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Moore öffnen den Blick in längst vergangene Zeiten

Ein Feuchtgebiet bei der Essener Rostocker Hütte ist seit 1975 Naturdenkmal.

Die Essener Rostocker Hütte des Deutschen Alpenvereins liegt auf 2.208 Metern Seehöhe im Nationalpark Hohe Tauern. Vom Parkplatz Ströden in Prägraten kann man die Hütte entlang des Maurertals innerhalb von 2,5 Stunden gut zu Fuß erreichen und findet dort nicht nur einen idealen Ausgangspunkt für eine Reihe von Bergtouren, sondern auch ein Moorgebiet, das nicht von ungefähr seit 1975 als Naturdenkmal ausgewiesen ist.
Die Essener Rostocker Hütte im Venedigergebiet. Alle Fotos: Simon Legniti
Die Moore bei der Essener-Rostocker Hütte. Aus der Ferne nur „nasse Flecken“ auf einer Wiese. Doch bei näherer Betrachtung kommen viele Besonderheiten zutage.
Obwohl die Moore der Essener Rostocker Hütte auf mehr als 2000 Metern Höhe liegen, sind sie keineswegs – wie oft fälschlich beschrieben – Hochmoore. Es sind Niedermoore, genauer gesagt Versumpfungsmoore. Unabhängig von der Höhenlage wird ein Moor als Niedermoor bezeichnet, wenn es einen „flachen“ Torfkörper bildet und dadurch noch vom nährstoffreicheren Grundwasser gespeist wird. Ein Hochmoor hat im Gegensatz dazu einen sehr hohen, mächtigen Torfkörper und hat dadurch keinen Kontakt mehr zum Grundwasser. Die Pflanzen, die darauf wachsen, werden nur von eher nährstoffarmem Regenwasser versorgt.   Die durchwegs nassen und sehr sauren Bedingungen in einem Moor führen aufgrund völlig gestoppter Abbauprozesse zur Anreicherung von Torf. Durch die geringe mikrobiologische Aktivität im Torf bleiben organische Verbindungen lange erhalten. Diese Eigenschaft ermöglicht es Wissenschaftlern, weit zurück in die Vergangenheit zu schauen. Moore sind eine Art biologisches Archiv. Durch Pollenanalysen und Untersuchungen des Torfprofils können Rückschlüsse auf frühere klimatische Bedingungen gemacht werden. Die rund 225 Zentimeter dicke Torfschicht lässt Blicke in längst vergangene Zeiten zu. Untersuchungen der Universität Innsbruck förderten auch beim hier beschriebenen Moorgebiet bedeutsame wissenschaftliche Entdeckungen zutage. Gleich drei wärmezeitliche Gletschervorstöße hat das Moor festgehalten, die „Löbbenschwankung“ um 1500 bis 1300 v. Chr., die „Frosnitzschwankung“ 4400 bis 4200 v. Chr. und die „Venedigerschwankung“ um 6700 bis 6000 v. Chr.

Das Moor als weltweit wichtiger Kohlenstoffspeicher

Moore sind wichtige Kohlenstoffspeicher, ihr Erhalt ist nicht nur aus Artenschutzgründen wichtig, sondern auch für den Klimaschutz entscheidend. Die weltweiten Moorflächen speichern auf nur drei Prozent der Erdoberfläche ein Drittel des atmosphärischen Kohlenstoffs. Umso besorgniserregender ist, dass Torfabbau oder die Anlage von Palmölplantagen weiterhin betrieben werden. Zur Gewinnung von Torf wurden Moore früher oft entwässert und zerstört. Der Torf wurde zur Energiegewinnung verbrannt und wird heute im Gartenbau den meisten Erden zugesetzt. Wer nicht nur Moore in Osttirol schützen will sondern auch weltweit etwas zum Klimaschutz beitragen möchte, kann dies ohne großen Aufwand tun: beim nächsten Besuch im Gartencenter Blumenerde ohne Torf kaufen und damit die Zerstörung von Mooren in Übersee verhindern.
Kräftig grüne Moospolster. Obwohl das Moor auf über 2000 Metern Seehöhe liegt, ist es ein Niedermoor!
Wie alle Feuchtlebensräume sind auch Moore durch den Klimawandel gefährdet. Wie sich Niederschlagsregime und somit auch Grundwasserstände ändern werden, ist nur mit großer Ungenauigkeit vorherzusagen. Klar ist jedoch, dass sich die Bedingungen ändern und Süßwasser zu einem immer rareren und stärker genutzten Rohstoff wird. In der Diskussion um die Rückkehr des Wolfes wird oft die wichtige Rolle der Weidetiere für die Kulturlandschaft in den Alpen betont. Die Moore bei der Essener Rostocker Hütte zeigen allerdings, dass Weidetiere auch große Schäden verursachen können. Trittschäden entstehen im feuchten Boden sehr schnell und die Hinterlassenschaften der Weidetiere führen zur Verschmutzung und einem starken Nährstoffeintrag. Nur intakte und ungestörte Moore können Kohlenstoff speichern. Kommt es zu Störungen des Wasserhaushaltes oder zu Schäden der empfindlichen Mooroberfläche, werden sie zu Kohlenstoffquellen.

