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Neue EU-Verordnung geht Tätowierern unter die Haut

Brüssel sieht rot bei Pigmenten. Ab 4. Jänner stehen die Körperkünstler ohne Farben da.

„Für uns ist das eine unsichere Sache“ – Oliver Lackner ist seit Jahren Tätowierer in Sillian und sieht sich und seine Berufskolleg:innen nach dem Lockdown mit dem nächsten Tiefschlag konfrontiert. Den Körperkünstlern geht nämlich die Farbe aus. Das liegt nicht an Corona-bedingten Lieferengpässen, sondern an einer neuen Verordnung aus Brüssel. Mit 4. Jänner 2022 tritt eine Änderung der EU-Chemikalienverordnung in Kraft und bedeutet ein faktisches Verbot der meisten Farbschläge von Tattoofarben. Bis auf wenige Ausnahmen sind dann nur noch Schwarz, Grautöne und Weiß zulässig. Der Umweltkommissar der Europäischen Kommission begründete den Beschluss mit dem „Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens der Bürger.“ Die Beschränkung betrifft über 4.000 Chemikalien, die Krebs oder genetische Mutationen verursachen können oder fortpflanzungsgefährdend sind. Auch vor Hautallergenen und Reizstoffen soll mit neuen Konzentrationsgrenzwerten geschützt werden.
Oliver Lackner aus Sillian sieht keine Notwendigkeit für ein Farbenverbot. Foto: Lackner
Oliver, der das „Skinpainter“-Tattoostudio betreibt, hinterfragt das Timing der Union: „Wir verwenden diese Farben seit 30 Jahren ohne Probleme.“ Die Antwort darauf kommt aus Brüssel. Weil Tattoos in Europa immer beliebter werden, sei es dringend notwendig, diese Chemikalien jetzt zu regulieren. „Dafür fehlen wissenschaftliche Belege“, hält Oliver dagegen. Sabine Rubner vom „Red Dragon“-Studio in Innsbruck stößt ins gleiche Horn: „Es gibt keine Sicherheitsdatenblätter, man weiß nicht genau, ob die Farben krebserregend sind und jetzt hängt jeder Tätowierer in der Luft.“ Gerade weil es um die Studienlage zu Langzeitfolgen durch Tätowierungen eher schlecht bestellt ist, wollen die Entscheidungsträger aber nichts dem Zufall überlassen. Auch Wissenschaftler fordern seit Jahren strengere Regeln und Kontrollen – und wurden nun erhört. Das bunte Farbenspiel dürfe kein unerwünschtes Nachspiel für die Gesundheit haben. Immerhin tragen rund zwölf Prozent der EU-Bürger ein Tattoo – Tendenz steigend. Die Strategie im Kampf gegen gefährliche Pigmente bewertet auch Marko Domann als „nicht ganz ausgereift. Davon sind ja auch 'Permanent-Makeup-Artists' und Brustkrebspatient:innen betroffen. Frauen, die ihre Brüste verloren haben, lassen sich gerne Nippeltattoos stechen. Das geht dann auch nicht mehr.“ Marko betreibt in Lienz den Tattooladen „Silent Color“. Von außen sieht man nicht, was im Laden passiert. Durch das milchige Glas erspähen wir eine Silhouette. Es ist Marko, der die Tür öffnet. Er bittet uns hinein und wir stellen klar, dass wir bei unserem Besuch nur Stift und Papier und keine Nadel brauchen.
„Dieses Verbot hat weitreichende Auswirkungen und ist nicht zu Ende gedacht“, meint Marko Domann. Foto: Dolomitenstadt/Wagner
