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Herzlich willkommen in meinem Wohnzimmer

Auf meinem Fernseher wachsen Zwiebeln. In Einrichtungsfragen berät mich die Raumpflegerin.

Über mein Wohnzimmer machst du dir keinen Begriff. Dabei hat mein Vermieter jede Anstrengung unternommen, alles so aussehen zu lassen wie vor dem Bombeneinschlag! Aber so ist es nun einmal in einem Single-Haushalt. Da sammelt sich im Laufe der Jahre so einiges an unnützem Zeug an, das man sich eingebildet hat, besitzen zu müssen und von dem man dann viel zu spät draufkommt, dass man es gar nicht braucht. Besitztum ist eben etwas ganz anderes als Brauchtum, das man nicht wahllos anhäufen, sondern liebevoll pflegen soll.

Nicht, dass ich für Brauchtumspflege nichts übrighätte, im Gegenteil. Wenn ich abends nach Hause komme, setze ich mich gleich vor den Fernseher – der ist so alt, dass schon Zwiebeln aus seinem Gehäuse hervorsprießen – und schaue mir eine Sendung an. My Home ist my Kastl! Am liebsten mag ich Kultur, Konzerte, genauer gesagt. Die Kapellen aus dem Lienzer Talboden, aus dem Iseltal und dem Oberland sind nicht nur ein Ohren-, sondern in gleichem Maße ein Augenschmaus. Beim Anblick der Marketenderinnen aus Matrei, Virgen und Innervillgraten läuft dir normalerweise das Wasser im Munde zusammen! Schade, dass ein Fernseher nicht als interaktives Medium gedacht ist.

My Home ist my Kastl. Installation aus Zwiebeln und Pappe. Visualisierung: Rudolf Ingruber

Der Medienphilosoph Vilem Flusser hat das Fernsehen als "faschistische Schaltung" bezeichnet, weil es gebündelt in eine einzige Richtung kommuniziert und keinen Widerspruch duldet. Nicht, dass es deswegen belanglos wäre. Die Belangsendungen aus meinem Fernseher sind ohne Zahl! Aber eben kein Dialog, der bei einem Platzkonzert auch gänzlich unangebracht wäre. Apropos Flusser: Aufgrund eines Abwasseraustritts im Sanitärbereich fließt schon seit einiger Zeit ein Rinnsal – eine Ritsche oder wie sie sie heißen, ich nenne sie Livestream – quer durch mein Wohnzimmer, und wenn dann die Marketenderinnen in einer Art Cool Water-Challenge mit hochgehobenen Trachtenröcken und nackten Füßen an dir vorbei defilieren (in meinem Alter heißt das schon „defibrillieren"), entbehrt das nicht einer gewissen Erotik. Vor allem, wenn du als einziger weißt, wo das Wasser herkommt.

Ich müsste dringend mein Bad neu verfliesen, aber ich bin mir mit meiner Putzfrau nicht einig. Eigentlich ist sie Raumpflegerin, denn mit Putzen hat sie wenig am Hut. Dafür berät sie mich in Geschmacksfragen. Jeden Morgen kritisiert sie die Nippsachen, die ohne für sie einsehbares Konzept in der Gegend herumliegen. Staubfänger, wie sie sie abschätzig nennt, aber wer soll denn, bitte, den Staub einfangen, wenn sie selbst dazu nicht bereit ist? Vergessene Sonnenbrillen und Regenschirme, Handtaschen, Spazierstöcke, sogar Kuhglocken – kurz, sämtliche Duftmarken, die meine zahlreichen Gäste hier setzten. Apropos Duftmarken: Die originellen Beschriftungen meiner Klotür, sagt meine Raumpflegerin, seien ganz und gar unangebracht, wo ich doch gar keine Klotür besäße, an der man sie anbringen könnte!

