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Marie-Luisa Frick, Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. Foto: Andreas Friedle

Marie-Luisa Frick, Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. Foto: Andreas Friedle

Weniger Lärm, mehr Mut zur Selbstkritik

Kritisches Denken bedeutet, sich auch selbst immer wieder in Frage zu stellen, sagt die aus Osttirol stammende Philosophin Marie-Luisa Frick. Ein Gespräch über das Erbe der Aufklärung und die gefährliche Allianz zwischen Coronaleugnern und Populismus.

Es hätte auch in Richtung Archäologie gehen können, Aguntum lag vor der Haustür und als Kind, sagt Marie-Luisa Frick, habe sie die Vorstellung fasziniert, „was da alles noch unter den Feldern liegen könnte“. Als Frick, 1983 in Lienz geboren und in Dölsach aufgewachsen, Jahre später zum Studium nach Innsbruck ging, hatte sie sich aber längst für zwei andere Fachgebiete entschieden, nämlich für Rechtswissenschaften und Philosophie. Letztere ist zum Beruf geworden, seit 2016 ist sie Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. Schürfen lässt es sich auch dort ganz gut, etwa in der philosophischen Ideengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, die uns, so Frick, auch dabei helfen könne, die Probleme der Gegenwart besser zu verstehen. Es dämmert einem spätestens bei Wörtern wie Vernunft und Selbstkritik: „Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess“, so der Titel von Fricks lesenswertem Büchlein zum Thema, entführt uns nicht nur auf eine Kutschenfahrt mit Voltaire, an den Schreibtisch der englischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, zu den Streitfragen und blinden Flecken der Aufklärung, sondern geradewegs zu hochaktuellen Debatten.

Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, lautete der Wahlspruch der Aufklärung. Allerdings beanspruchen auch selbst ernannte „Querdenker“ und Coronaleugner für sich, kritisch denkende Menschen zu sein. Wie geht das zusammen?

Marie-Luisa Frick: Es geht eben nicht zusammen. Selbstdenken ist harte Arbeit und ist vor allem auch damit verbunden, dass man sich selbst immer wieder die Frage stellt: Liege ich irgendwo falsch, habe ich etwas übersehen? Kritisches Denken bedeutet nicht, einfach etwas wiederzugeben, was man irgendwo gehört hat oder was in einem YouTube-Video gesagt worden ist. Es bedeutet nicht, immer nur bei anderen die Fehler zu suchen, sondern auch, sich selbst in Frage zu stellen. Wer das beherrscht, mit dem kann man auch gut streiten und diskutieren. Es gibt allerdings viele Menschen, die zwar sehr viel Lärm machen, aber eigentlich sehr wenig beitragen können zur Lösung von Problemen.

Wissenschaftliche Ergebnisse zu ignorieren und auf „alternative Fakten“ zurückzugreifen war auch schon lange vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine Strategie von Gruppierungen, die im ideologisch rechten Milieu angesiedelt sind. Wirkt die Corona-Krise wie ein Turbo auf solche Tendenzen?

Frick: Das kann ich so nicht sagen, das müsste man genau untersuchen. Klar ist aber, dass der Informationsbedarf gerade jetzt unglaublich groß ist und es zugleich viele Angebote an Pseudowissen und -Informationen gibt, die nicht selten gezielt verbreitet werden, um Menschen zu verführen. Wir sehen auch, dass viele Menschen einfach nie gelernt haben, zu unterscheiden, was wissenschaftlich generiertes Wissen ist und was nicht. Das ist auch ein bildungspolitisches Problem – und in Zeiten wie diesen natürlich fatal. Auch Journalisten, die für andere etwas aufbereiten, sollten es schaffen, genau zu unterscheiden.

Die Verantwortung liegt also auch bei den Medien?

Frick: Ich sehe schon die Schwierigkeit, dass Medienmacher oft nicht wissen, wie Disziplinen klar zu trennen sind und wer kompetent für welche Fragen ist. Es gibt nicht den Wissenschaftler, der alles erklärt. Wissenschaftler haben jeweils Spezialgebiete, zu denen sie forschen. Nur dort sind sie echte Experten – und können sich trotzdem irren. Aber man muss klar sagen, dass es auch in der Wissenschaft eitle Menschen gibt, die sich öffentlich zu völlig fachfremden Fragen äußern. Da gibt es Lernbedarf auf allen Seiten.

Buchtipp: Marie-Luisa Frick: „Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess“. Reclam Verlag, Stuttgart 2020, 176 Seiten, 12 Euro.

„Die Aufklärung liegt um die Ecke. Sie ist kein Museum, sondern ein weites und einladendes Feld, das es mutig zu beackern gilt. Jäten wir es, düngen wir es! Und finden wir Ruhe im Schatten seiner mächtigen Bäume.“

Marie-Luisa Frick – Mutig denken.

In der Vorbemerkung zu „Mutig denken“ schreiben Sie, die Aufklärung sei für viele ein fernes Land, sie liege aber eigentlich um die Ecke. Warum lohnt es sich denn gerade angesichts der Corona-Krise, sich mit der Philosophie der Aufklärung zu beschäftigen?

Frick: Weil sich ganz grundsätzliche Fragen und Probleme auftun, mit denen sich die Philosophie traditionell beschäftigt und die sie in ihren verschiedenen Disziplinen berühren - von der Sozialphilosophie über die Ethik bis zur Rechtsphilosophie. In Zeiten, in denen vieles fraglich wird, ist die Philosophie die Disziplin der Stunde, weil sie helfen kann, die richtigen Fragen zu stellen und weil sie verschiedene Disziplinen miteinander in Dialog bringt.

Auch im 17. und 18. Jahrhundert ist vieles fraglich geworden, etwa die Religion als letzte Instanz oder absolutistische Herrschaftssysteme. Für die Philosophen der Aufklärung war die Vernunft das zentrale Instrument auf dem Weg zu einer idealen Gesellschaft, es wurden die Fundamente für Demokratie und Menschenrechte gelegt. Darüber, ob rationales Denken auch zu moralischem Handeln motivieren kann, wurde allerdings schon damals gestritten. Wo stehen wir da heute, auch angesichts des Umgangs mit Flüchtlingen in Europa?

Frick: Wir stehen vor grundsätzlichen Problemen, für die es keine einfache Lösung gibt. Gerade bei der Migrationsfrage zeigt sich das in vielen Dilemmata: Wie wendet man das Ideal der Menschenwürde konkret an? Wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben sollen, wer ist dann dafür verantwortlich, diese Rechte zu garantieren? Wir müssen uns diesen Fragen von den Enden her annähern und uns zu einer vernünftigen Balance hinarbeiten. Was nicht geht, ist Menschen zu Abschreckungszwecken auf irgendwelchen Inseln verrotten zu lassen. Was aber auch nicht geht, sind anarchistische Open-Border-Ideologien, die staatsgefährdend sind.

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