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So packe ich die Corona-Krise mit links!

Charlie Chaplin, Albert Einstein, Angelina Jolie, David Bowie und ich haben etwas gemeinsam.

Was das ist? Wir sind Linksküsser! Und Linkshänder. Dass wir deshalb kreativer, intelligenter, ja einfach genialer sind als die „Normalen“, die Rechtshänder, gehört mittlerweile leider wohl zu den Neuromythen. Tatsache ist, daß der Anteil der Linkshändigkeit bei mindestens zehn Prozent liegt, das hat eine erst in diesem Jahr durchgeführte Megastudie bewiesen. Aber wahrscheinlich liegt der Prozentsatz sogar wesentlich höher: Die Umschulung der Händigkeit passiert oft schon im Kleinkindalter und in der Kindergartenzeit, häufig vom Kind selbst durch Nachahmung und sehr oft unbemerkt von den Erwachsenen. Bei Schuleintritt werden dann fälschlicherweise viele Kinder oft als „Beidhänder“ oder als Rechtshänder eingestuft. Einige der möglichen Folgen können Konzentrationsstörungen, Schreibunlust, Legasthenie und Verhaltensauffälligkeiten sein, die dann aber nur selten mit der Händigkeit in Verbindung gebracht werden. Noch zu meiner Schulzeit in den Siebzigern war die bewusste Umerziehung auf das „schöne Handl“ pädagogischer Standard. Dazu gab es früher einige recht hilfreiche Methoden von Schlägen auf die Hand bis zum Eingipsen der linken Hand. Der links gebogene Löffel ließ einem – wollte man nicht verhungern - keine Wahl. So sind heute viele Menschen nur Pseudorechtshänder, oft ohne es zu wissen! Kein Wunder, gilt das Wort links als Synonym für Verbrechen, Schuld und Unfähigkeit. Gut und Böse, Hell und Dunkel, Links und Rechts. Die symbolische Bedeutung von Links und Rechts schlägt sich auch in den bildenden Künsten, in Sitten, Bräuchen und Aberglauben nieder. Hexen sollen sich mit links bekreuzigt haben. Ob man links- oder rechtshändig ist, hängt davon ab, welche der Gehirnhälften besonders gut darin ist, feinmotorische Aufgaben auszuführen. Bei Rechtshändern ist das die linke Gehirnhälfte, bei Linkshändern die rechte. Diese Seitenverschiebung liegt daran, dass die Nervenbahnen sich im Rückenmark kreuzen. Die linke Gehirnseite steuert immer die rechte Körperhälfte und umgekehrt. Warum es überhaupt Linkshänder gibt, konnte wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt werden. Schon ab der 13. Schwangerschaftswoche aber nuckeln ungeborene Kinder entweder bevorzugt am rechten oder am linken Daumen. Vielleicht gehörst auch Du zu den Linksküssern? Als Linkshänderin bin ich, wie gesagt, auch Linksküsserin, Linksfüßerin, ja sogar Linksschauerin und Linkshörerin, aber leider Rechtsschreiberin. Dabei ist besonders das Schreiben ein sehr komplexer Vorgang, wo sehr viele Hirnareale gleichzeitig aktiviert werden. Jede Beeinflussung der Händigkeit, besonders beim Schreiben, ist ein massiver Eingriff in das Gehirn! Eine Umerziehung kann aus neuropsychologischer Sicht folgenschwere Konsequenzen haben. Das erklärt natürlich alles. Meine schlechte Handschrift, meine zwei „linken Hände“ - weshalb meine Mama heimlich zu Hause meine Handarbeitshausübungen erledigt hat – und überhaupt meinen „Wackelkontakt im Kopf“, auch als eine der Auswirkungen genannt. Dabei kam bei mir keine jener Umerziehungsmethoden zum Einsatz. Meine Oma konnte meine Familie, mich eingeschlossen, davon überzeugen, dass es das Beste für mich sei, mit der rechten Hand schreiben zu lernen. Wer wollte schon „Dengewatsch“ sein? Denn ist mit Dengewatsch, also linkshändig, nicht gleichzeitig auch patschert gemeint? Mein linkshändiger und linksschreibender Mitschüler Martin tat mir sogar oft leid. So sehr musste er sich Mühe geben, trotz verkrampftester Stifthaltung die Tinte nicht zu verwischen. Danke Oma. Interessanterweise fehlen zahlreichen indigenen Völkern auf unterschiedlichen Kontinenten die Wahrnehmung und daher auch die Wörter für Links und Rechts. Sie orientieren sich ausschließlich an den Himmelsrichtungen. So liegt der Stift nicht rechts vom Heft, sondern südlich oder nordöstlich, je nachdem. Das setzt voraus, daß jede Drehung und Bewegung des Gegenübers im Raum registriert wird. Mit dieser verblüffenden Fähigkeit verirren sich diese Menschen nie! Vielleicht ist der Wortgebrauch von Rechts und Links unserer egozentrischen Gesellschaft geschuldet. Wir betrachten die Welt von der eigenen Person und nicht von unserem Gegenüber aus. Dafür verirren wir uns aber ständig.
Es ist zwar noch etwas ungewohnt, aber ich kann den Stift schon ganz entspannt in der linken Hand halten. Foto: Ramona Waldner
Jetzt bin ich wieder vom eigentlichen Thema abgekommen. „Zerstreutheit“, auch so eine Konsequenz der Umerziehung. Ursprünglich wollte ich eigentlich nur von meinem Vorhaben erzählen, die Corona-Krise als Entwicklungschance zu nützen und durch die Rückschulung auf meine linke Hand meine überlastete nicht-dominante Gerhirnhälfte zu entlasten, damit die kreativen Potenziale der bisher lahmgelegten anderen Hälfte sich endlich voll entfalten können. Klingt doch gut! Es ist zwar noch etwas ungewohnt, aber ich kann den Stift schon ganz entspannt in der linken Hand halten. Es gibt einen einfachen Trick wie es gelingt, nicht in der für Linkshänder so typischen Hakenhaltung zu schreiben: Einfach das Blatt nach rechts kippen! Diesen und noch andere wertvolle Tipps wie die Rückschulung auf die dominante Hand gelingen kann, erhielt ich aus Büchern von Johanna Barbara Sattler, Fachfrau auf dem Gebiet der Linkshandforschung und Gründerin der „ersten Deutschen Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder“. Ich besorgte mir auch das Übungsheft mit inkludierter Schreibunterlage, um mich an die Schräglage beim Schreiben zu gewöhnen. Die Blattneigung sieht zwar etwas seltsam aus, ermöglicht aber eine bequeme Körperhaltung, vermeidet das Verwischen des Geschriebenen und ich kann besser sehen was ich schreibe.
Der Trick für eine entspannte Handhaltung: Einfach das Blatt nach rechts kippen! Foto: Evelin Gander
Heutzutage ist Linkshändigkeit in Kindergarten und Schule kein Thema mehr. Man setzt vermehrt auf Individualisierung. Die Kinder dürfen im Kindergarten selbst entscheiden was und wie sie etwas machen und auch auf die Stifthaltung wird bewusst kein Einfluss genommen. Und die kleinen LinkshänderInnen werden – ohne angemessene Vorbilder zu finden - sich selbst überlassen. Sattler plädiert aber dafür, daß linkshändige Kinder schon von Anfang an – also schon von den Eltern und KindergartenpädagogInnen – zur richtigen Schreibhaltung geführt werden. Ich hab mich umgehört und festgestellt, daß nicht alle KindergartenpädagogInnen und noch weniger VolkschullehrerInnen davon überzeugt sind, daß die zunehmende Individualisierung den Kindern immer gut tut. So seien selbst nach der Einschulung einfache Nachspurübungen für viele Kinder – auch für rechtshändige - schwer zu schaffen. Viele spannende Informationen zum Thema Linkshändigkeit auch für Eltern und Pädagogen finden sich auf der Webseite des Vereins Linke Hand. So, jetzt werde ich wieder den Stift in die linke Hand nehmen und fleißig üben – meine Schrift ähnelt noch der einer Volksschülerin – und dann muss ich nur noch darauf warten, daß meine neue, kreative Quelle endlich zu sprudeln beginnt!
Evelin Gander ist nicht nur Stadtführerin und Biobäuerin, sondern auch Ideenlieferantin und Geschichtenerzählerin mit viel Einfühlungsvermögen. Thema ihrer Reportagen und Podcasts ist das Leben in all seinen Facetten.