Marko dreht die Musik leiser, lässt sich in seine braune Retro-Ledercouch fallen und hält sich den Kopf. „Ich verstehe diese Vorgehensweise nicht. Wir haben in Österreich ja jetzt schon die strengsten Vorgaben in ganz Europa“, so der Körperkünstler. Wie Oliver in Sillian jagt auch er inzwischen schwarze Tinte aus Österreich durch die Nadel in die Haut seiner Kunden, die den neuen Richtlinien entspricht. Oliver und Marko tätowieren generell mit wenig Farbe und erwarten deshalb keine Durststrecke in ihren Auftragsbüchern. „Meist sind es eher Details, etwa Löwenaugen oder Diamanten, die Farbe brauchen. Großflächig ist das bei mir im Studio eigentlich kein Thema“, erzählt Marko, während er uns durch seinen Laden führt. Er zeigt uns seinen Farbschrank. Vier Fläschchen Schwarz und ein Mal Weiß stehen auf der Glasplatte. Mehr wird es vorerst nicht werden.
Markos Farbenschrank: Die heimische Firma „I Am Ink“ stellt „harmloses“ Schwarz her. Foto: Dolomitenstadt/Wagner
Die Innsbrucker Tätowiererin Sabine hätte sich eine längere Übergangszeit gewünscht, „um Großprojekte noch fertig zu bekommen. Jetzt kriegen wir alle ein bisschen Stress.“ Oliver erwartet sich durch die neue Verordnung ungewollte Nebenwirkungen: „Im Nicht-EU-Ausland – also etwa in der Schweiz – gelten diese Verbote nicht. Wer ein Farbtattoo will, könnte also dorthin fahren“. Auch Bundesinnungsmeisterin Dagmar Zeibig warnt: „Das wird zu einer massiven Verschlechterung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Anbietern außerhalb der EU führen und die Existenz dieser Berufszweige stark gefährden.“
Sabine Rubner tätowiert im „Red Dragon“-Studio in Innsbruck und versteht die Aufregung nicht. Foto: Dolomitenstadt/Lang
Neben der skizzierten Abwanderung rechnen Oliver und Sabine auch mit einer illegalen Untergrund-Szene. Zu ausgeprägt sei mittlerweile der Trend, die eigene Haut zur Leinwand zu machen. Trotz EU-Verbot und den Gefahren der verbannten Pigmente, greifen die Leute weiterhin zur Farbe. „Ich habe einige Kunden, die unbedingt noch vor dem Jahreswechsel einen Termin wollen, um ein Farbtattoo zu bekommen“, sagt Marko. Er trägt selbst Farbe unter der Haut, Angst vor negativen Folgen hat er keine. „Wir haben keine Kunden, die sich wegen der bisherigen Farben unwohl fühlen. Sie unterschreiben ja auch, dass sie die Risiken kennen und damit einverstanden sind“, meint Sabine.
Farbe bekennen – Auch Sabine hat ein buntes Tattoo und ist stolz auf ihre Körperkunst. Foto: Dolomitenstadt/Lang
Spricht man Tätowierte in Innsbruck auf der Straße an, kommt man auf einen ähnlichen Nenner. Michael ist stolz auf seinen farbenfrohen Pumuckl und „würde ihn jederzeit wieder stechen lassen. Durch das Verbot geht die Vielfalt und Kreativität vieler Motive verloren“. Seine Lösung: Eine Verzichtserklärung. Auch Lisa liebt ihre bunten Tattoos und bezeichnet die neue Verordnung als „übertrieben. Tätowierte sollten selbst entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht.“ Mit einer Petition, die in Österreich ins Leben gerufen wurde, wollen die Tätowierer:innen die Verordnung auf den letzten Metern abfangen. Mittlerweile haben das Begehren 117.303 Menschen unterschrieben. „Ein starkes Signal. Dass die Verordnung gekippt wird, kann ich mir aber nicht vorstellen“, meint Oliver. Und so bleibt ihm und seinen Kolleg:innen nur das Warten auf ein Happy End, damit die Tattoowelt nicht in schwarz-weißer Tristesse versinkt. Seit Freitag nährt eine Nachricht aus Übersee die Hoffnungen auf einen Erhalt des bunten Körperkults. Mit „World Famous Ink“ hat der erste amerikanische Farbhersteller bekanntgegeben, dass es gelungen sei, neue und den Richtlinien entsprechende Farben zu produzieren. Auch die Auslieferung der harmloseren Tinte wurde bereits angekündigt. Zuvor müssen die Farben aber die strengen Kontrollen passieren.

