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Ursula Strobl und der Bronzebulle von Jos Pirkner vor dem Schloss Bruck in Lienz. Foto: Wahlvideo/Screenshot.

Ursula Strobl und der Bronzebulle von Jos Pirkner vor dem Schloss Bruck in Lienz. Foto: Wahlvideo/Screenshot.

„Zurück zum verlassenen Strande schaut sie!“

Team Lienz und seine Kulturbotschafterin packen den Stier beim Horn.

Der Mehrwert der Kunst ist der Sinnüberschuss, den sie erzeugt. Er betrifft das Bedürfnis jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin nach Information, Kommunikation, Lebensperspektive, Selbstbestimmung und Inklusion. Zeitgenössisches Kunstschaffen kommt dem Bedürfnis durch seine Entwürfe entgegen, wird jedoch zum geringsten Teil von seinem Zielpublikum finanziert. So wendet sich beispielsweise der Kunsthandel an eine Gruppe, die über Kapital verfügt und ist daher seinem Wesen nach nicht inklusiv, sondern exklusiv. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik, die Teilhabe allen gleichberechtigt möglich zu machen.

Im Februar 2004 wurde das Stadtentwicklungsprojekt mit dem Arbeitstitel „Kulturbezirk beim Stadtsaal“ via Internet vorgestellt und dazu ein Diskussionsforum angelegt. Der Grundtenor der veröffentlichten Beiträge, hauptsächlich von Lienzer Bürgerinnen und Bürgern, ließ den Wunsch nach einer Belebung der Innenstadt (nicht der Peripherie!) und nach deren fußgängerfreundlichen Anbindung an den Rindermarkt nördlich der Isel erkennen. Lienz sollte sich als Schul- und Bildungsstadt, als Kultur- und Kongressstadt sowie als Ferien- und Tourismusstadt profilieren. Für junge Musiker wurden Probelokale gefordert.

Bildende Kunst, die ja immerhin im Nutzungskonzept des Stadtsaals konkret projektiert war, wurde einzig von Caritasdirektor Georg Schärmer in einem Beitrag zur „Sozialraumbewirtschaftung“ zusammen mit Ausstellungsmöglichkeiten auch für „Menschen mit Behinderung“ eingemahnt. „Politik und Strategie eines kommunalen kulturellen Unternehmens werden künftig auch die Ansprüche von sozio-kulturellen Minderheiten zu bedienen wissen“, war in der anlässlich des endgültigen Endes der Städtischen Galerie publizierten Festschrift zu lesen. Wer sich jedoch an Dingen erfreut, die es nicht gibt, sollte ehest möglich einen Schuldnerberater bemühen!

„Raub der Europa“ – Detail aus einem Gemälde von Cavalier d'Arpino, 1603-1606, Galleria Borghese - Rom. Jede Ähnlichkeit mit einem Wahlvideo des Team Lienz ist rein zufällig.

Ich hätte mir diese Bemerkungen gerne verkniffen, aber seit das „Team Lienz“ mit Nachdruck auch die Kultur in die Wahlschlacht geworfen hat, spüre ich als einer, dem die Kultur schon einmal eine Randnotiz wert ist, wieder den alten Stachel im Fleisch. Im Rindfleisch!

Sicher, auch andere Mitbewerber haben das Thema beiläufig gestreift, doch mehr in der Art provinzieller Placebos. Placebo heißt übersetzt „ich werde gefallen“. Die Entschlossenheit aber, mit der die ehemalige Lienzer Kulturreferentin den Stier auf Schloss Bruck bei den Hörnern zu packen bereit ist, hat eine ausgesprochen europäische Dimension! „Und zurück zum verlassenen Strande schaut sie und hält mit der Rechten ein Horn ...“ Zugegeben, in ihrem Werbevideo war es die Linke, aber eine Lateinlehrerin weiß selbst am besten, dass bei Übersetzungen von Ovids Metamorphosen immer ein bisschen geschwindelt wird.

