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Rätsel in der Burgkapelle: Simon v. Taisten war nicht allein!

Graffiti beweisen, dass der Pustertaler auf Schloss Bruck einen kreativen „Mittäter“ hatte.

Zu meiner Volksschulzeit, die liegt schon weit zurück, ich geb‘ es zu, da wurde alles, was augenscheinlich schon vor Defregger und Egger-Lienz an irgendeine Wand gepinselt war, Simon von Taisten zugeschrieben. Die damals noch nicht lange freigelegten Fresken der Lienzer Franziskanerkirche: Simon von Taisten! Die kaum noch lesbaren Fragmente in der Stadtpfarrkirche St. Andrä: Simon von Taisten! Die beiden Hausfassaden in der Wolkensteiner-Straße: Simon von Taisten! Und selbstverständlich auch die Malereien an den Wänden der Burgkapelle auf Schloss Bruck.

Um Namen wie Nikolaus Kenntner, Sebastian Gerumer oder meinetwegen auch noch Jakob Sunter aufzuspüren, hätte man sich damals in Fachzeitschriften wie dem Osttiroler Boten kundig machen müssen, was weder einem Schüler noch seinen Lehrer*innen zumutbar gewesen wäre. Das Standardwerk, in dem die ganze Wahrheit nachzulesen war, erschien, wie fürderhin auch andere Werke seines Autors, um einen Hauch zu spät: Osttirol – Der Bezirk Lienz, kurz gesagt „der Pizzinini“, der hierzulande lange Zeit dasselbe Ansehen genoss wie anderswo der Schott oder der Brockhaus.

Doch wie gesagt: 1974 war meine Volksschulzeit bereits Geschichte, und im Gymnasium stand Heimatkunde nicht auf der Agenda der Kunsterzieher*innen. Nicht, dass dieser Schultyp deshalb gänzlich nutzlos wäre, verlieh sein Abschluss mir auch ohne einschlägige Kenntnisse das Recht, ein Studium der Kunstgeschichte anzufangen. Zu dieser Zeit erfuhr ich erstmals auch vom Pizzinini – in letzter Sekunde quasi, bevor ich mich mit einer nicht mehr zeitgemäßen Meinung zu Simon von Taisten vor meinen Kollegen und Kolleginnen blamieren konnte. Bei Leo Andergassen beispielsweise, dem heutigen Direktor des Museums Schloss Tirol.

Simon von Taisten galt als Hofmaler des letzten Grafenpaars von Görz, dessen legendäre Unverträglichkeit im Jahr 2000 die Tiroler Landesausstellung „ca. 1500“ auf Schloss Bruck zum wiederholten Male in den Fokus nahm. Wie tief saß wohl der kulturelle Schock, den die mantovanische Prinzessin Paola von Gonzaga durch die Verheiratung mit Leonhard von Görz, der Firmlinge an Bischofs Stelle ohrfeigte und dem sein Vater die Trunksucht buchstäblich in die Wiege gelegt hatte, im Alter von erst 14 Jahren erlitt?

Unter dem Mantel der Madonna hat links ein bislang unbekannter Maler im Stil der italienischen Renaissance geistliche Würdenträger zum Gruppenbild versammelt. Im rechten Abschnitt sind vielleicht der römisch-deutsche Kaiser, gestorben 1493, und sein Sohn Maximilian, seit 1486 römisch-deutscher König, von Simon von Taisten portraitiert. Fotos: Helmut Niederwieser

Simon von Taisten war auch kein Mantegna, von dessen Hand das einzige Portrait der Fürstentochter noch im Palast zu Mantua verewigt wurde. Man kann die Lebensdaten des Pustertaler Malers nur aus seinem Werk erahnen, und wenn sie auch jenen eines Leonardo da Vinci ähneln dürften, seine Gemälde tun das nicht. Kunst war am Görzer Hof ein Fremdwort, genauso wie das Idiom, in dem Simon von Taisten sich auszudrücken pflegte, der Gräfin unverständlich bleiben musste. So will es das Klischee.

