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„Ein gewisses Level konstruk­tiver Konflikte ist normal“

Es gehe darum, die Balance aus Konflikt und Frieden zu finden, so die Friedensforscherin Rina Alluri.

Rückblickend gesehen, scheint der Wissenschafterin Rina Alluri die Friedens- und Konfliktforschung schon in die Wiege gelegt worden zu sein: Sie wuchs als Tochter eines indischen Vaters und einer philippinischen Mutter in Nigeria auf. „Nicht unter Sozial-, sondern unter Naturwissenschafter:innen, dafür aber in einer multikulturellen Gemeinschaft mit Menschen aus aller Welt, unterschiedlichen Religionen und unterschiedlichen Hintergründen, mit verschiedenen politischen und sozialen Herausforderungen“, erzählt Alluri.

Später migrierte die Familie nach Kanada, wo sich Alluri wieder in einem gemischten Setting einfand. „Das Stadtviertel, in dem wir lebten, war sehr divers, und wir waren mit Themen wie Gewalt, Kriminalität und struktureller Ungleichheit konfrontiert.“ Mit diesen Themen so nah in Berührung zu kommen und gleichzeitig auch selbst immer wieder gefordert zu sein, sich an verschiedene Gegebenheiten anzupassen, „das hat mich wohl dahin gebracht, wo ich heute bin“, schmunzelt die promovierte Politikwissenschafterin. 

Ihr multikulturelles Aufwachsen hat die Wissenschafterin Rina Alluri geprägt - und schließlich zur Friedens- und Konfliktforschung gebracht. Foto: Dolomitenstadt/Huber

Der ausschlaggebende Punkt dafür, den Weg als Friedens- und Konfliktforscherin einzuschlagen, war allerdings ein Seminar, das sie im Rahmen ihres Politikwissenschaftenstudiums in Vancouver belegte: „Ich kam zu einer Professorin, die besonders Friedens- und Konfliktforschung im globalen Süden in den Fokus nahm – das war in anderen Kursen eher selten der Fall.“ Alluri war sofort begeistert, bis heute beschäftigt sie sich vorwiegend mit Afrika und Asien. 

Für ihre empirische Forschung und mehrere Projekte reiste sie unter anderem nach Myanmar, Nepal, Äthiopien, Ruanda und Südafrika, für ihre Doktorarbeit verbrachte sie mehrmals längere Zeit in Sri Lanka, um dort die Rolle der lokalen Wirtschaft im und nach dem Bürgerkrieg zu beleuchten. „Wenn ich irgendwo hinreise, um dort zu forschen, dann fühlt sich das für mich nie nach einem ‚Weggehen‘ in das ‚Exotische und Andere‘ an, vielmehr ist es ein ‚Heimkommen‘ zu unterschiedlichen Perspektiven“, meint Alluri. „Das setzt natürlich immer auch ein Reflektieren der eigenen Rolle voraus, Positionalität und Reflexivität in Bezug darauf, wie wir Zugang zu bestimmten Daten, Erkenntnissen und Geschichten erhalten.“

Ihre Forschungsarbeit führte sie fast immer in Nachkriegsregionen durch, „das hatte in erster Linie Sicherheitsaspekte“. In einem laufenden Konflikt vor Ort zu forschen sei meist zu gefährlich. „Ein Teil der Friedensforschung beschäftigt sich natürlich mit der Konfliktprävention, allerdings hat hier das Forschungsinteresse in den vergangenen Jahren etwas verändert und konzentriert sich mehr auf den Prozess der systemischen Konflikttransformation“, erklärt Alluri und nennt Myanmar als Beispiel. 

In den letzten Jahren hat sich Alluris Forschungsfeld gewandelt, durch Corona waren Forschungsaufenthalte im Ausland herausfordernder. Derzeit ist sie als Assistenzprofessorin und Leiterin des Arbeitsbereiches für Friedens- und Konfliktforscherin an der Universität Innsbruck tätig und ist Co-Leiterin des Masterstudienganges „Peace and Conflict Studies“. Außerdem ist sie unter anderem Sprecherin des Forschungszentrums INNPeace, Teil der NGO „Salzburg Global Seminar“ und seit Ende Jänner dieses Jahres UNESCO-Lehrstuhlinhaberin für Friedensforschung in Innsbruck. 

Frieden und Konflikt stehen immer in einem Spannungsverhältnis zueinander – die Balance zu halten ist für mich die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen.

Rina Alluri, Friedens- und Konfliktforscherin

Hauptaugenmerk ihrer Forschung ist derzeit die Dekolonialisierung von Wissen. Es geht darum, welches Wissen von wem an wen vermittelt wird und wie das geschieht, wer welche Forschung betreibt und wer davon profitiert. „Das betrifft auch unseren eigenen Masterstudiengang ‚Peace and Conflict Studies‘: Wir hinterfragen, auf welcher Grundlage wir die Pflichtlektüre auswählen und wie wir mit der Internationalität unserer Studierenden umgehen“, erzählt die Wissenschafterin. Ihre derzeitige Tätigkeit stellt also gleichzeitig ihr aktuelles Forschungsfeld dar. „Wir sind alle auf die eine oder die andere Weise kolonisiert in unserem Denken. Es geht auch darum, wieder zu verlernen, was wir gelehrt bekommen haben.“ Auch der Blick darauf, wie Friedensforschung während einer Pandemie funktionieren kann, wenn die Wissenschafter:innen wenig Möglichkeiten für Forschungsaufenthalte haben, ist für Alluri spannend. 

Auch wenn das Forschungsfeld breit ist und von vielen verschiedenen Wissenschafter:innen mit unterschiedlichen Hintergründen, Werten und Philosophien in den verschiedensten Themenbereichen und Ländern durchgeführt wird, „in einer Sache gibt es eine Übereinstimmung: Wir alle sind der Meinung, dass ein gewisses Level konstruktiver Konflikte normal ist, so wie auch ein gewisses Level an Frieden allen Situationen innewohnt – ob auf individueller, gemeinschaftlicher oder struktureller Ebene.“ 

Eine Welt ganz ohne Konflikte wird es wohl nicht geben, allerdings können bessere Strategien gefunden werden, um mit Spannungsverhältnissen umzugehen, so Alluri.

„Es gibt da kein ‚Entweder–Oder‘, Frieden und Konflikt stehen immer in einem Spannungsverhältnis zueinander – die Balance zu halten ist für mich der Kern der Menschheit und die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen“, so Alluri. Spannungsmomente würden jedem von uns den ganzen Tag über innewohnen. Die Frage sei, wie man persönlich damit umgeht, Strategien muss jeder für sich selbst finden: sich durch Kunst ausdrücken, Sport treiben oder Achtsamkeitsaktivitäten. Kommen diese Spannungen auf ein Level, auf dem sie auf individueller Ebene nicht mehr lösbar sind, nähern sich die Konflikte der strukturellen Ebene an. „Dann braucht es auch andere Instrumente und Mechanismen, damit umzugehen“, erklärt die Friedensforscherin. 

Ob sie sich eine Welt ohne Konflikte vorstellen könne? „Ein gewisses Level an Konflikt ist ja normal. Was aber nicht natürlich ist, ist dieses extreme Konfliktlevel, das wir auf der Welt erleben. Was ich mir wünsche, ist eine Welt, in der wir alle – und nicht nur Friedensforscher:innen – in unserem alltäglichen Leben an Konflikttransformation beteiligt sind und gelernt haben, mit diesem natürlichen Spannungsfeld aus Konflikt und Frieden umzugehen.“

Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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