8 Postings

Lienzner7
vor 3 Jahren

Wenn eine Substanz kein Sicherheitsdatenblatt besitzt, dann kommt das gleich mit einer unbekannten Substanz. Solange nicht geklärt ist was das ist und welchen Schaden es anrichten kann, lässt man sich das auch nicht unter die Haut stechen bzw. sticht es auch nicht ruhigem Gewissens irgendeinem unter die Haut, auch wenn die Kunden "unterschrieben haben und die Risiken kennen". Ich habe mich auch tätowieren lassen, jedoch stand im Formular, welches ich unterzeichnen musste, nichts von Farbpigmenten ohne ausreichenden Tests. Argumente wie, "das machen wir schon seit 30 Jahren...." zählen nicht. Bei anderen Cremen, Lotionen etc., also Dinge die AUF die Haut kommen, ist es doch dem Anwender auch wichtig, dass nur notwendige Inhaltsstoffe darin sind und diese ausgiebig getestet wurden. Und das Zeug wird unter/in die Haut gegeben.

 
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Senf
vor 3 Jahren

zugegeben, irgendwie sind tätowierer künstler. allerdings finde ich es schade, dass sie für ihre werke lebende leinwände verwenden. und ich glaube, dass es vielen dieser leinwandträger nicht bewusst ist, was sie sich antun, denn in den phasen die man durchlebt, ändern sich die mode, das wertempfinden und in dieser kultur auch die gesundheit. bereuen hilft dann nicht und drübermalen schon gar nicht.

früher trugen tattoo nur einige wenige seefahrer - und auch die damen des leichten gewerbes. zwangsweise, denn ihr kleines tattoo - meist beim beckenknochen oder am schlüsselbein - war eigentlich ein brandmarch zur identifikation und zugehörigkeit ihres zuhälters. und immer dann, wenn eine dienerin sich aus der sklaverei entziehen und aus dem staub machen wollte verfolgte sie ihr "beschützer" über sein netzwerk und erkannte sie am Tattoo überall wieder, egal ob im fluchtort rom, hamburg oder im innsbrucker maxim. in der gesellschaft waren sie als huren ausgegrenzt. die strizzis untereinander kannten die symbole und respektierten ihr "eigentum" untereinander. so wie ehemals die schafbauern ihre schafe im pferch mit den gestanzten markierungen am ohr.

und noch was: als die oma bei ihrer enkelin am prallen, birnenförmigen popo ein tattoo sah, entledigte sie sich spontan ihres hösschens und flüsterte der jugendlichen dame ins ohr: "sieh mal her, meins war auch einmal ein stolzer steinadler". vom teuren kunstwerk, das einst ihren allerwertesten schmückte waren allerdings nur mehr ein paar zerflederte federn zu erkennen - und das bei angespannter haut zwischen daumen und zeigefinger.

ein trefflicher kartoon, er war erhältlich im souvenirladen am stadtplatz - ich muss immer noch lachen!

die stolzen kunstwerke scheinen auf ihre weise also tatsächlich vergänglich zu sein. gerade deshalb sollten sie auf leinen gemalt/gestochen werden. man stelle sich vor, albin egger oder franz defregger hätte auf schulterblätter und är..... statt auf leinen herumgepinselt ...

ich jedenfalls finde die optische schimmelhaut der fast schon weltweiten und modisch bedingten praktik nicht anziehend, sondern abstoßend und auch gesundheitsgefährdent.

trotzdem, jeder wie er meint.

 
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    Heinrich_077
    vor 3 Jahren

    toll und ich lese diesen dämlichen Text auch noch :-(

     
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      Senf
      vor 3 Jahren

      kann es doch sein, dass tatsachen von einigen nicht so gerne gehört/gelesen werden?

       
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Zahlen-lügen-nicht..
vor 3 Jahren

Ich kann es sowieso nicht verstehen warum so viele junge und auch ältere Leute ihren Körper damit so verunstalten können. 🤦‍♂️

 
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    Wirt2200
    vor 3 Jahren

    leben und leben lassen

     
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    12345
    vor 3 Jahren

    Musst es ja nicht machen wenns dir nicht gefällt. Aber wenn es andere machen kanns dir gleich sein, immerhin schaden sie damit ja niemand anders.

     
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12345
vor 3 Jahren

Da hams ja wieder einmal komplett übertrieben. Ich werd ja wohl noch selber entscheiden dürfen womit ich meinen Körper schädige. Schließlich sind Tschick auch extrem ungsund aber trotzdem erlaubt, aber da verdienen die Staaten halt zu viel dran ums zu verbieten.

 
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