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Energie aus Abwasser: In Osttirol keine Alternative?

Was in Städten neue Hoffnung weckt, ist in peripheren Gebieten (noch) kaum nutzbar und rentabel.

Die Zeiten des gedankenlosen Energieverbrauchs sind vorbei. Während Europa auf eine massive Energiekrise zusteuert, steht in Sachen Stromerzeugung und Verbrauch alles auf dem Prüfstand. Energiequellen, denen man bisher eher wenig Beachtung geschenkt hat, rücken unter dem Preisdruck plötzlich in den Fokus der handelnden Akteure.

Ein Energieschatz verbirgt sich direkt unter uns: Das Abwasser. Zwar nicht appetitlich, aber durchaus nützlich, wenn man jenen Unternehmen Glauben schenkt, die unter den Kanaldeckeln forschen. Eines davon ist das Familienunternehmen „Rabmer Bau und Umwelttechnik“ aus Oberösterreich. „Erst jetzt, aufgrund der Energiekrise, spüren wir ein gesteigertes Interesse von Kommunen und Städten dafür“, erklärt Firmenchefin Ulrike Rabmer-Koller im Gespräch mit dem Standard. Seit 20 Jahren forscht Rabmer auf diesem Gebiet.

Wie die Unternehmerin vorrechnet, könnten laut einer Potenzialerhebung bis zu 14 Prozent des Wärmebedarfs in Österreich durch die Nutzung von Energie aus Abwasser gedeckt werden. Aber: „Wir stehen erst ganz am Anfang.“ Der Blick geht nach Skandinavien, aber auch nach Deutschland und in die Schweiz, wo man diese Energiequelle schon vor vielen Jahrzehnten für sich entdeckt hat. Gewonnen wird die Energie mittels Wärmetauscher, um sie dann mit einer Wärmepumpe nutzbar zu machen. So können umliegende Abnehmer direkt mit Wärme versorgt oder die Energie in das Fernwärmenetz eingespeist werden. Mittlerweile werden Projekte in diesem Bereich vom Bund gefördert.

Ein Rinnenwärmetauscher wird auch bei Trockenwetter vollflächig überströmt. Foto: Rubmer Gruppe

Um diese Technik zu nutzen, braucht es neben einem vorhandenen Kanal eine entsprechende Durchflussmenge und eine Mindesttemperatur. Auch, ob im jeweiligen Gebiet Freispiegelleitungen oder Druckleitungen verlegt wurden, ist von Bedeutung. In einer Freispiegelleitung rinnt das Abwasser ohne Druck in die nächste Kläranlage. Man nutzt also den Höhenunterschied. In Druckleitungen wird mechanisch nachgeholfen, um das Abwasser zu bewegen. Laut dem Klima- und Energiefonds rinnen etwa 600 volle Badewannen an warmem Wasser pro Kopf ungenutzt in die Kläranlage.

„Abwasser fließt tagein tagaus durch unsere Kanäle – nutzen wir es“, meinte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) schon im April. Was simpel und auch logisch klingt, ist in der Realität aber nicht so einfach umzusetzen. Abwasser gibt es zwar fast überall, doch nicht jeder Kanal ist ein potenzieller Energielieferant. Das Stadt-Land-Gefälle spielt hier eine große Rolle. Für die Energiegewinnung aus Abwasser sind bei Freispiegelleitungen mindestens 400er-Rohre sowie eine Durchflussmenge von zehn Litern pro Sekunde erforderlich. Druckleitungen können kleinere Dimensionen haben.

Im Klärwerk Huben/Matrei fließt einiges zusammen. Foto: Michael Kranewitter, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Wie Rabmer-Koller im Standard erklärt, seien die besagten 400er-Rohre in Städten weit verbreitet, auf dem Land aber rar gesät. Dieses Bild zeichnet auch Andreas Pfurner. Der Bürgermeister von Nußdorf-Debant ist Geschäftsführer des Abwasserverbandes im Lienzer Talboden. „Wir haben bei den Freispiegelleitungen kleinere Rohre“, sagt Pfurner. Nur zwischen Lienz und Nußdorf-Debant würde ein dickes 800er-Rohr liegen. Wie andere ländliche Regionen ist auch Osttirol auf Abwasserkanäle angewiesen, die mehrere Orte über ein Sammelsystem verbinden. Im Lienzer Becken wird das Abwasser nur von Nikolsdorf und Lavant per Druckleitung in das Dölsacher Klärwerk gepumpt.

Laut Andreas Pfurner eignen sich die Kanäle im Lienzer Becken nicht für die Energiegewinnung. Foto: Dolomitenstadt/Wagner

Neben der Wärmegewinnung kann das Abwasser aber auch für die Stromerzeugung genutzt werden. Überwindet das Wasser Höhenunterschiede an Abstürzen oder Wehren, kann diese Lageenergie häufig mit Wasserkraftanlagen verwertet werden. Hierfür sind etwa Turbinen, Wasserkraftschnecken und Wasserräder geeignet. Die Stromerzeugung mit Abwasser schließt Pfurner jedoch wegen fehlendem Gefälle im Talboden aus. Die wenigen Höhenunterschiede seien zu gering für eine wirtschaftliche Energiegewinnung.