So ganz stimmt das aber nun auch wieder nicht. Mein Wohnzimmer verfügt über mehrere Häusln. Allerdings bewirte ich dort meine Gäste im Sommer mit Haubenmenüs und im Winter mit Glühwein und Weihnachtsgebäck. Neulich habe ich einen international renommierten Schauspieler mit dem Entwurf einer Sitzgarnitur für die Fernsehecke beauftragt, ohne meine Raumpflegerin vorher in Kenntnis zu setzen. Sie kam erst dahinter, als die Idee des hochbetagten Artisten in voller Spielfilmlänge am Fernsehschirm lief. Der Produzent dieser Inszenierung war zwar kein großer Künstler, dafür aber jung. Der hätte mir, nur um an diesen Auftrag zu kommen, glatt seine Seele verkauft. Der Alte hätte sie mir geschenkt!

Es war das erste Mal, dass ich meine Aufräumerin tatsächlich aufräumen sah. In einem Anfall von kreativer Entschlossenheit, den ich ihr so nicht zugetraut hätte, verschob sie sämtliche Tropengewächse, die sich wahllos in meinem Zimmer verteilten, in Richtung Osten. Dort beginnt nämlich der Süden, und so ein Wintergarten hat schließlich auch seinen Reiz. Am besten mit einem Springbrunnen, der die beiden Abschnitte meines Wohnzimmers unaufdringlich, aber doch eindeutig in zwei funktional verschiedene Abschnitte teilt. Und was die Sitzgarnitur vor dem Fernseher angeht: Ein Klappstuhl tuts auch, wenn nur meine Lieblingstopfpflanzen, die Yuccapalme und der Gummibaum, richtig platziert sind.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

6 Postings

Nickname
vor 3 Jahren

"kein großer Künstler, dafür aber jung",

Genial, einfach nur genial. Voll auf den Punkt gebracht :-)

 
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Senf
vor 3 Jahren

ja, rudi, vielleicht hattest du keinen passende pappschachtel von schneuztüchern, die normalerweise vor den zwiebeltürmchen trotzt und die blechbläser mit ihren marketenderinnen ins licht rückt und die liebburg für die handyknipserinnen mit schatten verdeckt oder war gar nur der klappsessel eines möbeldesignergiganten im wege. vielleicht aber hat sie die reinigungsfrau irrtümlicherweise beiseite geschoben, um den ideenfindigen bauhofamtsköpfen luft und freiraum zu ihrer selbstverwirklichung im möbelverstellten stadtwohnzimmer zu verschaffen. wer weiss?

 
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Philanthrop
vor 3 Jahren

Man kann es mit dem Sarkasmus auch mal übertreiben. Sarkasmus ist nicht nur verletztend, sondern auch ungesund und zwar für den Pessimist, der fiese Sprüche reißt. Studien zeigen auf, dass sich die Charakterzüge von Optimisten positiv auf die Gesundheit auswirken, weil sie sowohl einen gesünderen Lebensstil führen als auch bessere Vitalwerte haben. Nur so mal dahingesagt. Sarkasmus bringt uns nicht anˋs Ziel, trotzdem liebe Grüsse.

 
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    FirstConsul
    vor 3 Jahren

    Ich vernehme Ironie in jedem Satz aber keinen Sarkasmus. Die Ironie als echte Stilfigur ist weder spottend, beleidigend, arogant oder pessismistisch. Was aber nicht bedeuted dass jeder Empfänger die Nachricht auch versteht.

     
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    Anthony Soprano
    vor 3 Jahren

    Ich stimme Ihnen vollkommen zu lieber Menschenfreund! Ja, man kann es mit dem Sarkasmus übertreiben. Ich verstehe allerdings nicht, warum Sie das unter diesen Artikel schreiben!?

     
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amRande
vor 3 Jahren

Lieber Rudi, mir fehlt das Schild "Eingang auf der Rückseite". Aber vielleicht ist die Vorderseite eh die Rückseite?

 
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