Fleischfressende Pflanzen und rostrote Geier

Ihre Rolle als natürliche Konservierungszone machen die Moore zum Mittelpunkt vieler Sagen und auch Kriminalgeschichten. Nicht von ungefähr wurden sie in früheren Zeiten mit düsteren Fabelwesen oder „Moorleichen“ assoziiert. Der Wahrheitsgehalt dieser Schauermärchen hält sich meist in Grenzen, doch „gemordet“ wird tatsächlich, nämlich vom Alpen-Fettkraut, das als fleischfressende Pflanze hier überall lauert.
Mord im Moor? Hier ist der Beweis! Das Fettkraut ist eine fleischfressende Pflanze und „verspeist“ Insekten.
Mit seinen klebrigen Blättern fängt das Fettkraut kleine Insekten ein und verdaut diese auf der Blattoberfläche. Durch die zusätzliche Aufnahme von tierischen Nährstoffen kann diese erstaunliche Pflanze den Nährstoffmangel im Moor ausgleichen. Manche Mythen bilden sich auch rund um die seltsamen roten Pfützen dieser Moore. Die Wasseroberfläche schillert, als hätte jemand Motoröl verschüttet. Tatsächlich ist Eisenoxid für die rötliche Verfärbung verantwortlich, erzeugt von eisenoxidierenden Bakterien, die in den sauren Bedingungen der Moore gut gedeihen.
Pfützen mit rötlichem Wasser! Verantwortlich für die Verfärbung sind eisenoxidierende Bakterien.
Diese roten Lacken ziehen einen spektakulären Nationalparkbewohner an, den Bartgeier. Um diesen großen Greifvogel zu sichten, muss man also nicht unbedingt den Himmel absuchen. Bartgeier baden ihr Gefieder in den eisenhaltigen Pfützen und färben so ihre Federn rot ein. Weshalb sie das tun ist noch nicht ganz geklärt. Denkbar wären soziale Funktionen oder die Gefiederpflege.
Das Gefieder dieses Bartgeiers im Innsbrucker Alpenzoo ist durch ein Eisenoxid-Bad rot gefärbt. Früher hielt man das für Blut und den Vogel deshalb für gefährlich.
Dass auch in diesen Höhenlagen Amphibien existieren können, beweist der Grasfrosch. Viel Zeit bleibt ihm für Paarung, Eiablage und Entwicklung zum adulten Frosch im Hochgebirge aber nicht. Umso wichtiger sind kleine Tümpel und Pfützen, welche sich in den Sommermonaten viel schneller als ein großes Gewässer erwärmen. Die Entwicklung von der Kaulquappe zum fertigen Frosch verläuft dadurch um einiges schneller.
Der Grasfrosch – auch er bewohnt das Moor bei der Essener Rostocker Hütte.
Und noch ein zauberhaftes Wesen lebt hier: die Alpen-Smaragdlibelle. Kurz nach dem Schlupf ist das Exoskelett von Libellen noch sehr weich, die Flügel sehr empfindlich und die typischen Farben sind noch nicht ausgebildet. Nach ein paar Stunden hat sich eine frisch geschlüpfte Smaragdlibelle schon deutlich verändert.
Eine Alpen-Smaragdlibelle schlüpft und verändert sich in wenigen Stunden!
Die metallischen Farben werden sichtbar, der artspezifische weiße Ring am zweiten Abdominalsegment ist zu sehen und die Flügel haben sich durch Einpumpen der Hämolymphe bereits ausgefaltet. Es ist immer wieder ein erstaunliches Ereignis, wenn eine Libelle im Laufe ihrer Entwicklung vom Wasser ans Land wechselt. Wer also demnächst zur Essener Rostocker Hütte wandert, sollte beim Sprung über die nahegelegenen „Pfützen“ in der Umgebung einmal innehalten und genauer hinsehen. Es lohnt sich!
Links die dreiblütige Simse. Das kleine Sauergras fällt nur einem aufmerksamen Betrachter auf. Rechts die grüne Hohlzunge, eine hübsche aber unscheinbare Orchidee!

Simon Legniti studiert Naturschutz und Biodiversitätsmanagement. Er schreibt an einer Masterarbeit über Osttirols Naturdenkmäler und bittet unsere Leserinnen und Leser, sich bei ihm mit Vorschlägen für mögliche Naturdenkmäler zu melden, im Idealfall mit Ortsangabe, kurzer Beschreibung und einem Foto an: simon.legniti@gmail.com.

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