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Die Künstlerin Selma Selman zerlegt Autos, Waschmaschinen und das Patriarchat. Foto: Alena Klinger

Die Künstlerin Selma Selman zerlegt Autos, Waschmaschinen und das Patriarchat. Foto: Alena Klinger

Selma Selman, die Gefährliche

Vom 11. März bis 21. März 2022 ist im Kunstraum Innsbruck eine Ausstellung der vermeintlich gefährlichsten Frau der Welt zu sehen - so lautet zumindest ihr Titel: „Selma Selman - The Most Dangerous Woman in the World“, kuratiert von Ivana Marjanović.

Selma Selman ist eine 1991 geborene Künstlerin, deren Weg alles andere als vorgegeben war: Aufgewachsen in einer Roma Community in Bosnien-Herzegowina, lebte ihre Familie jahrelang vom Sammeln und Recyceln von Metallabfall. Durch ein Stipendium wurde Selma Selman bereits im jungen Alter der Zugang zu Bildung ermöglicht, was sie schließlich bis nach New York zur Syracuse University brachte. Dort absolvierte sie 2018 ihren Master in Visual and Performing Arts. „Ich habe nur ein kleines Stipendium bekommen, aber dieses Stipendium hat mir sehr geholfen“, so die Künstlerin, die mittlerweile selbst eine Organisation gegründet hat, mit der sie jungen Romnja mittels Bildungsstipendien finanziell unterstützt. „Ich möchte nicht das einzige Roma-Mädchen aus meinem Dorf sein, das eine höhere Bildung hat. Ich möchte sehen, dass andere Mädchen mir folgen. Also unterstütze ich sie ein wenig. Den Rest müssen sie selbst erledigen.“

Fotos: Alena Klinger und Daniel Jarosch

Selbstermächtigung ist ein großes Stichwort für Selma Selman, welches sie in manchen Augen als gefährliche Frau erscheinen lässt. Da reicht es schon, dass sie in ihrem Herkunftsdorf zuweilen mit ihrem Mercedes unterwegs ist: „Autofahren als Frau auf dem Balkan bedeutet, Macht zu haben. Ich habe das Auto gekauft, um unabhängig zu sein, damit ich nicht meinen Vater oder meine Brüder bitten muss, mich zu fahren“, gleichzeitig will sie damit die Mädchen im Dorf inspirieren: „So schaffe ich Emanzipation. Ich weiß, dass es vielerorts normal ist, dass Frauen Auto fahren. Aber, um das in meiner Community zu erreichen, muss man schlau und gebildet sein - erst dann kann man unabhängig werden und muss sich keinen reichen Ehemann mehr suchen. “

Vor diesen Hintergründen hat Kunstraum-Leiterin und Kuratorin Ivana Marjanović die Künstlerin anlässlich des 8. März - dem internationalen Frauentag - nach Innsbruck geholt, wo Selma Selman auch eine öffentliche Performance vor der Annasäule abhielt. „Selma sagte, es gäbe ein Buch mit dem Titel, dass sie diese gefährlichste Frau der Welt sei, weil sie sich traut, ihre Stimme zu erheben. Sie sagt aber auch, dass viele andere Frauen ebenso die gefährlichste Frau der Welt sind“, so Marjanović.

Die Zusammenarbeit zwischen Künstlerin und Kuratorin gestaltete sich sehr stimmig, wie Marjanović erzählt, die selbst aus Serbien stammt: „Ich denke, dass wir den kontextuellen Hintergrund des ehemaligen jugoslawischen Raums, der Migrationserfahrung und auch der politischen Arbeit in der Kunst teilen, was uns beide zuversichtlich machte, dass es ein gutes Projekt werden würde - und das war es wirklich, wir haben beide sehr gerne miteinander gearbeitet, es gab viel Vertrauen zwischen uns.“

Im Kunstraum Innsbruck sind nicht nur Performance-Videos der Künstlerin zu sehen, in denen sie etwa eigenhändig eine Waschmaschine oder einen Mercedes zerlegt, sondern auch zahlreiche künstlerische Werke - die meisten von ihnen bestehen aus Altmetall. Darauf abgebildet: aufgemalte Selbstportraits, aber auch Briefe und Gedichte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals schreiben würde, ich wusste nicht, wie man schreibt. Sprache war für mich immer eine Qual. Aber ich sah es als Herausforderung. Ich habe mich in diese unangenehme Situation gebracht, in der ich einfach drauflosschreiben würde, egal wie es klingt“, erzählt Selma Selman, die bereits als Kind mit unterschiedlichsten Sprachen aufwuchs: Romanes, Bosnisch, Albanisch, Türkisch und Spanisch. „Nun schreibe ich Liebesbriefe an die fiktive Person Omer. Die Briefe sind sehr sensibel. Manchmal sind sie sehr traurig, manchmal sehr lustig oder verwirrend. Indem ich an Omer schreibe, schreibe ich an das System, in dem wir leben - warum ich mich kaputt fühle, warum ich mich benutzt fühle, warum ich das Gefühl habe, dass die Welt nicht fair ist.“ Dabei mach sich die Aktivistin auch viele Gedanken darüber, wie die Welt zu verbessern ist.

Selma Selman trägt jedenfalls persönlich dazu bei - nicht nur durch ihr Förderprogramm für Roma-Mädchen, sondern allgemein mit ihrer Vorbildrolle für viele Frauen. So sieht das auch Marjanović: „Sie ist sehr mutig und hat große Visionen, sie wagt es, sich der Gesellschaft zu stellen, ihre Stimme zu erheben und sie tritt nie als Opfer auf, obwohl es viele Herausforderungen und Gewalterfahrungen durch strukturellen Rassismus gegeben hat.“ Trotzdem kämpft Selma weiterhin für Ideale der Frauenemanzipation, des Antirassismus und für Solidarität, ohne dabei auf Humor zu verzichten.

Brigitte Egger, geb. 1993, hat in Innsbruck Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Sie schreibt als freie Journalistin über Kunst und Kultur und ist auch selbst in der Kulturarbeit tätig.

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