6 Postings

wolf_C
vor 4 Jahren

... um dem ganzen die richtige würze zu geben: wieso sollen linkshänder von links nach rechts schreiben? der zug und die energie vervielfältigen sich beim schreiben von r e c h t s nach l i n k s , das ist wie dann wie fliegen statt liegen ...

 
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    Evelin G.
    vor 4 Jahren

    Ja, lieber Wolf, das wär toll, fliegen! Aber dann hätte die Schrift ihre Urbestimmung - nämlich die der Kommunikation - wohl verloren😉

     
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susanneG
vor 4 Jahren

ja, mach den Schritt, übe jeden Tag. Ich habe meine Umschulung mit 38 Jahren begonnen und bin inzwischen fließende linkshändige Schreiberin geworden und mein Leben hat sich zum Positiven entwickelt. Ich stolpere fast nicht mehr über meine Füße, habe fast keine Probleme beim Sprechen (habe leicht gestottert) und bin insgesamt ausgeglichener geworden. Inzwischen unterschreibe ich auch alles mit links. Meine rechte Hand ist immer noch stärker und ich glaube ich bin beidhändig, da ich trotz viel üben, manches immer noch mit rechts besser mache und mehr Kraft im Arm habe. Was hat dich veranlasst, es jetzt mit Links zu probieren? Was war der Auslöser?

 
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    Evelin G.
    vor 4 Jahren

    Eine Freundin, selbst Linkshänderin, hat mir von den guten Erfahrungen ihrer Bekannten bei der Rückschulung erzählt. Ich wäre selbst nicht drauf gekommen. Vielleicht konnte ich nun jemanden dazu motivieren. Die Nachspur- und Schreibübungen machen nämlich Spaß und fühlen sich richtig an!

     
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Lipa
vor 4 Jahren

Danke, liebe Evelyn! Ich gehöre auch zu jener "speziellen" Sorte und habe mich über deinen Beitrag gefreut. Ich lernte das Schreiben noch mit Tafel und Griffel. Der nasse Schwamm war oft genug im Einsatz, weil meine Schrift- gezwungenermaßen mit der rechten Hand geschrieben- nicht dem "Schönheitsideal" entsprach. Umgekehrt war es für die Lehrerin ein Problem, mir die Stickstiche mit der linken Hand zu zeigen, denn sticken durfte ich links. Bis heute gelingt es mir weder eine Suppe mit der rechten Hand zu löffeln noch mit der Schere rechts zu schneiden und für alles, was mehr Kraft braucht, muss die linke Hand herhalten, weil sie eben die stärkere ist. Im Gegensatz zu dir habe ich es nie in Erwägung gezogen mir das Schreiben mit der linken Hand anzueignen. Bin schon gespannt auf deine diesbezüglichen Erfolge und auf deine daraus resultierenden kreativen "Schübe", von denen ich dann zumindest via "dolomitenstadt" lesen werde können.

 
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peter raneburger
vor 4 Jahren

welcome back, evelin!

 
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