Auf dem Schirm hatte man das Abwasser in Osttirol aber schon vor 25 Jahren. Im Iseltal beschäftigte sich Pfurners „Amtskollege“ Dietmar Ruggenthaler schon damals mit dieser Energiequelle. Fazit: „Das ist nichts für uns.“ Die Kanalisation zwischen Kals und dem Klärwerk in Huben-Kienburg würde sich theoretisch als Pilotstrecke für die Energiegewinnung eignen. „Wir haben das damals genau betrachtet und Berechnungen angestellt, dann aber aus mehreren Gründen fallengelassen“, so Ruggenthaler.

Einerseits stufte man das Vorhaben als nicht wirtschaftlich genug ein. Das sei auch heute – trotz hoher Einspeistarife – noch so. Andererseits würde der Schwallbetrieb nicht genug Abwasser vom Glocknerdorf ins Tal spülen. Für die Wärmegewinnung nennt Ruggenthaler ein weiteres Problem: „Das funktioniert bei uns nicht, weil wir aufgrund der langen Kanalleitungen zu viel Wärme verlieren.“ Das Wasser würde also die nötige Mindesttemperatur unterschreiten.

„Wir haben diese Möglichkeit schon vor 25 Jahren erkannt“, betont Virgens Bürgermeister Dietmar Ruggenthaler. Foto: Brunner Images

Weil die Osttiroler Kanäle für die Wärmeerzeugung zu lang und für die Stromproduktion zu flach sind, wird das Abwasser nach der Ankunft in den Klärwerken verwertet. In Dölsach wird aus dem Klärschlamm ein Gas gewonnen, mit dem sich das Werk fast zur Gänze mit Wärme versorgt. Stromautark ist sowohl das Klärwerk im Talboden, als auch jenes in Huben. „Durch mehrere Einsparungen prüfen wir mittlerweile schon, ob und wieviel Strom wir künftig ins Netz einspeisen können“, erklärt Ruggenthaler. Das Abwasser rinnt in Osttirol also nicht gänzlich ungenutzt an uns vorbei.

Dolomitenstadt-Redakteur Roman Wagner studierte an der FH Joanneum in Graz und ist ein Reporter mit Leib und Seele. 2022 wurde Roman vom Fachmagazin Österreichs Journalist:in unter die Besten „30 unter 30“ gewählt.

2 Postings

thohai
vor 2 Jahren

Wenn auch die Rückgewinnung von Energie aus der Kanalisation "im großen Stil" in Osttirol wegen der zu geringen Anschlussdichten und im Verhältnis dazu großen Leitungslängen nicht wirtschaftlich sein mag, gäbe es trotzdem noch Möglichkeiten: Bei größeren Gebäuden mit relativ hohen Temperaturen im Abwasser (Tourismusbetriebe, Bezirkskrankenhaus, Wohn- und Pflegeheim, ... ) wäre mithilfe von Wärmepumpen durchaus Energie für die Warmwasserbereitung oder auch die Raumheizung zu gewinnen. Das Temperaturniveau der Abwässer und damit der Energiegehalt liegt nämlich weit höher als die Temperaur in der Außenluft oder im Erdreich, die üblicherweise als Primärenergie für Wärmepumpenanlagen dienen.

In den Haushalten fiele durchaus auch einiges an, ist aber in der Regel zu wenig, um es vor Ort wirtschaftlich zurückzugewinnen. Hier sollte allerdings schon angesetzt werden, bevor zu viel Wärme im Abwasserkanal verschwindet: Kurz duschen, statt zu häufig die Badewanne zu füllen, Waschmaschine und Geschirrspüler mit möglichst niedrigen Temperaturen betreiben (Energiesparprogramme mit geringerer Temperatur und dafür etwas längerer Laufzeit), für das Kochen von z. B. Nudeln oder Kartoffeln möglichst wenig Wasser verwenden, und viele weitere Tipps umsetzen, die Sie irgendwann schon einmal gehört haben ...

 
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so ist es vielleicht
vor 2 Jahren

Es ist ja schade, dass oft nur Krisen ein Umdenken der Menschheit bewirken. Aber zumindest dann erscheinen plötzlich Möglichkeiten und Varianten, die bis jetzt eher ignoriert oder als unrentabel eingestuft wurden. Und so kann und wird auch diese Krise Positives hervor bringen, auch wenn es momentan recht düster aussehen mag. Aber zum Glück entscheidet zuletzt doch immer die Natur, in welche Richtung es gehen muss, denn sonst stirbt halt alles, auch der Mensch!!!

 
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