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Ein Mädchen schaut den alten Nietzsche in Naumburg fragend an. Kein Wunder, wenn man sein „Mädchen-Lied“ kennt. Foto: Alamy

Ein Mädchen schaut den alten Nietzsche in Naumburg fragend an. Kein Wunder, wenn man sein „Mädchen-Lied“ kennt. Foto: Alamy

Friedrich Nietzsche und die Schlagkraft der Gruberbäuerin

Gendern hin oder her, eines lässt sich nicht leugnen: Die Sprache beeinflusst unser soziales Verhalten.

Selten, daß ein Weib zu denken
wagt, denn alte Weisheit spricht:
„Folgen soll das Weib, nicht lenken;
denkt sie, nun, dann folgt sie nicht.“

Die Verse stammen nicht aus der Feder des heiligen Augustinus, sondern von einem, der Gott schon vor einhundertvierzig Jahren für tot erklärt hat. Sein „Mädchen-Lied“ macht es uns nicht eben leicht, Friedrich Nietzsche für einen noch heute relevanten Denker zu halten. Und man sollte sich hüten zu glauben, Frauenfeindlichkeit sei das Problem der katholischen Kirche.

In meiner Jugend wurde zur Abschreckung die Parabel vom Huberbauern erzählt, der beim Versuch, die Rockfalten aus den Gesäßbacken der vor seiner Nase in der Kirchenbank knieenden Gruberbäuerin diskret zu befreien, sich von eben dieser ein blaues Auge einfing. Dasselbe passierte ihm aber auch, als er am nächsten Sonntag den Fehler wiedergutmachen wollte, indem er den Stoff in die von der Gruberbäuerin offenbar bevorzugte Vertiefung zurückschob. Also, was jetzt?

Frauen wissen nicht genau, was sie wollen, wäre genau die verkehrte Antwort gewesen. Frauen wissen nämlich genau, was sie nicht wollen. Sie haben die helfenden Hände der Männer, die ihnen unter dem Deckmantel der Wertschätzung vor dem Setzen den Stuhl zurechtrücken, längst als Erfüllungsgehilfen jener Mächte durchschaut, die ihnen seit Generationen irreversibel ihre sozialen Plätze anweisen. Vor allem, wenn sie den Stuhl großzügig um eine Gesäßbreite weiter als nötig verrücken.

Macht kommt bekanntlich von machen. Aber bin ich denn, nur, weil ich etwas gemacht habe, ein Gemachthaber? Kommt darauf an. Als Mann bin ich in jedem Fall ein Gemächthaber. Das lässt sich nicht gendern, es sei denn, man versteht „haben“ nicht nur als Hilfszeitwort, sondern im Sinne von „besitzen“: Gemächt-Inhaber statt Gemächthaber:in hieße es dann. Damit jedoch nicht genug!

Seit wir dazu angehalten sind, die drei Geschlechter, welche die deutsche Grammatik uns zur Verfügung gestellt hat, auf mindestens fünf Geschlechter gerecht zu verteilen, gestaltet die Sache sich zunehmend verwirrend, zumal man diese darüber hinaus mit noch mehr Varianten der geschlechtlichen Orientierung zu multiplizieren hat. „Hängt ganz davon ab, was auf den Tisch kommt“, hat mir einmal jemand auf die Frage geantwortet, ob er sich ausschließlich vegetarisch ernähre.

Eines aber lässt sich nicht leugnen: Die Sprache beeinflusst unser soziales Verhalten. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Berufsbezeichnungen im generischen Maskulinum junge Frauen daran hindern, sich für die Ausbildung zum Maurer, zum Kaufmann oder Kapellmeister zu interessieren. Umgekehrt allerdings glaube ich nicht, dass eine gendergerechtere Formulierung junge Männer dazu ermutigt, Krankenschwester, Kindergärtnerin oder Nonne zu werden.

Und was bekommen Männer dafür, dass sie männlichen Beschäftigungen nachzugehen verdammt sind? Sie müssen das Leben im Durchschnitt um fünf Jahre kürzer ertragen als Frauen! Gebildete Frauen werden sogar acht Jahre älter als ungebildete Männer, denen somit auch weniger Zeit zum Denken und zum Studieren vergönnt ist. Ein Teufelskreis!

Allerdings sollen Frauen, so eine andere Studie, ihr Zeitguthaben zum Großteil in Warteschlangen vor öffentlichen Toiletten verplempern. Während Männer wenigstens ihre kleinen Geschäfte im Stehen erledigen, setzen Geschäftsfrauen sich in jedem Fall hin. Und da ihnen dabei auch kein Mann den Stuhl zurechtrückt, hat man Innenarchitekt:innen mit der Lösung dieses Problems betraut: Damit Frauen nicht noch einmal der falsche Platz angewiesen wird.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

4 Postings

MWN
vor einem Jahr

Die Sprache schafft Bewusstsein, und das Bewusstsein, das durch übertriebenes Gendern (vgl. etwa die Diskussion um das kärntner Genderwörterbuch) geschaffen wird, schadet den Frauen und der Gleichberechtigung nachhaltig. Ich bin sicher, dass junge Frauen, die das wollen, eine Ausbildung zur Maurerin, zur Kauffrau oder zur Kapellmeisterin machen werden, zumal es diese Bezeichnungen ja durchaus gibt und folglich niemand (mehr) erschrocken davonlaufen muss. Umgekehrt können furchtlose junge Männer durchaus Krankenpfleger, Elementarpädagoge oder Mönch werden.

 
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amRande
vor einem Jahr

Gott sei Dank gibt es selbst nach 140 Jahren noch Leute, die mit ihren geistreichen, philosophischen, zeit- und sozialkritischen Randnotizen einem Friedrich Nietzsche um nichts nachstehen! Mit dem Unterschied und dem tröstlichen Hintergrund, dass Rudi dem Nihilismus wohl nicht viel abgewinnen kann. Oder will.

 
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Ich meine, dass ...
vor einem Jahr

... Deine Randnotizen, lieber Herr Ingruber, immer eine Freude zu lesen sind ... Alles Gute für 2023 und bitte weiterhin um Deine Beiträge ...

 
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    miraculix
    vor einem Jahr

    Diesen Worten möchte ich mich vollinhaltlich anschließen! Einen guten Start ins neue Jahr!

     
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