöst werden. Abwanderungsstopp, Bildung, Digitalisierung, Wertschöpfung, soziale Integration – Ziele, die auch in Osttirol angesteuert werden, sind andernorts manchmal schon erreicht. Wir nehmen diese Lösungen unter die Lupe, recherchieren Hintergründe und bieten damit Anregungen für Bürgerprojekte vor Ort.
Rebecca Sandbichler hat in Darmstadt Journalismus studiert und arbeitete als freie Journalistin für eine Reihe von Print- und Onlinemedien bevor sie Anfang 2020 die Chefredaktion der Innsbrucker Straßenzeitung 20er übernahm.

Ein Posting

dolomitenwurm
vor 6 Jahren

Danke! Dieser Artikel ist wunderbar geschrieben, fachlich kompetent und mit Blick auf das Wesentliche! Ich wünsche mir, dass diese Serie "„Neue Wege“ weitergeht!

Während in Osttirol nach wie vor in der Landwirtschaft der Regionalitätsmythos gepflegt wird (= Jungschwein aus Holland, Kraftfutter aus Ukraine, Soja aus Argentinien, Gewürze aus Moldavien; Massentierhaltung; Futter & Zutaten aus konventioneller Landwirtschaft mit toxischer Pestizide gezüchtet) und in den magischen Händen einiger Bauern diese sicherlich nicht regionalen Zutaten zu heimischen Produkten "veredelt werden", haben offenbar Bauern nicht weit von hier erkannt, wie mit biologischer Landwirtschaft und innovativen Ideen ein tragfähiges Einkommen zu erwitschaften ist.

Der Blick über die Bergkämme des Bezirkes ist wichtig, um der ewigen faden Argumentation einiger Bauernvertreter darüber, was alles NICHT geht, Fakten entgegenzusetzen: Ja es geht! Innovationen und biologische Landwirtschaft wären auch in Osttirol möglich und zukunftsfähig!

 
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