Und noch etwas: Graf Leonhard von Görz schien sich in seinem Haus am Lienzer Hauptplatz wohler gefühlt zu haben als bei seiner Gattin auf Schloss Bruck. Das sagt nicht nur ein Reisetagebucheintrag Paolo Santoninos aus dem späten 15. Jahrhundert, das sagt auch der Pizzinini. Dass ausgerechnet so ein Grobian die Ausmalung der Schlosskapelle veranlasst haben sollte, wollte nun Leo Andergassen ganz und gar nicht in den Kopf. Er schrieb den Auftrag also König Maximilian, dem Erben des letzten Görzer Grafen zu und datierte ihn nach dessen Tod im Jahre 1500.

In einem internationalen Kolloquium am Campus Technik Lienz wurde das Problem kürzlich neu aufgerollt. Die Graffitiforscherin Anna Maria Petutschnig hatte zwingend nachgewiesen, dass der Leutpriester Albert Streicher schon vor der Wende zum 16. Jahrhundert seinen Namen und die Jahreszahl 1498 in ein Fresko gekratzt hatte. Was er damit bezweckte, lässt sich allenfalls vermuten, dem Historiker von heute erwies er aber einen unschätzbaren Dienst. Auch dem, der alles längst schon vorher wusste und deshalb nicht mehr danach fragte. Basta!

Trotzdem ist, wie Andergassen meint, Simon von Taisten im Allgemeinen und die Kapelle von Schloss Bruck im Besonderen längst nicht ausgepredigt. Zu unterschiedlich sind die Handschriften der Maler, die an der Ausstattung offensichtlich noch beteiligt waren. Manche werden wohl als Gehilfen der Werkstatt Simons einzugliedern sein. Manche, jedoch nicht alle: Im linken Teil der Schutzmantelmadonna sind Figuren – ein Papst, ein Kardinal, ein Mönch und andere – zum Gruppenbildnis versammelt, von einem Künstler, dessen Schulung eindeutig nach Italien weist. Hingegen ist der rechte Teil Simon aus Taisten zuzuschreiben.

Das Phänomen, dass sich ein Mensch aus dieser Gegend im selben Satz zugleich auf Italienisch und im Pustertaler Dialekt ausdrückt, ist aber keine hundert Jahre alt. Für das Aufeinandertreffen von Spätgotik und Renaissance sind deshalb zwei verschiedene Maler verantwortlich zu machen und für den Auftrag: „Mal mir den Himmel – Dipingimi il paradiso!“ wohl Paola von Gonzaga. Der Startschuss zu einem Detektivspiel ist abgefeuert, wann Simons Mittäter identifiziert sein wird, steht noch nicht fest. Und wann dieser Eingang in ein Lehrbuch finden wird, noch weniger.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Für uns kritzelt er Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

5 Postings

Claudia Moser
vor 2 Jahren

Rudi Ingruber gehört zu den begabtesten und begnadetsten Kunsthistorikern im Bezirk. Danke für diese immer wieder exzellenten Ausflüge in die Osttiroler Kunstgeschichte.

 
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Bahner Bernd
vor 2 Jahren

@ aenda. Eine kritische Kunstanalyse mit Sarkasmus gleichzusetzen ist eher hanebüchen. Der äußerst anregende Beitrag beleuchtet ua. das Problem der Quellenforschung in der bildenden Kunst vor allem in den lokalen Regionen. Die mannigfaltigen Bezüge zum spätmittelalterlichen, italienischen Kulturraum erwecken das Interesse für weitere Lektüre.

 
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    Herr_Ethiker
    vor 2 Jahren

    Ich glaube, dass Sie das Posting von @aenda nicht ganz richtig verstanden haben.

     
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Kiew
vor 2 Jahren

Danke, lieber Rudi, für Deinen glänzenden und äusserst interessanten Artikel. Man lernt nie aus!

 
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aenda
vor 2 Jahren

Schon wieder dieser Sarkasmus! als nächstes wird Herr Ingruber noch behaupten, die Fassaden in der Wolkensteinerstraße sind tatsächlich nicht von Simon von Taisten und der beste Entwurf für den Hauptplatz auch nicht vom Herrn Prof. ...

 
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