Schließlich griff in seiner Vision von der Wiederbelebung des Lienzer Hauptplatzes auch ihr Listenführer zu einer List: „Der Hauptplatz gehört neu gepflastert, wunderschön … Er gehört indirekt beleuchtet, und dann gehört vielleicht noch ein schöner Brunnen hin, der ein Blickfang ist, damit der Platz einen Attraktionspunkt, einen schönen Brunnen, ein Fotomotiv bekommt.“ Und er beeilte sich zu versichern, dass diese Vorstellung eben nur seine eigene und damit sehr subjektiv sei.

Das wahre Subjekt dieser Sichtweise hat es ursprünglich so ausgedrückt: „Und am Abend die leichte Beleuchtung, indirekt, die Beleuchtung, ist schon herrlich, und der Trinkbrunnenbereich, das gehört alles dazu. Verschieden pflastern, so dass es nicht auffällt, aber man spürt es halt doch durch den Platz hindurch: Das ist schön!“ Schön ist auch, dass die Übersetzung des auf den Tag genau ein halbes Jahr vor dem Wahltermin formulierten Originaltextes noch immer beinahe wortwörtlich ausfällt.

Daraus einen Zusammenhang mit dem Rindvieh vor dem Schloss Bruck abzuleiten, halte ich aber für verfehlt. Das Team Lienz hat selbst das künstlerisch aussagekräftigste Fotomotiv im Talon, das man gegenwärtig zwar nicht am Hauptplatz, dafür aber überall sonst im Breitbildformat vor die Linse bekommt. Es erinnert weniger an Rind, vielmehr an Geflügel: Ubi pectus in fronte intumescit episcopus tergi, zu Deutsch: Vorn schwillt die Brust und hinten der Bischof. Bei dieser Übersetzung, ich gestehe, habe ich selbst ein bisschen geschwindelt und damit wohl auch einen Sinnüberschuss produziert.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Für uns kritzelt er Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

13 Postings

soomanides
vor 2 Jahren

Ehe ich Kritik ernte: Stud e t...... errare humanum est.

 
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soomanides
vor 2 Jahren

An diesem hochgeistigen Geplänkel kann ich mich infolge ausreichender Kenntnis lateinischer Redewendungen nicht beteiligen. Außerdem ist mein Denkvermögen nach dem opulenten Abendessen sehr beeinträchtigt: "Plenus venter, non studit libenter".

 
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Cellula
vor 2 Jahren

wiedermal ein Artikel mit Mehrwert...Dankeschön Rudi

 
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ruhigblut
vor 2 Jahren

Supa.... 😂😁

 
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gewa
vor 2 Jahren

Prächtige, phantastische Grübelei... Danke!

 
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Franz Brugger
vor 2 Jahren

Lasse mich da auf ein gefährliches Terrain ein, aber es juckt doch zuzustimmen: "Pectus in fronte tumet, episcopo a tergo, aliquibus autem intumescit fronti"

 
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    Herr_Ethiker
    vor 2 Jahren

    "Pectus in fronte tumet, episcopus tergi terget."

    Wenn daran was nicht stimmt, kann ja @Χρόνος mit Expertise zu antiken Sprachen sicher korrigieren.

     
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      Chronos
      vor 2 Jahren

      Nein @Hercules, ich habe nichts auszusetzen! Falls Sie keine Hintergedanken hegen...

      Treffend, wie immer Herr R.Ingruber!

       
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      r.ingruber
      vor 2 Jahren

      @NIGER Joannes: Excellenzissima erat schola Tosti Josephi.

       
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      Hannes Schwarzer
      vor 2 Jahren

      @r.ingruber: Josephus Tostus dicit; 'non scholae, sed vitae discimus!' Hoc erat rectum !

      Tuus NIGER Joannes !

       
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    Hannes Schwarzer
    vor 2 Jahren

    franciscus, non dolet !

     
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      aenda
      vor 2 Jahren

      @Rudolphus in fovea: etiam Falconarii, Fascicululi, Caesaris maioris...

       
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Nikolaus F. Pedarnig
vor 2 Jahren

Wieder mit gespitztem Bleistift, lesenswert vom ersten bis zum letzten Buchstaben, ein notwendiger Ruf, selbstredend überraschend anders, ist das Thema doch die Kunst und nicht die Macht.

 
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